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Berlin: Was Rütli anziehend macht

Die Neuköllner Hauptschule, ein Synonym für das Bildungsdesaster, wird zur Modefabrik Zwei Studenten gründeten das Label, die Schüler entwerfen die Kollektionen

Tom Hansing beendet gerade sein Soziologiestudium, das Thema seiner Diplomarbeit ist: „Stigmatisierung“. Und während er sich noch durch die Theorie las, fand die Praxis fast direkt vor seiner Haustür statt. Hansing wohnt nämlich keine 200 Meter entfernt von der Rütli-Schule. Als im April nach dem öffentlichen Hilferuf der Lehrer die Medien und mit ihnen die Rütli-Schule Kopf standen, sah sich Hansing das Spektakel vor dem Schulgebäude an. „Das war schon absurd, wie die Rütli-Schüler plötzlich das Stigma der gewaltbereiten Krawallmacher aufgedrückt bekamen. Das war großes, schlechtes Theater“, sagt er.

Zusammen mit seinem Kommilitonen Matthias Tenten entwickelte er den Plan, dieser Stigmatisierung etwas entgegen- zusetzen. Ein Projekt, durch das die Rütli-Schüler ihre eigene Identität zurückbekommen sollten. Denn die Schüler werden noch lange an dem Stigma der Krawallmacher zu knabbern haben, da ist Hansing ganz sicher.

Eine alte Schulfreundin von Matthias Tenten arbeitet in der Siebdruckwerkstatt „Druckreif“, und so entstand die Idee, den Schülern durch bedruckte Kleidung die Möglichkeit zu persönlichen Botschaften zu geben. Gleich am nächsten Tag sicherten sie sich den Namen „Rütli-Wear“ beim Deutschen Marken- und Patentamt. „Rütli-Wear“ beinhaltet drei Ideen: Zunächst wurden T-Shirts mit dem Schriftzug „Rütli“ bedruckt. Durch das Tragen dieser T-Shirts kann jeder seine Solidarität mit der Schule ausdrücken, und die kleine Croissanterie gegenüber von Hansings Wohnung erklärte sich auch sofort bereit, die T-Shirts zu verkaufen. Für die anderen beiden Ideen setzten sich Hansing und Tenten mit dem Direktor in Verbindung. Helmut Hochschild, eine Woche vor den Osterferien als kommissarischer Leiter der Schule eingesetzt, verbrachte die Ferienzeit damals in der Schule, um das Chaos und die vielen Hilfsangebote zu sortieren. Die Idee der beiden Studenten gefiel ihm sofort. „ Das Projekt steigert die Motivation und lässt Stolz für das Selbstgemachte und damit ein gestärktes Selbstbewusstsein aufkommen“, glaubt Hochschild.

Bis Anfang September läuft nun ein Wettbewerb unter den Schülern, mit dem das offizielle Schullogo gesucht wird. Das Siegerlogo wird dann auf T-Shirts gedruckt. Ab dem kommenden Schuljahr arbeiten die Schüler in den Fächern Arbeitslehre und Kunst an einer eigenen Kollektion, entwerfen verschiedene Kleidungsstücke, lernen, wie man mit dem Siebdruckverfahren arbeitet. Es soll auch nicht nur bei einem Logo bleiben. Die Schüler können sich Botschaften überlegen, die sie auf die Kleidung drucken wollen. Ausgenommen sind sexistische, gewaltverherrlichende, religiöse und politische Botschaften. Durch diese Botschaften soll den Schülern die Chance zurückgegeben werden, selbst zu bestimmen, wie sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. „Wir reißen das Label ’Rütli’ sozusagen an uns und geben es den Schülern zurück“, erklärt Tom. Bis jetzt stecken die beiden noch „knietief im Dispo“, die Schule kann das Projekt nicht finanzieren. Sie werden versuchen, Fördergelder von der EU zu bekommen.

Die „Rütli“-T-Shirts und die Kollektion der Schüler werden im Onlineshop von „Rütli-Wear“ verkauft. Der Erlös kommt der Schule zugute. Die Reaktionen auf die T-Shirts in der Öffentlichkeit waren bisher geteilt. Ein Mädchen aus der Rütli-Schule hat erzählt, dass manche Leute im Kiez gereizt reagiert hätten. „Die Leute, die glauben, an der Rütli-Schule würden tatsächlich schlimme Zustände herrschen, empfinden die T-Shirts natürlich als Provokation“, sagt Tom. Auch er muss zurzeit oft erklären, warum er das Rütli-T-Shirt trägt. Manche Leute fragen, wo es das zu kaufen gibt. Manche fragen, ob man damit wirklich hausieren gehen müssen. Manche fragen, ob das ernst gemeint sei.

Deniz ist 18. Er fand die Zeit im März, als die Rütli-Schule in die Schlagzeilen geriet, schrecklich. „Ich wollte damals gar nicht mehr zur Schule gehen.“ Die Sache mit den T-Shirts findet er gut. Er weiß auch schon, was er auf die T-Shirts drucken will: „Wir sind anders“. Anders, als viele denken.

www.ruetli-wear.de

Lisa Zimmermann

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