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Fußballgucken im Kollektiv könnte bald der Vergangenheit angehören.

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Update

Vor den Champions-League-Spielen: Verbot von Fußballübertragungen in Berliner Kneipen gefordert

Beim Fußballgucken kam es zu vielen Corona-Verstößen. Soll man die Übertragungen verbieten? Das sagen Wirte und der Regierende Bürgermeister.

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Bei der Übertragung des Champions-League-Spiels Bayern München gegen Barcelona sind Fußballfans in Berlin-Mitte massiv durch Verstöße gegen die Corona-Regeln aufgefallen.

Der Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel (Grüne), schlug daraufhin dem Senat vor, „ein Übertragungsverbot für die am Dienstag und Mittwoch stattfindenden Halbfinale in der Champions-League zu verhängen“, wie er am Montag mitteilte.

Am Freitagabend seien allein in einer Fußballkneipe 80 Verstöße wegen Missachtung des Mindestabstands festgestellt worden. Der Einsatz der Polizei und des Ordnungsamtes mit der Aufnahme der Personalien habe sich dort über das Fußballspiel hinausgezogen.

Weil das Schreiben von Ordnungswidrigkeits-Anzeigen zeitaufwendig sei, hätten weitere Kneipen während des Fußballspiels nicht mehr kontrolliert werden können.

Von Dassel betonte: „Auch ich als leidenschaftlicher Fußballfan weiß, wie toll das gemeinschaftliche Schauen von Fußballspielen ist. Ich weiß aber auch, dass dabei Verhältnisse kaum zu verhindern sind, die in nichts den Ausbruchsorten in Clubs nachstehen, in denen sich bis zu 50 Personen an einem Abend infiziert hatten.“

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte am Dienstag der Sitzung des Senats, er sei von einem Verbot von einzelnen Fußball-Übertragungen in Kneipen „nicht ganz so überzeugt“ und plädierte für einen „grundsätzlicheren Weg“. Wenn man Sportbars die Öffnung erlaube, müsse man schauen, unter welchen Auflagen.

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Insgesamt kontrollierten Polizisten und Ordnungsamt in Mitte am Freitagabend fünf Kneipen und zwei Spätis. Mehr als 100 Verstöße wurden festgestellt, es gab drei Anzeigen gegen die Gaststätten, die zum Teil keine oder nur unvollständige Gästelisten vorweisen konnten.

Späti-Betreiber beschweren sich über Kontrollen

Von Dassel betonte, Vorwürfe, die Kontrollen seien rassistisch motiviert, weise er als „pauschale Schutzbehauptungen von kontrollierten Betreibern zurück, die von eigenen Regelverstößen ablenken wollen“.

Das Gewerbe werde unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft oder Religion kontrolliert. Die Mitarbeiter des Ordnungsamtes seien bei ihrer Herkunft ebenso vielfältig wie der Bezirk Mitte insgesamt.

Einige Späti-Betreiber fühlen sich von den Kontrollen trotzdem gegängelt, berichtet der grüne Verordnete aus der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte, Taylan Kurt. Er hat einige Spätis rund um den Rosenthaler Platz besucht und mit den Betreibern gesprochen.

Das von Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel geforderte Alkoholverbot an Spätis bezeichnet er als Aktionismus. „Das Problem sind die Menschen, die feiern und sich nicht an die Corona-Regeln halten“, sagt er. „Dafür die Späti-Betreiber zu bestrafen, ist der völlig falsche Ansatz.“

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Zuletzt hatte es eine Debatte um Verbote von Alkoholverkauf gegeben. In Berlin ist es derzeit in den warmen Augustnächten vor manchen Kneipen und Spätis in der Innenstadt voll und eng. Vor allem die Vorschriften zu Abständen zwischen Tischen, Masken und Kontaktlisten werden häufig nicht eingehalten.

Das Ordnungsamt sei personell zu schlecht ausgestattet und mit den Kontrollen überfordert, sagt Kurt. Deshalb komme der Bezirksbürgermeister nun mit Verboten. Dass sich die Menschen dadurch vom Feiern abhalten lassen, glaubt er nicht. „Polizei und Ordnungsamt müssen kontrollieren, ob die Abstände eingehalten werden. Vor allem in Innenräumen.“

„Plötzlich gilt die Torstraße als Ballermann Berlins“

Zuletzt war das nicht überall der Fall. Am Rosenthaler Platz feierten einige Bars über Wochen wilde Partys. Erst vor einer Woche wurde bekannt, dass sich in der Neuen Odessa Bar eine mit Coronavirus infizierte Person aufgehalten hatte. Da Kontaktlisten oft nicht verlässlich geführt werden, tut sich das Gesundheitsamt bei der Suche nach Kontaktpersonen schwer.

Der Regierende Bürgermeister kündigte am Dienstag angesichts der vielen Verstöße eine neue Aufklärungskampagne an, an der der Gaststätten- und Hotelverband Dehoga, aber wohl auch das landeseigene Stadtmarketing VisitBerlin beteiligt sein solle. „Wir haben das Gefühl, dass da nachgesteuert werden muss“, sagte Müller (SPD).

Er sprach auch das Problem der falschen Listen an. Müller warnte, wenn bestehende Regeln nicht durchsetzbar seien und die Infektionszahlen weiter ansteigen, müsse man „vielleicht die nächsten Lockerungen verzögern, aussetzen oder sogar Dinge zurücknehmen.“ Ein Alkoholverbot sei vorerst nicht geplant, aber: „Wir können nicht zulassen, dass vor den Gaststätten Partys stattfinden.“ Aber man dürfe Verbote nur aussprechen, wenn sie auch durchsetzbar seien.

Hier seien die Bezirke zuständig. Wenn es neue Regeln gebe, müssten diese auch durchsetzbar sein, damit die „Betroffenen einen Lerneffekt“ hätten. Ganz vom Tisch, ist es also nicht.

Besonders bitter ist das für Barbetreiber, die sich vorbildlich an alle Auflagen halten. „Plötzlich gilt die Torstraße als Ballermann Berlins“, sagt Johannes Finke. Er betreibt die Bravo Bar in der Torstraße. Der Innenraum ist dort nur noch zum Bestellen da, die Gäste tragen Masken. Länger aufhalten dürfen sie sich nur an Tischen im neu gestalteten Innenhof.

Dass manche Bars die Regeln ignorieren, bezeichnet er als Schlag ins Gesicht für alle anderen. „Wenn jetzt schon ein Alkoholverbot diskutiert wird, zeigt das wie ernst die Lage ist“, sagt er. Die Bravo Bar mache so schon nur ein Drittel ihres gewohnten Umsatzes. „Wenn wir keinen Alkohol mehr verkaufen dürfen, können wir zumachen.“

In der Weddinger Fußballkneipe wird auf die Regeln geachtet

In anderen Teilen des Bezirks wird weiter streng nach Vorschrift bewirtet: Das Irish Pub „The Lir“ in Tiergarten musste bisher keine ausgewöhnlichen Menschenmassen händeln.

Dort werden nach wie vor feste Tische mit Abstand zueinander vergeben, Kontaktdaten festgehalten und alle Flächen desinfiziert - genauso bei Champions-League-Spielen. Geschäftsführerin Fanchita Manning sagt: „Es gibt keine Stehtische und auch draußen lassen wir niemanden stehen.“

Vor Corona sei natürlich bei Fußballspielen alles voll gewesen, man sei kaum durchgekommen. Jetzt sind die Plätze eben begrenzt. „Das ist viel Arbeit für uns, aber wir halten uns an die Regeln. Wir tun alles, was nötig ist“, betont die 38-Jährige, „Wir leben ja davon!“

Auch in der Weddinger Eckkneipe „Zum Kugelblitz“ wird der Abstand fest eingehalten. Wirtin Christiane Görlitz hat „keine Lust auf Menschenansammlungen“. Selbst während der Fußballspiele „ist nun mal Corona“, sagt sie. Sie könne nur wenige Gäste an den Tischen bewirten.

Wenn mehr Leute das Spiel sehen wollen, können sie sich draußen an die Tische setzen und durch die Fenster reinschauen. „Aber nur an den Tischen!“, betont die Wirtin. Wenn Leute draußen stehen bleiben würden, um reinzuschauen, würde sie sie bitten, weiterzugehen.

Wirtin sorgt sich vor dem Winter

Das sei bisher noch nicht vorgekommen. Doch selbst mit den Tischen draußen, besuchen sie deutlich weniger Gäste als vor der Pandemie. „Während eines Fußballspiels war eigentlich alles voll“, erzählt sie und klingt traurig. Die Kneipe gilt als Treffpunkt für Hertha-Fans. Das gehe natürlich auf die Einnahmen.

„Aber damit müssen wir uns abfinden“, sagt Görlitz. Sie habe Respekt vor dem Virus, aber sie müsse auch Geld verdienen. Sorge machen ihr die kalten Jahreszeiten. „Wie wird’s, wenn keiner mehr draußen sitzen kann? Das machen doch die wenigsten. Dann müssen wir noch mehr Abstriche machen“, meint die Wirtin.

So wie viele andere kämpft auch Görlitz um den Erhalt der Kneipe. Deswegen überlegt sie jetzt, Sky abzubestellen. „800 Euro im Monat ist zu viel“, sagt sie. Vor Corona habe sich das ja noch gelohnt. „Mit nem halbbesetzten Läden kann man aber nicht wirklich was reißen.“

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