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Berlin: Vom Kinderheim zum Happy End

Misshandelte Jugendliche spielen sich selbst im Musical „Good Bye Cindy“

Björn reißt seinen Mund auf und spricht in Zeitlupe: „Willst Du meineeeeen Fisch sehen, Andreas?“ „Boah, Björn! Er ist taub, nicht blöd! Du kannst ganz normal reden“ sagt Uli. Die drei Jugendlichen stehen auf der Aula-Bühne im Kinderhaus Hohenschönhausen, zur Generalprobe des Musicals „Good Bye Cindy“. Die erste Aufführung ist am 26. Juni im Theater am Kurfürstendamm. Eine besondere Premiere: Es spielen zwölf Heimkinder, die ihr eigenes Leben zur Vorlage für ein Musical gemacht haben. Sie erzählen von zerrütteten Elternhäusern, Drogen, von Psycho-Beratung, davon, wie es ist, im Kinderheim zu leben, und es dann irgendwann auch zu verlassen. Die Texte sind ihre eigenen, zwei Jahre haben sie daran gearbeitet. Leitfaden ist die Geschichte des Heimkindes Cindy, die 18-jährig auszieht, um auf eigenen Füßen zu stehen. Eine wahre Geschichte, die Hauptdarstellerin Mandy selbst erlebt hat.

Erst mal wirkt es so zahm: Eine Horde pubertierender, mal kichernder, mal mutiger Jugendlicher auf der Bühne, davor der Regisseur. Es ist schwierig, sich vorzustellen, dass diese Kinder höllische Biografien hinter sich haben. Hier stehen keine wohl behüteten, vor Gesundheit strotzenden Kinder, die nur Theater spielen. Andreas ist wirklich taub, Uli ist auch nach der Probe seine große Schwester, die ihn schützt. Die Dialoge sind drastisch: „Endlich kann man sich mal entscheiden, ob man totgeprügelt werden möchte oder lieber ins Heim geht“, heißt es einmal.

Das ist die Realität hinter kajalgeschminkten Augen, Hip-Hopper-Hosen, dem alltäglichen Bild von Jugendlichen: „Ihnen ist genau das passiert, was sich niemand vorstellen kann“, sagt Ursula Klingbeil, Präsidentin des Vereins „Arikalex“, der das Projekt gemeinsam mit dem Kinderhaus in Hohenschönhausen organisiert. „Sie wurden geschlagen, die Eltern sind teilweise Alkoholiker, andere haben sich umgebracht. Es sind Vergewaltigungs- und Missbrauchsopfer unter den Schauspielern.“

Offensichtlich wird der Unterschied bei Kleinigkeiten: „Jedes andere Kind würde nachmittags pünktlich zu den Proben kommen, wenn es die Chance hätte, von Popstar-Trainer Detlef D. Soost Tanzunterricht zu bekommen. Wenn unsere Heimkinder Lust haben, Eis essen zu gehen, tun sie das lieber“, sagt Petra Kaufmann, stellvertretende Leiterin des Kinderhauses. Die Proben sind den Kindern nicht unwichtiger. Aber sie lassen sich leichter ablenken als andere, setzen weniger deutlich Prioritäten. Ihnen fehlt der Filter, der entscheiden hilft, was wichtig ist. Es ist zu viel passiert, zu viel im Kopf. Sie leben momenthafter.

Was auf der Bühne niemand mehr sieht: Es kam vor, dass einer der Jugendlichen während der Proben ausflippte, schrie, Sachen um sich warf, nicht mehr zu beruhigen war. Weil ihm alles zu viel wurde, es vielleicht Stress beim Elternbesuch oder in der Schule gab. „Man muss sich dieses Musical nicht als Theaterbesucher ansehen, sondern als Mensch, der sich davon berühren lässt, was auf der Bühne passiert“, sagt Regisseur Holger Hauer. Das Stück macht nachdenklich, und es überrascht. Wie es endet? Wird nicht verraten. Nur so viel: Es geht um den Weg ins eigene Leben. Und dabei haben die Heimkinder im wirklichen Leben schon einiges erreicht: Uli bereitet sich aufs Fachabitur vor; Mandy lebt nun in ihrer eigenen Wohnung, will eine kaufmännische Lehre machen. Es sieht ganz gut aus für das reale Happy End der Geschichte.

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