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Wahlkampf in Berlin: In Lichtenberg wird es bunter

In der Linken-Hochburg Lichtenberg hat die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch ein Heimspiel. Doch langsam ändert sich die Sozialstruktur, davon will SPD-Direktkandidat Andreas Geisel profitieren.

Die Roten sind nicht zu stoppen. Unaufhaltsam steigen die bunten Ballons in den Himmel über dem Lichtenberger Einkaufszentrum, das nach dem benachbarten Tierpark „Bärenschaufenster-Center“ heißt. Knallrot sind sie, die gasgefüllten Werbeträger der Linken, von denen die Kinder begeistert sind. Hin und wieder reißt sich ein Ballon los und steigt an den 20-geschossigen Hochhäusern entlang nach oben.

Die Linke befindet sich hier seit Jahren auf einem ähnlichen Höhenflug. Deren Direktkandidatin Gesine Lötzsch, die vor 48 Jahren in Lichtenberg geboren wurde und auch nach dem Einzug in den Bundestag 2002 ihrer Plattenbauwohnung treu blieb, holte vor sieben Jahren knapp 40 Prozent der Erststimmen, vor vier Jahren kam sie gar auf 42,9 Prozent – zehn Prozentpunkte vor ihrem SPD-Konkurrenten, dessen Partei bei den Zweitstimmen allerdings mit 34,4 Prozent nur haarscharf hinter der Linken mit 35,5 Prozent lag.

Lötzsch, die sich im Bundestag als Haushaltsexpertin einen Namen gemacht hat und als mögliche Ko-Parteichefin der Linken neben Oskar Lafontaine im Gespräch ist, vermittelt mit ihrer verbindlichen, zugänglichen Art im Wahlkreis vielen Leuten das Gefühl, „eine von uns“ zu sein, wie es eine Wählerin formuliert – eine Politikerin, die sich gegen alle Widerstände im Zentrum der Macht behauptet und dort etwas für die kleinen Leute tut, für die Armen und für jene, die sich zu den Entrechteten zählen. Davon gibt es in Lichtenberg, wo nach 1989 etliche Industriebetriebe dichtgemacht wurden, viele. Auch, weil hier einst die Staatssicherheit besonders viele Beschäftigte hatte, woran heute die Gedenkstätte in der einstigen Stasi-Zentrale in der Normannenstraße erinnert.

„Das ist weniger politisch und mehr demografisch zu erklären“, sagt der SPD-Kandidat Andreas Geisel, wenn man ihn auf die Ergebnisse der Linken anspricht. Der ebenfalls in Lichtenberg geborene Baustadtrat, der von Weitem Klaus Wowereit ähnlich sieht und am Wahlkampfstand von Bürgerinnen schon mal für sein gutes Aussehen gelobt wird, hält der Linken vor, sich modern und geläutert zu geben, aber zugleich die alte SED-Klientel zu bedienen, auch wenn Lötzsch sich hin und wieder von allzu öffentlichen Selbstbehauptungen der alten SED- und Stasi-Garde distanziert. „Die Linke zwinkert bewusst in Richtung der alten Genossen“, sagt Geisel, während er vorüberschlendernden Einkaufsbummlern die Werbezettel der SPD zusteckt.

Dennoch sieht der 43-Jährige Grund zur Zuversicht: Von Ergebnissen wie einst kurz nach der Wende von mehr als 50 Prozent könne die SED-PDS-Nachfolgepartei heute nur noch träumen. Dass der Rückgang der Linken-Wählerschaft dennoch langsamer vorangeht als nach der Wende von manchem erwartet, erklären Wahlkämpfer wie die Grünen-Politikerin Franziska Eichstädt-Bohlig oder Edeltraut Töpfer (CDU) mit der Weitergabe politischer Tradition an die nächste Generation. Sowohl Eichstädt-Bohlig als auch Töpfer haben manche Veranstaltung erlebt, bei der Schüler Fragen zu Hartz IV oder Rentenproblemen stellten, wie sie sonst meist nur ältere Wähler interessieren. Sie vermuten, dass sich bei den Jungwählern die politischen Präferenzen von Eltern und Lehrern wiederspiegeln.

Die unterschiedliche Tradition illustrieren auch die Mitgliederzahlen: Während die Linke in Lichtenberg 2000 Mitglieder zählt, kommt die SPD gerade mal auf 450. Die CDU zählt 250 Mitglieder, die Grünen 85 – von denen sind allerdings laut Eichstädt-Bohlig nur 15 politisch aktiv.

SPD-Mann Geisel versucht, die schmale Basis mit seiner Leistungsbilanz als Stadtrat wettzumachen. Strategisch ist der Sozialdemokrat zu einem Spagat gezwungen: Während bundesweit der Hauptgegner bei der Wahl CDU heißt, kämpft Geisel im Wahlkreis vor allem gegen die Linke und ihre Argumente - und das, wo man mit der Partei seit Jahren im Bezirksamt gut zusammenarbeitet.

Von den Wählern werden Geisels Leistungen wahrgenommen. Dennoch sehen viele in erster Linie Lötzsch als ihre Vertreterin an: „Die hört zu, ist offen für alle unsere Sorgen, veranstaltet viele Foren“, sagt eine Wählerin, die an Geisels Wahlstand ein SPD-Faltblatt in Empfang nimmt. Neben dem persönlichen Auftreten der Kandidaten bestimmt auch in Lichtenberg vor allem das Sein das Bewusstsein. Während die Wahlkämpfer in Plattenbauvierteln wie in Hohenschönhausen meist auf Rente und Hartz IV angesprochen und im Falle von SPD-Mann Geisel dafür kritisiert werden, dominieren in wohlhabenderen Gegenden wie Karlshorst oder rund um die teuren Neubauten an der Rummelsburger Bucht an der Grenze zu Kreuzberg-Friedrichshain Themen, bei denen Grüne und SPD besser abschneiden: Umweltschutz, Bildung und andere postmaterielle Fragen.

Lötzsch’ Stärke ist, dass sie glaubhaft den Spagat zwischen Bürgernähe und Bundespolitik verkörpert. So schmückt sie sich damit, dass sie beim Finanzminister erfolgreich für mehr Geld zur Sanierung von Schulen in Lichtenberg geworben habe. Das korrespondiert mit der Dominanz der Linken im Bezirk. Vor allem Bezirksbürgermeisterin Christina Emmrich vermittelt den Wählern das Gefühl, ihre Partei setzte sich mehr als andere für die Bürger ein – oft unter Berufung auf die gemeinsame Vergangenheit. So schwärmt sie bei einer Wahlkampfveranstaltung vom Projekt Bürgerhaushalt des Bezirks, bei dem die Einwohner über einen Teil der Ausgaben mitbestimmen dürfen. Da gehe es darum, „sich verantwortlich zu fühlen – etwas, das wir aus DDR-Zeiten gerettet haben“. Konservativ und links sind in Lichtenberg für viele Menschen eben kein Widerspruch.

Lars von Törne

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