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Berlin: Vorwärts in die Vergangenheit Höhenflug und Höhlentouren zum Zeitungsjubiläum –

und ein Ausflug mit Momper zurück zum Mauerfall

Sie kletterten wie Höhlenforscher in den Flakbunker am Humboldthain und wanderten übers Dach des Flughafengebäudes Tempelhof. Sie blickten hinter die Kulissen des Grips-Theaters oder spazierten durchs Bundeskanzleramt und den topsanierten einstigen Hafenspeicher von Universal-Music an der Oberbaumbrücke: Rund 1500 Tagesspiegel-Leser feierten von September bis Dezember auf spannende Weise den 60. Geburtstag Ihrer Zeitung. Sie nahmen an 30 Zeitreisen durch Berlin teil, die wir organisiert hatten: Exklusive Jubiläumstouren durch die vergangenen sechs Jahrzehnte, deren Geschichte der Tagesspiegel seit seiner ersten Ausgabe am 27. September 1945 journalistisch begleitet hat. Ausflüge zu Orten, die eng mit der Historie verbunden, aber normalerweise verschlossen sind. Was die Teilnehmer erlebten, zeigt diese Sonderseite in einer kleinen Galerie. Auch die nachfolgend erzählte Tour mit Walter Momper zu Stätten des Mauerfalls gehörte dazu. Außerdem geben wir Tipps, wie Sie sich ähnliche Berlin-Touren auch selbst organisieren können.

* * *

„Hallo, Herr Momper!“ begrüßten sie ihn in der Maueröffnungsnacht am 9. November 1989. Da stand er auf einem wackligen Tisch an der Invalidenstraße, das Megafon in der Hand, und später nahe dem Brandenburger Tor, wo sie auf die Mauerkrone geklettert sind, Deutsche aus Ost und West im Freudentanz und im Wasserwerferstrahl vereint. „Kommt bitte da runter!“, rief Momper, Schreckliches ahnend, was passieren könnte an diesem neuralgischen Punkt. Aber was antworteten sie ihm? „Mann, ist das ein geiles Gefühl auf der Mauer zu stehen“.

Der einstige Regierende Bürgermeister und heutige Präsident des Abgeordnetenhauses, der an diesem freundlichen Tag statt seines Schals einen roten Schlips trägt, ist der beste Zeitzeuge, den man sich für eine Tour zu den einstigen Stätten des Mauerfalls wünschen kann. „Es war ein großes Glück, in dieser Zeit Regierender Bürgermeister zu sein“ sagt er. Und 50 Tagesspiegel-Leser haben das Glück, Walter Momper als Stadt- und Grenzübergangsführer zu erleben. Sie nehmen an einer Zeitreise des Tagesspiegels zurück in die 80er Jahre teil.

Im Videobus der Stadtführungsagentur „Zeitreisen“ folgen sie dem imaginären Mauerstreifen, auf Bildschirmen über den Sitzen werden jeweils Filmdokumente vom Mauerfall zu den Stationen der Tour eingespielt – und Walter Momper ist oft im Bild. Heute, 15 Jahre danach, gibt er seinen Kommentar dazu. Der Akteur von damals erzählt allerlei Begebenheiten rund um den 9. November 1989, als die 28-jährige Grenzsicherung fiel und der Osten in den Westen kam.

Am Checkpoint Charlie erinnert Momper daran, dass nicht jeder überall rüberkonnte, der Checkpoint war Ausländern und Diplomaten vorbehalten. Die DDR-Grenzer reagierten obrigkeitshörig. Wenn der Wagen des Regierenden Bürgermeisters mit dem Kennzeichen B 3 - 1 zum Übergang Invalidenstraße kam, „wurde eine Spur frei gemacht, der Normalbürger hatte es schwerer mit den peinlichen Kontrollen“. Am Abgeordnetenhaus erzählt der Hausherr, dass im Obergeschoss, direkt über der Grenze, ein russischer Horchposten die Bewegungen auf dem Flughafen Tempelhof beobachtete.

Der 12. November 1989 hatte für den damals unwirtlichen Potsdamer Platz eine besondere Bedeutung: „Zusammen mit dem Oberbürgermeister Krack aus Ost-Berlin haben wir einen Grenzübergang vereinbart, im Osten hatten sie im Eiltempo eine Straße neu asphaltiert, aber da die Mauer dazwischen war und die Straßenbauer nicht nach dem Westen gucken konnten, hatte die Verbindung keinen Anschluss, das heißt, zwischen den Straßen, die aufeinander treffen sollten, lagen zehn Meter Unterschied, das wurde nachts mit Hochdruck begradigt“. Später haben die DDR-Offiziere gefragt: „Herr Momper, wie haben wir das gemacht?“ „Super“, meinte der Mann mit dem roten Schal, „deutsche Wertarbeit“.

Historisch wurde die Freudenkundgebung am 10. November vor dem Schöneberger Rathaus: Momper, in dieser Zeit Bundesratspräsident, kam aus Bonn, als Parlamentspräsident Wohlrabe und der SFB die Versammlung propagiert hatten. Kanzler Kohl, der aus Warschau herbeieilte, sollte später, als sie ihn mit Pfiffen empfingen, Momper verdächtigen, „den rot-grünen Pöbel“ versammelt zu haben.

Kohl war sowieso sauer, er durfte wegen des Viermächtestatus nur über Umwege von Warschau nach Berlin fliegen. Momper: „Er dampfte auf mich zu und wollte die Rednerliste sehen. Der Kanzler sollte als vorletzter, Willy Brandt als letzter sprechen. Das mißfiel ihm, er wollte den Schlußpunkt setzen“. Als Momper sprach („Wir Deutschen sind jetzt das glücklichste Volk auf der Welt!“) gab es Beifall, doch Kohl zischelte: „Der redet ja wie Lenin“. Willy Brandt rief prophetisch: „Nichts wird mehr so sein wie es war – Berlin wird leben, und die Mauer wird fallen.“

Am Übergang Invalidenstraße strömten die Massen rüber, Rotkäppchen floß, Walter Momper kam gegen 23 Uhr 30 und öffnete eine angelehnte, aber noch geschlossene Tür im Zaun. Da kam ein Major und raunzte ihn an: Das geht nicht! Momper: „Ich möchte zum Hauptmann, außerdem bin ich der Regierende Bürgermeister von West-Berlin.“ „Na ja, dann kommen se mal mit“, sagte der Beamte und telefonierte. Momper telefonierte auch, nach den Chefs der Alliierten, die saßen alle ahnungslos bei einer Feier. Dann stieg er auf einen Tisch und beruhigte die Menschen. Später erfuhr er, was der Major mit seinem Oberst besprochen hatte. „Der Momper ist hier.“ „Was tut der?“ „Hält Volksreden. Was sollen wir mit dem machen?“ „Weiß ich auch nicht“. „In den Keller sperren?“ „Bloß nicht. Laßt das einfach laufen.“ Dann waren plötzlich alle Grenzer wie vom Erdboden verschluckt.

So lief es hier und überall. Momper fragte sich, wie den Grenzern wohl zumute war: fast 40 Jahre keinen rübergelassen – und nun erkannt: Alles vergebens. Wem ist es zu verdanken, dass das alles ohne Blutvergießen ablief? Walter Momper hat einen schönen Schluss für diese Zeitreise: „Protestantische Ethik und preußische Disziplin haben dazu geführt, dass das Wunder friedlich geblieben ist.“

Multimediale Zeitreisen im Videobus durch die Berliner Geschichte können Sie auch selbst buchen – allerdings ohne den einstigen Regierenden: Agentur Zeitreisen, Tel.: 44024450, www.videobustour.de.

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