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Berlin: Wenn die Opfer schweigen

Mehr als 168 Überfälle gab es 2003 auf Homosexuelle. Die Dunkelziffer gilt als hoch. Weil viele Männer sich nicht als schwul outen wollen

Täter, die es auf schwule Opfer absehen, haben oft dieselbe Methode: Sie gehen in die Szenelokale für schwules Publikum und geben sich als Strichjungen aus. Dann lassen sie sich von ihrem potenziellen Opfer mit nach Hause nehmen. Dort setzen sie es mit „K.-o.-Tropfen“ außer Gefecht oder schlagen es nieder und rauben es aus. Oft gehen die Täter so brutal vor, dass das Opfer sogar zu Tode kommt.

Klaus E., der erstochen in seiner Wohnung in Köpenick aufgefunden worden ist, gilt nach ersten Ermittlungen der Mordkommission nicht als typisches schwules Raubopfer (siehe Kasten). Dennoch leben Schwule häufig gefährlich. Warum, erklärt Uwe Löher, beim Landeskriminalamt (LKA) Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen: Schwule gelten eher als „schwach und deshalb angreifbar“. Außerdem seien sie als Opfer aus der Sicht der Täter geeignet, weil viele Homosexuelle sich nicht trauten, Anzeige zu erstatten: „ Zum einen, weil sie sich nicht als homosexuell outen wollen. Und zum anderen, weil sie nicht zugeben wollen, dass sie möglicherweise Strichjungen mit nach Hause genommen haben“, sagt Löher.

Eine spezielle Statistik zu schwulenfeindlichen Taten führt das LKA nicht. „Wir erfahren das ja nur, wenn das Opfer die Tat anzeigt und auch angibt oder aus dem Protokoll ersichtlich ist, dass das Opfer homosexuell ist“, erklärt Löher. Die Dunkelziffer in diesem Bereich ist sehr hoch.

Einen Anhaltspunkt kann aber „Maneo – das schwule Überfalltelefon und Opferhilfe“ (Telefon: 216 33 36) bieten: 2002 wurden hier 168 Schwule gezählt, die Opfer einer Gewalttat wurden und sich meldeten. Für das gesamte Jahr 2003 liegen noch keine Zahlen vor, allerdings werden dies weit mehr als 168 Fälle sein, sagt Bastian Finke von Maneo. „Bereits im Oktober war die Zahl vom Vorjahr erreicht.“ Jeweils drei schwule Todesopfer hat die Polizei im Jahr 2002 und 2003 gezählt.

Der „Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg“ (LSVD) sieht die Gefahr, dass sich aus Angst vor Gewalttaten auch traditionell liberale Stadtviertel wie Schöneberg zu so genannten „No-show Areas“ entwickeln könnten. Das bedeutet: Dass Schwule sich nicht mehr trauten, Hände haltend durch die Straßen zu gehen, weil sie Angst vor Pöbeleien oder gar Angriffen haben müssen. In Schöneberg seien es vor allem die türkisch- und arabischstämmigen Jugendlichen, die den Schwulen Probleme bereiteten. So hat das „Café PositHIV“, ein Projekt der Berliner Aids-Hilfe, bereits im vergangenen September beschlossen, aus der Alvenslebenstraße wegzuziehen. Zu schlimm waren die Attacken der Jugendgruppen, die den Gästen Steine vor die Füße geworfen und sie beschimpft haben. „Wir suchen noch ein geeignetes Ausweichquartier. Möglichst näher in der Szene rund um die Motzstraße“, sagt Kai-Uwe Merkenech von der Berliner Aids-Hilfe.

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