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Die gepflanzten Osterglocken, die Lehmann gepflanzt hatte, verblühen nun ungesehen.

© picture alliance / dpa

Von Tag zu Tag: Ein Garten in weiter Ferne

Sebastian Lehmann hat einen Kleingarten in Mecklenburg-Vorpommern. Dieser verwildert jetzt dank der neuen innerdeutschen Grenze.

Ich bin Kleingärtner. Seit einem Jahr besitze ich einen eigenen Garten. Aber was heißt Garten? In der schönen Weite Ostdeutschlands wurde zu realsozialistischer Zeit ein kleines Stück Land mit Maschendrahtzaun eingezäunt – das ich nun mein Eigen nennen darf. Dort, weit entfernt von den Metropolen, geht es noch ein wenig zu wie auf dem Berliner Wohnungsmarkt der neunziger Jahre. Es gibt viel Leerstand.

Leider liegt der Garten nicht in Brandenburg, dem Prenzlauer Berg des Ostens – jedenfalls was Kleingärten angeht. Dort gab es nämlich in den letzten Jahren viel Zuzug. Die Gärten Brandenburgs scheinen schon durchgentrifiziert zu sein. Deswegen musste ich nach Mecklenburg-Vorpommern ausweichen. Bis vor circa vier Wochen war das für mich in Ordnung. Die Mecklenburger Seenplatte ist ziemlich schön. Und so viel weiter weg von meiner Berliner Wohnung als die Uckermark liegt sie dann auch nicht.

Doch seit Corona ist alles anders, es gibt wieder eine innerdeutsche Grenze. Mecklenburg-Vorpommern hat sich abgeschottet. Die Polizei kontrolliert an den Grenzen des Bundeslandes und ich darf nicht mehr rein. So wie alle Gartenbesitzer, die keine stolzen Mecklenburger oder Vorpommern sind.

Einerseits finde ich das verständlich, schließlich ist das Virus im Norden im Vergleich noch recht gering verbreitet und die Krankenhausbetten nicht auf unzählige Urlauber ausgerichtet. Andererseits: So ein kleiner Tagesausflug, kann das so schlimm sein? Isolation im Kleingarten stelle ich mir angenehmer vor als in der Wohnung.

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Natürlich sind das Luxusprobleme, schon klar. „Oh, der arme Herr darf nicht in seinen Garten, das tut uns aber leid. Jammer, jammer! Andere Menschen sind schlimm krank und der beschwert sich darüber, dass er sich nicht auf seiner Veranda sonnen kann“, sagt mein innerer Internetkommentare-Schreiber, den ich sonst nicht so rauslasse.

„Ja, du hast recht“, antworte ich ihm. „Aber die Osterglocken, die ich letztes Jahr gepflanzt habe, verblühen ungesehen. Und es war so viel Stress, diesen Garten halbwegs zu zähmen – und jetzt verwildert wieder alles.“ Auch eine Folge der Kontaktbeschränkungen: Ich rede nun sehr viel mit mir selbst. Noch ein Grund, dass ich in den Garten sollte.

„Aber immerhin musst du dann nicht die Hecke schneiden“, sage ich dann zu mir selbst. „Und der Rasen ist bestimmt auch wieder gewachsen und sieht ähnlich verstrubbelt aus wie deine Haare, die nicht mehr zum Frisur dürfen.“

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„Stimmt“, erwidere ich mir selbst. „Think positive!“ Das ist ohnehin eine gute Strategie in Zeiten von Corona, die ganzen schlechten Nachrichten liest man ja jeden Morgen in der Zeitung. Aber ein paar nette Kollateralvorteile bringt dieses fiese Virus doch mit sich.

Zum Beispiel kann ich alle Folgen „Raumschiff Enterprise“ anschauen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Oder den ganzen Tag die Katze streicheln. Und eben auch: keine Gartenarbeit. Danke, Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, wenn ich jetzt noch Muskelkater vom Heckenschneiden hätte, wäre wirklich alles zu Ende.

Ach, das klappt irgendwie nicht mit dem positiven Denken. Ich hoffe, es regnet einfach an allen Wochenenden bis Juli. So weit hat mich dieses Corona schon: Ich bekomme gute Laune von schlechtem Wetter.
Sebastian Lehmann ist Lesebühnen-Autor. Seine geplanten Auftritte in diesem Frühjahr fallen aus. Hören kann man ihn trotzdem, zum Beispiel im „radioeins“-Podcast, seine Bücher findet man unter www.sebastianlehmann.net.

Sebastian Lehmann

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