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Werbematerial des CDU-Politikers Thilo-Harry Wollenschlaeger beim abgebrannten Wahlkampfbus.

© dpa

Wahlkampf in Berlin: Auf Gewalt gegen Sachen folgt Gewalt gegen Menschen

In der idealen Demokratie werden Argumente ausgetauscht, dann wird abgestimmt. In der realen Demokratie glauben viele, Gewalt gegen Sachen wäre moralisch gerechtfertig. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Wenn sich die Politik auf die Straße begibt, zeigt sich regelmäßig, dass Demokratie nichts Selbstverständliches ist. In jedem Wahlkampf wähnen sich Menschen berechtigt, Plakate zu zerstören, Hausfassaden zu beschmieren und die Fenster von Politikerbüros einzuwerfen: Gewalt gegen Sachen. Die Zerstörung des Wahlkampfmobils eines Spandauer CDU-Politikers gehört – wenn sie denn politisch motiviert gewesen ist – auf die lange Liste der politisch motivierten Sachbeschädigungen mit Gewöhnungseffekt. Sie wirken primitiv. Sie sind antidemokratisch. Sie müssten bestraft werden, aber man kann nicht an jedes Plakat einen Polizisten stellen. Und es gibt Schlimmeres.

Die meisten von denen, die in ein paar Wochen in Berlin wählen dürfen, werden es so sehen: abgerissene Plakate, Hitler- Bärtchen auf freundlich lächelnden Kandidatengesichtern, pöbelnde Politik-Verächter, die die Leute an den Ständen beschimpfen, während sie Wahlwerbung loszuwerden versuchen, gehören dazu. Ein bisschen Schwund ist immer.

Denn da ist eben dieser Abstand zwischen der idealen und der realen Demokratie. In der idealen werden Argumente in der Debatte ausgetauscht, dann wird abgestimmt. In der realen Demokratie haben die einen mehr, die anderen weniger Geld für Werbung. Und wieder andere sind schlicht genug zu glauben, dass, beispielsweise, serienweises Entfernen von AfD-Plakaten den zu erwartenden Einzug der Populisten ins Abgeordnetenhaus verhindern könnte. In der realen Demokratie leben eine Menge Menschen, die glauben, für Gewalt gegen Sachen gäbe es so etwas wie eine moralische Rechtfertigung.

Auf Gewalt gegen Sachen folgt in unfriedlichen Zeiten Gewalt gegen Menschen

Die gibt es nicht. Es gibt allerdings das gesicherte Wissen, dass zum Beispiel die deutsche Geschichte zeigt, was passieren kann, wenn sich in der Politik Gewalt breit macht. Auf Gewalt gegen Sachen folgt in unfriedlichen Zeiten Gewalt gegen Menschen. Unfriedliche Zeiten sind Zeiten, in denen Gewalt gegen Sachen normal geworden ist. Dann stellt sich so ein Weimarer-Republik-Gefühl ein.

Zum Glück leben wir in friedlichen Zeiten. Allerdings muss man nicht mehr allzu weit gucken, um zu sehen, wie schnell die Zeiten unfriedlich oder zumindest angespannt werden können – nur bis nach Frankreich oder Polen, von weiteren Perspektiven zu schweigen. Das ist kein Grund, gleich hysterisch zu werden, für Wähler nicht und nicht für Politiker. Allerdings kann man mal daran erinnern, dass die, die gewählt werden wollen, derzeit den schwereren Job machen. Sie bewegen sich auf einem schmalen Grat. Sie müssen provozieren, um zu mobilisieren. Doch je heftiger sie Stimmung machen, desto eher tragen sie zu einer Stimmung bei, in der die Plakatzerstörer, die Pöbler und die Populisten sich wohlfühlen.

Wahlkampf funktioniert nicht ohne Provokation. Er funktioniert auch nicht ohne die Art von Vereinfachung, die manche schon nervt. Nichts davon kann begründen, das Prinzip Gewalt in die Politik einzuführen, Gewalt gegen Sachen oder Gewalt gegen Personen. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Wehren können sich Politiker auch so. In Prenzlauer Berg hat sich die CDU-Wahlkreiskandidatin Christina Henke über zerstörte Plakate geärgert – nun schlägt sie verbal zurück. Auf ihrem Plakat sagt sie per Sprechblase: „Klar kannst Du mein Plakat wieder abreißen. Aber dann bist Du halt kacke!“ Das kann wirklich jeder verstehen.

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