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Industrial Chic, rauer Charme und nur über den Hotel-Hof zu erreichen: das Michelberger-Restaurant in Friedrichshain

© Michelberger / promo

Von TISCH zu TISCH: Michelberger

Jung, global, kreativ: Dieses Restaurant in Friedrichshain ist eines für alle. Die kleinen Speisen sind zwar nicht ganz billig, aber einfach köstlich

Über dem Bartresen schweigt still eine alte Bahnhofsuhr. Im Regal blitzen betagte Kaffeekannen gegen das Image der Staubfängerinnen an. Die weißen Stühle manchemal etwas wacklig, roher Fußboden, gekachelte Wände, Besteck in keinen, silbernen Eimern auf den schlichten Holztischen. Industrial Chic. Sie könne uns die Karte auch auf Deutsch erklären, sagt die nette Kellnerin, die es aus Manchester nach Berlin verschlagen hat: „Aber fixer geht es auf Englisch.“ Um uns herum globale Jugend, auch Familien mit Kindern und sogar Leute, die aussehen, als hätten sie das Lebensgefühl West-Berlin noch live erlebt. Auf jeden Fall brummt der Laden, wirkt nostalgisch-hip und wuselig, aber auf nicht nervende Art.

Nach Tapas-Art

Die Empfehlung der Engländerin lautet, aus den vier Rubriken, Snacks, Gemüse, Fisch, Fleisch jeweils zwei kleine Gerichte zu bestellen und miteinander zu teilen, so wie man es bei Tapas tut. Wenn Tapas auch eine Größenbeschreibung ist, kommt das hier hin. Köstlich ist aber zunächst mal das hausgemachte Sauerteigbrot mit der aufgeschlagenen weißen Butter. Obwohl unsere Kellnerin zunächst über die Maßen sparsam aus der Flasche Crémant einschenkt, haben wir es hier mit einem Lokal zu tun, das mehr sein als scheinen will. Auf einem untertassengroßen Tellerchen kommt dann also der erste Gang: hausgemachtes, eingelegtes Gemüse. Artischocken, Möhren, Weißkraut, Zucchini und Cherrytomaten schmecken auf eine eigenwillige, unaufdringliche Art säuerlich. Guter Auftakt, interessanter, als ich erwartet hatte (5 Euro). Der Hausmacher-Teller entpuppt sich als Brettchen in Frühstücksgröße mit Salamischeiben, zwei Sorten Schinken, Landjägern und sehr grobkörnigem Biersenf, alles gute Qualität in Naschumfängen (9 Euro). Ein Hit sind die Kürbisbeignets mit frisch gehobelten, echten Trüffelscheiben. Goldbraun außen und innen ganz weich. Dazu gibt es einen innen cremigen, außen flockigen Parmesankloß und einige Kleckse einer fruchtigen Sauce. Bei denen könnte ich glatt zur Wiederholungstäterin werden (12 Euro). Die in Salzkruste gebackene Sellerie mit Dukkha, einer orientalisch inspirierten Würzung mit Nüssen, Sesam und konservierter Zitrone brilliert mit einem ganz und gar eigenen, schwer zu beschreibenden Geschmack. Hier dürfen auch Veganer mal richtig schlemmen (11 Euro). Exzellent, weil superzart gegart und sehr einfühlsam gewürzt, waren die beiden Stangen vom confierten Schwein mit Fenchel-Ketchup und einer großartigen Apfelsauce (14 Euro.) Mit intensiv fischigem Geschmack überzeugten schneeweiße Krabben-Dumplings in einer grünen Asia-Sauce namens Koriander Nam Jim (12 Euro).

Tolles Finale

Das Finale bestritt schließlich furios ein wunderbares Birnenkompott mit Lorbeergeschmack und geeistem Büffeljoghurt als Sättigungsbeilage. Herrlich! (7 Euro). Von der überraschend gut sortierten Weinkarte hatten wir uns – auch wegen der zu dieser Würzung gut passenden Restsüße – richtig für den 2014er fruchtigen Riesling Kabinett „Treppchen“ von Jos. Christophel jr. entschieden (36 Euro). Und auf dem Kaffee zum Schluss schäumte sanft ein weißes Herzchen. Die Preise sehen auf den ersten Blick harmlos aus, aber am Ende standen doch knapp 130 Euro auf der Rechnung, wie sonst oft beim feineren Italiener. Bei der Getränkeauswahl lohnt sich genaueres Hinsehen, weil die Weine nicht nach Preisen sortiert sind. Champagner gibt es auch zum dreistelligen Preis. Merke: Das Gefühl und der Geschmack junger globaler Kreativität müssen nicht billig sein. Auch die Zusammenarbeit mit Jägern, Sammlern und Bauern aus Brandenburg muss ihren Preis haben. Aber es lohnt sich auf jeden Fall, es auszuprobieren. Unbeschwert und fast ein bisschen beschwingt verlässt man das Lokal.

Wer suchet, der findet

Man findet das Restaurant freilich nicht ganz leicht, muss erst durch die kunstvoll verlotterte Michelberger-Bar mit guten Drinks und hoher Notebook-Quote hindurch über einen mit roten Glühlampengirlanden dramatisch ausgeleuchteten Hinterhof gehen, um in die Gaststube zu kommen. Aber dann merkt man es auf den ersten Blick: Hier ist Friedrichshain ganz bei sich. Und es ist besser als sein Ruf.

- Michelberger. Warschauer Str. 39, Friedrichshain, Tel. 29 77 85 90, geöffnet Di-Sa 18.30 bis 23 Uhr.

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