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Peter Spiro (1918-2018)

© privat

Nachruf auf Peter Spiro (Geb. 1918): Weltbürger wider Willen

Wäre er in Deutschland geblieben, hätte er kaum überlebt. Dennoch nahm Peter Spiro es seinen Eltern übel, dass sie ihn 1935 in die Schweiz schickten. Nachruf auf einen, der Engländer wurde und Berliner blieb.

"Toi toi toi, ich bin ein Viertel Goi!“, sagte er manchmal. Goi, das jiddische Wort für Nichtjude. Dieses Viertel Nichtjüdischsein hätte Peter Spiro kaum geholfen, wäre er länger in Deutschland geblieben. Drei jüdische Großeltern wogen nach den Nürnberger Gesetzen genauso viel wie vier, die nationalsozialistischen Rassenkundler rundeten auf. Auschwitz-Birkenau war das wahrscheinlichste Szenario.

Dass es anders kam, verdankte Peter Spiro seinem Vater, dem Maler Eugen Spiro, der die Zeichen der Zeit erkannt hatte und einem Teil seiner weitverzweigten Künstlerfamilie den Weg ins Exil bahnte. So lebte Peter von 1936 an den Rest seines Lebens in London, obwohl er sich gegen die Emigration noch heftig zur Wehr gesetzt hatte.

Mit seiner Heimatstadt Berlin verband ihn zeitlebens eine große Liebe. Nach dem Krieg reiste er regelmäßig ins Land der Richter und Henker, auch seine Jobs in England wählte er vor allem danach aus, ob sie mit Fahrten nach Deutschland vereinbar waren.

Sein Deutsch klang nach Vergangenheit

Wenn Peter Spiro erzählte, kam die Welt seiner Berliner Kindheit und Jugend in leuchtenden Farben zum Vorschein, 2009 erschien ein Buch mit seinen Erinnerungen: „Nur uns gibt es nicht wieder“. Das Gestern war sein ewiges Zuhause. Auch sein Deutsch klang deutlich nach Vergangenheit, der schnarrende Sound der Dreißigerjahre und die eigentümlichen Wendungen der Zeit hatten sich in der englischen Diaspora konserviert.

Peters Bezirk war Charlottenburg. Im Haus seiner Eltern gaben sich die Größten aus Wissenschaft, Kunst und Literatur die Klinke in die Hand. Der Vater Eugen, Präsident der Berliner Sezession und Intimfeind von Max Liebermann, war der renommierteste Porträt-Maler der Zeit. Thomas Mann, Gerhard Hauptmann, Max Planck, Leni Riefenstahl, wer was auf sich hielt, wünschte sich ein Bild von Eugen Spiro. Eine Ausnahme war Albert Einstein. Der erklärte, er lasse sich nur porträtieren, um einem darbenden Künstler auf die Sprünge zu helfen. So kam das Einstein-Porträt erst Jahre später zustande, als Spiro wie Einstein in Amerika weilte und der Ruhm verblasst war. Peter war überzeugt: „Wäre mein Vater im Anschluss an den Krieg nach Deutschland zurückgekehrt, hätte er seinen Status als einer der Großen mit Sicherheit behalten“.

Peter Spiro wusste, dass er seinen Eltern und der Flucht sein Leben verdankte. Trotzdem hat er es ihnen zeitlebens verargt, dass sie ihn ein Jahr vor dem Abitur, 1935, aus der Schule genommen und in die Schweiz geschickt hatten. Von dort aus fand er mithilfe eines Familienfreundes und Großindustriellen schließlich seinen Weg nach England. Die Eltern flohen zunächst nach Paris und dann weiter nach Übersee. Peter wusste natürlich, dass es die Nazis waren, die ihm seine Welt gestohlen hatten. Der Groll dem deklassierten Vater gegenüber stand in merkwürdigem Widerspruch dazu. Auch das war Peter, der von Beruf Ingenieur, aber im Herzen Historiker war, selbstverständlich bewusst.

Schon früh hatte er sich für Politik und Geschichte interessiert. Mit elf erklärte er seinen Eltern, er sei jetzt Kommunist. Später lieferte er sich auf dem Pausenhof der Herderschule mit reaktionären Mitschülern heftige Debatten. Und er erlebte, wie die Nazis seiner einst privilegierten Familie zusetzten. Peters Vater, der prophezeit hatte, auch Hitler werde sich noch von ihm malen lassen, bekam Ausstellungsverbot, alte Freunde fielen den Spiros in den Rücken. Dafür aber rückten vormalige Feinde zuweilen dichter zusammen. So gehörte Eugen Spiro 1935 zu den wenigen, die Steine auf das Grab von Max Liebermann legten, obwohl die Teilnahme an der Beerdigung auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee bei Strafe untersagt worden war.

Lauter Künstler in der Familie

Antisemitismus bekam Peter Spiro auch noch in der Schweiz und in England zu spüren. Als im Jahr 1939 der Krieg ausbrach, hatte er als Deutscher und Jude einen doppelt schweren Stand. Seinen Charme aber bewahrte er sich. So bezirzte er im Krankenhaus, wo er wegen eines eingewachsenen Zehennagels ein paar Tage verbringen musste, eine britische Krankenschwester, die bald darauf seine Frau wurde. Seine englische Familie, so erzählte es Peter, habe ihn von Entfremdung und Einsamkeit kuriert. Sie war der Grund, warum er nach 1945 nicht dauerhaft in seine Heimatstadt zurückkehrte.

Gemeinsam mit seiner Tochter Elizabeth führte er das Werk seines Vaters fort. Bis vor wenigen Jahren reisten die beiden regelmäßig an Orte, die Eugen Spiro gemalt hatte, und zitierten dessen Landschafts- und Städtegemälde mit ihren jeweils eigenen Bildern.

Wie sollte man sich auch in einer solchen Familie nicht künstlerisch betätigen? Der Vater war schließlich nicht das einzige Großtalent. Peters in Paris lebende Tante, die exzentrische Baladine Klossowska, letzte Geliebte von Rainer Maria Rilke, malte ebenfalls. Und auch seine Vettern, der Autor Pierre Klossowski und der Maler Balthus haben sich einen Namen gemacht.

Peter hat nie verstanden, warum sich die Verwandten mit ihren deutschen und jüdischen Wurzeln nicht so gerne auseinandersetzten. Er begriff sich als Engländer, Deutscher und Jude, als Londoner und Berliner, als reisender Weltbürger sowieso. Als er starb, war er fast 100 Jahre alt. Über einen Nachruf in deutscher Sprache hätte er sich bestimmt gefreut.

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