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Der "Berliner Energietisch" will ein landeseigenes Stadtwerk mit landeseigenem Stromnetz. Am Sonntag stimmen die Bürgerinnen und Bürger darüber ab.

© dpa

Was man vor dem Volksentscheid in Berlin wissen muss: Wie baut man ein Stadtwerk auf?

Am Sonntag stimmen die Berliner über ein landeseigenes Stadtwerk ab. Dass es gegründet wird, ist durch einen Beschluss der Koalition schon klar - aber wie? Wir haben uns drei Beispiele aus dem Süden und dem Norden angeschaut.

Von Sabine Beikler

Landeseigenes Stromnetz, landeseigenes Stadtwerk: Am Sonntag stimmen die Berliner per Volksentscheid darüber ab. Das Stadtwerk wird gegründet, darauf hat sich die Koalition verständigt. Nur wie baut man ein Stadtwerk auf, für das der Senat im Doppelhaushalt pro Jahr 1,5 Millionen Euro veranschlagt hat? Ein „Bonsai-Stadtwerk“, frotzelt Grünen-Politiker Michael Schäfer. „Wir dachten, wir reden doch mindestens über die Liga Stadtwerke Hamburg, kleiner kann es ja wohl nicht sein. Dann kam der Senat, und es ist nicht die Liga Hamburg, es ist die Liga Pfarrkirchen“, sagte Schäfer in der vergangenen Plenarsitzung. Pfarrkirchen? Die kleine Kreisstadt im niederbayerischen Landkreis Rottal-Inn hat eigene Stadtwerke. Die haben auch Hamburg oder München. Aber wie funktionieren sie?

Im bayerischen Pfarrkirchen ist sogar die CSU für die Rekommunalisierung

Georg Riedl ist Hobbyimker, Erster Bürgermeister des 12 600 Einwohner zählenden Städtchens Pfarrkirchen und Rekommunalisierungsbefürworter. „Wasser- und Trinkwasserversorgung gehören in kommunale Hand“, sagt der CSU-Politiker, der Bezirksvorsitzender des Bayerischen Städtetages und Mitglied im Hauptausschuss des Deutschen Städtetags ist. Die Stadtwerke sind in seiner Stadt „100-prozentig kommunal, keine GmbH, sondern ein Eigenbetrieb“. Pfarrkirchen hatte übrigens Ende des 19. Jahrhunderts die erste kommunale Stromversorgung Niederbayerns aufgebaut. Heute wird die Stadt über ein Umspannwerk versorgt, der Verkabelungsgrad liegt bei 90 Prozent. Die Stadtwerke Pfarrkirchen sind für die Strom-, Gas-, Wasserversorgung, für das Erlebnisbad und den Stadtbus zuständig. Pfarrkirchen bietet „nicht komplett regenerativen Strom“ an, sagt Riedl. „Autark sein funktioniert nicht. Wir müssen manchmal an der Strombörse kaufen.“

Wer aber will, kann auch „richtig grünen Strom“ kaufen, sagt Riedl. Die Eigenproduktion regenerativer Energien hält sich in der Gemeinde in Grenzen. Man habe Anteile an kleineren Wasserkraftwerken und 5,2 Millionen Euro in Fotovoltaikanlagen investiert. Im Vorjahr machten die Stadtwerke Pfarrkirchen sogar Gewinn: 1,5 Millionen Euro – so viel wie der geplante Zuschuss für das Berliner Stadtwerk. Das Eigenkapital der Pfarrkirchner Stadtwerke beträgt drei Millionen Euro – die geplante Gesamtsumme 2014/2015 für das Berliner Stadtwerk.

Das Stadtwerk in München war immer in der Hand der Kommune

Die Stadtwerke München (SWM) sind „eigentlich schon immer“ kommunal, sagt Sprecherin Bettina Hess. Das 100 Prozent kommunale Unternehmen sichert die Versorgung mit Strom, Erdgas, Trinkwasser und Fernwärme der 1,4 Millionen Einwohner der bayerischen Landeshauptstadt. Die SWM hat die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) als Tochter und betreibt 18 Hallen- und Freibäder. Bis 2025 will die SWM so viel Ökostrom in eigenen Anlagen produzieren, wie ganz München verbraucht: rund 7,5 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr. „München will weltweit die erste Millionenstadt sein, die dieses Ziel erreicht“, werben die Stadtwerke. Für ihre „Ausbauoffensive Erneuerbare Energien“ stellen die Stadtwerke neun Milliarden Euro zur Verfügung.

In der SWM-Strategie spielt neben Wasser, Geothermie, Biomasse, Sonne vor allem die Windkraft eine zentrale Rolle. Die SWM sind an Onshore-Windparks in Europa beteiligt, geplanten Offshore-Windparks in der Nordsee vor Sylt oder in der Irischen See. Gemeinsam mit einem Partner haben die SWM im Flussbett der Isar ein Wasserkraftwerk errichtet, das zehn Millionen Kilowattstunden Ökostrom im Jahr produziert. Für den Ausbau der erneuerbaren Energien in München haben die SWM rund 7,2 Millionen Euro investiert. Die jährliche Gewinnausschüttung an die Stadt liegt bei 100 Millionen Euro, hinzu kommen Konzessions- und Gewerbesteuer, weshalb sich der Gesamtbetrag auf 250 Millionen beläuft.

Die Hamburger stimmten für einen Rückkauf des Stromnetzes

Hamburg Energie wurde 2009 als Tochter der Hamburger Wasserwerke gegründet, zu 100 Prozent in städtischer Hand. Analog soll das Berliner Stadtwerk als Tochter der Wasserbetriebe firmieren. Bei einer Million Euro Stammkapital erhielt Hamburg Energie ein Gesellschafterdarlehen von neun Millionen Euro. Inzwischen betreibt das Hamburger Stadtwerk 25 Fotovoltaikanlagen, drei große Windenergieanlagen, drei Blockheizkraftwerke und hat rund 95 000 Kunden. Im Jahr 2012 wurde erstmals ein Gewinn von 800 000 Euro erzielt. Hamburg Energie kauft den für die Versorgungssicherheit notwendigen Ökostrom über Direktverträge mit Anlagenbetreibern dazu, die Ökostrom anbieten, der mit einem verlässlichen Gütesiegel zertifiziert ist. Das Stadtwerk verpflichtet sich im Gegenzug, mindestens 50 Prozent des Jahresverbrauchs der Kunden binnen fünf Jahren aus eigenen regenerativen Anlagen zu erzeugen.

Für Hamburg Energie änderte sich nach dem Volksentscheid „Unser Hamburg – unser Netz“ nichts. Die Hamburger stimmten am 22. September mit rund 51 Prozent für einen kompletten Rückkauf der Energienetze. Die Stadt Hamburg hält bereits 25,1 Prozent Anteile am Stromnetz.

Der Tagesspiegel hat alle Fragen der Leserinnen und Leser zum Volksentscheid Energie beantwortet. Hier finden Sie die Antworten.

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