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Berlin: Von nun an laut

Wie die neue Autobahn A 113 und ihre Schallschutzwand das Leben der Anwohner in Treptow verändern

Es ist ihr alles vergällt jetzt. Der Blick aus dem Fenster, die Terrasse, das ganze Haus. „Ich würde sehr gerne hier nicht mehr wohnen müssen“, sagt sie.

Aber es ist nicht mehr viel wert. Und wo soll sie auch hin? Es sei alles sehr emotional, sagt sie.

Man hat Birgit König und ihrem Mann und ganz Späthsfelde eine Autobahn vor die Nase gebaut. Die A 113, die verlängerte Stadtautobahn, die am Teltowkanal entlang, auf dem alten Todesstreifen, Richtung Südosten führt. 2007 soll sie zum Flughafen Schönefeld durchgehen. Gegen den Lärm hat man eine Schallschutzwand zwischen die Grundstücke und die sechsspurige 130-Millionen- Euro-Investition gebaut. Neun Meter hoch, fast so hoch, wie das oberste Sprungbrett am Zehnmeterturm.

Birgit König hat Oropax gekauft und schläft trotzdem schlecht, ihre Hände zittern. Sie ist eine quirlige Frau mit energischer Stimme und kurzen blonden Haaren. Vielleicht zerbreche noch ihre Ehe an dem Stress, sagt sie. Na, na, sagt ihr Mann und legt den Arm um ihre Schulter.

Das Haus ist das letzte im Berberitzenweg. Acht Hektar Rasen, ein Apfelbaum, Terracotta-Töpfe mit Blumen, ein flaches gelbes Haus. Früher war das der Sommersitz. Seit 1999 wohnen Birgit König (60) und ihr Mann Jürgen Vorsatz (68) hier. Sie zahlen keine Miete, deshalb reichen seine Rente und ihr ABM-Geld. Im Haus haben sie Wände eingerissen, einen großen hellen Raum geschaffen, mit Fliesen, Sofaecke, offener Küche. Trockenblumen hängen überm Fenster, blaues Keramikgeschirr mit weißen Punkten steht im Regal. Sie wollten es hier schön haben, sie wollten hier alt werden. Früher stand hinter ihrem Grundstück die Hinterlandmauer, es war nachts hell wegen der Lampen, aber es war still. Nach der Wende wurde es richtig idyllisch. Natur, Wasser, Abgeschiedenheit. Auch das Vergangenheit. Sie haben bunte Ordner angelegt mit Zeitungsartikeln, in denen Politiker versprechen, die Autobahn werde unter grünen Hügeln verschwinden, sie haben Lärmschutzgutachten gesammelt, Senatsbroschüren, anwaltliche Informationen. Sie haben Vorhänge an die Fenster gehängt, damit sie die Wand nicht sehen müssen, die sich zwischen sie und ihren Frieden geschoben hat. „Das kann man doch nicht aushalten“, sagt Birgit König. Die Wand ist aus Lärchenholz, unbehandelt, weil hier Wasserschutzgebiet ist. „Aber eine Autobahn, das geht“, sagt sie.

Was sie sich gewünscht hätte: wenigstens Flüsterasphalt, wenigstens eine Schallschutzwand, die nicht verwittert und schwarz werden wird. Was sie jetzt noch erhofft: Dass jemand etwas schnell wachsendes Immergrünes vor die Wand pflanzt, bevor der Herbst kommt, und ihre Hecke die Blätter verliert.

Birgit König hat Kuchen mit Äpfeln vom eigenen Baum gebacken, ein Nachbar kommt, Rentner auch, auch er hat Zeitungsartikel und Pläne parat. Birgit König sagt, sie könnte ein Buch darüber schreiben, wie mit Menschen umgesprungen werde, aber das interessiere ja niemanden. Die Autobahn musste eben sein, damit jetzt die Leute fünf Minuten schneller am Flughafen sind. Und die Anschlussstelle quasi neben ihrer Siedlung musste sein, damit die Leute schneller beim Einkaufen in den Neuköllner Gropiuspassagen sind. Dass fünf Minuten mehr wiegen als ihre Lebensqualität, als ihre Pläne für die nächsten 30 Jahre, das verletzt sie.

Drei Makler seien inzwischen da gewesen und hätten ihr nur wenig Hoffnung auf einen guten Preis gemacht. Wer jetzt nach Späthsfelde kommt, will billiges Bauland – wegen des Lärms der Autobahn.

Birgit König weiß, dass sie dabei ist, sich hineinzusteigern in ihre Misere. Sie lausche ja gerade zu auf den Lärm, sagt ihr Mann manchmal. 140000 Autos sollen auf der A113 pro Tag fahren, wenn der Anschluss an die A 13 fertig ist. Birgit König sagt: „Hier ist es ja nie wieder ruhig.“ Fenster, auf denen der Wind steht, bleiben zu, weil der den Lärm bringt. Eine Nachbarin schläft im Keller. Vielleicht bauen sie einen schallgedämpften Lüfter ins Schlafzimmer. Den würde der Senat bezahlen. Es ist wahr: Ruhe wird es im Berberitzenweg nie mehr geben.

Die Berberitze ist ein Sauerdorngewächs. Sie hat rote Beeren und Stacheln. Außerdem ist sie eine bedrohte Art.

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