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Berlin: Wenn Gräber auferstehen

Am Freitag öffnet die Doppelausstellung „Die Etrusker“: Prächtige Kunst aus der Zeit lange vor Christus – zu Besuch bei den Vorbereitungen

Die Frau hebt die Hände über ihren Kopf, der Körper beginnt zu drehen, ihr gepunktetes Kleid schwingt schon fast im Takt, gleich wird sicher Musik ertönen, doch jetzt geht erst mal das Licht an und im Hintergrund sägt einer Holz. Es riecht nach Sägespänen und Farbe, die Frau rührt sich nicht mehr, und Professor Bernard Andreae muss mal eben kurz an sein Handy.

Der emeritierte Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts Rom hat „Die Etrusker“ in Hamburg möglich gemacht. Zusammen mit der Bucerius-Stiftung organisierte er die Doppelausstellung, die am Freitag im Bucerius Kunst Forum und im Museum für Kunst und Gewerbe eröffnet wird. Jetzt steht er im Bucerius Kunst Forum und dort in einem Grab und spricht von einem Wunder. Die tanzende Frau ist nur ein kleiner Teil davon, von diesem Werk der Auferstehung, wie es Bernard Andreae bezeichnet. Es ist allerdings noch unvollkommen, dieses Reich der Etrusker mitten in der Hansestadt. Zwei Männer schleppen drei Meter lange Rollen herein, auf dem Boden liegt Verpackungsmaterial herum, Gerüste versperren den Weg, man steigt über Farben und Pinsel hinweg.

Hier kommt es hin, das Grab des Kitharaspielers, in dem die Seligen nach dem Tod tanzen. Es wurde 1863 in der Nekropole von Monterozzi bei Tarquinia gefunden – und schon kurz darauf für immer verschüttet. Tarquinia liegt etwa 100 Kilometer nördlich von Rom und war die größte Stadt der Etrusker. Nebenan, auf dem Hügel Monterozzi, liegt die größte etruskische Totenstadt, wo sich fast alle der 150 erhaltenen etruskischen Grabmalereien befinden.

Und Bernard Andreae hat den Künstler gefunden, der das verschüttete Grab des Kitharaspielers wiederbelebt hat. Renato Roscani. In seine Kunst hat sich Andreae unsterblich verliebt: die Faksimile-Malerei. Das Nachmalen. Damit will der Etrusker-Experte nun auch bei den Hamburgern und allen anderen Besuchern dafür werben, dass „der Originalwahn“ aufhören müsse. Weil die Vergangenheit sonst für immer vergeht.

Wenn Andreae davon erzählt, im Grab, und seine Begeisterung für die Kunst der Etrusker in jedem Satz mitschwingt, dann hört man nicht mehr das Sägen der Handwerker, und man riecht nicht mehr die frische Farbe an den Wänden. Dann wird die Vergangenheit wach, das Grab des Kitharaspielers ist ein Beispiel dafür, wie Geschichte überleben kann. Und das lag an dem Zeichner Gregorio Mariani. Der hatte schon kurz nach der Entdeckung des Grabes 1863 auf 16 mannshohen Blättern das Grab quasi durchgepaust, Angaben über die verwendeten Farben gemacht und die einzelnen Figuren nummeriert. Die Pausen landeten im Archiv des Deutschen Archäologischen Instituts, und von diesen Pausen hat Renato Roscani das erschaffen, was Andreae als Wunder bezeichnet. Er hat das Grab auferstehen lassen.

Eine Putzfrau wischt durch das Chaos, und Silke Schuck springt am Wischmob vorbei und behält die Ruhe. Sie ist Wissenschaftliche Volontärin am Bucerius Kunst Forum und kennt die Situation vor großen Ausstellungseröffnungen. Sie und Andreae sind sich einig darin, dass das meiste Adrenalin in den letzten Tagen vor der Eröffnung ausgeschüttet wird. „Das sind die Tage, in der unsere Theaterbühne entsteht“, sagt Schuck und findet: „Im Theater weiß man allerdings ganz genau, dass es eine Bühne ist, die irgendwer irgendwann aufgebaut haben muss. Hier ist das anders. Die Menschen kommen herein, und sie können sich kaum vorstellen, wie viel Aufwand, Mühe und Arbeit unsere Bühne gekostet hat.“ Bernard Andreae nickt und erzählt von den Tagen, an denen alles schief läuft oder eben zumindest nichts perfekt – und das muss es eigentlich. Die Handwerker im Hintergrund lachen ein bisschen schief und schimpfen auf die Italiener. Die hätten fast die Ausstellung und ihren Zeitplan, über den Haufen geworfen.

Das zuständige Ministerium in Rom hatte die Ausfuhrgenehmigung für ganz wesentliche Ausstellungsstücke erst am 29. Januar erteilt. Drei Monate nach dem Antrag. Und auch wenn die Ausstellungsmacher schon seit dem 15. September am Werk arbeiten, so konnte doch erst jetzt wegen der verspäteten Genehmigung alles fertig gestellt werden. Nachtschichten waren da selbstverständlich, und „wenn diese Arbeit nicht mein Elixier wäre“, sagt der 73-jährige Andreae, „ich hätte alles stehen und liegen gelassen und wäre schnell verschwunden.“

Aber das geht jetzt nicht mehr. Und überhaupt weicht Bernard Andreae keinen Millimeter mehr vom Ort, es sei denn, er geht zum Mittagessen. Aber am liebsten steht er im noch größeren Wunder dieser Ausstellung, im Grab des Aristokraten: 1857 stößt der italienische Archäologe Alessandro Francois nahe der italienischen Stadt Vulci auf das verzweigte Grab eines unbekannten etruskischen Aristokraten. Wenige Jahre später werden die Gemälde der „Tomba Francois“, nach seinem Entdecker benannt, mit Hilfe von Sacktuch und wasserlöslichem Leim abgenommen und nach Rom gebracht. Mehr als 140 Jahre lagern die 37 Originalfragmente in der Villa Albani beim Fürsten Alessandro Torlonia. Vor über 50 Jahren besuchte Andreae den Fürsten zum ersten Mal – und nun, im Jahre 2003, beim letzten Besuch, willigte der Fürst ein, dieses Etruskergrab von historischer Dimension für Historiker und Kunsthistoriker gleichermaßen neu auferstehen zu lassen: in Hamburg.

Allein die Abhandlung und Interpretation des Grabmals im Katalog zur Ausstellung liest sich wie ein spannender Historienroman. Und genau das ist es auch, denn die Kunst dieses Grabmals mahnt hellseherisch vor dem drohenden Ende der etruskischen Autonomie. Und tatsächlich besiegen die Römer nur 30 Jahre später das Volk, das die Römer erst selbst zu einem Kulturvolk machte. Das etruskische Erbe geht auf im Römischen Reich. Und jetzt gerade fällt, Achtung!, rechts gleich ein Farbtopf um, und das schadet den Etruskern jetzt viel mehr. Aufpassen hier, dort kommen riesige Schrauben in die Holzwände, und jeder Ikea-Kunde hätte schon ganz ohne Etrusker einen Heidenspaß in diesem Raum, schließlich gibt es jede Menge Holz zum verleimen und zusammenbasteln. Bernard Andreae lacht. Besser als Ikea sein, das gefällt ihm.

In der deutschen Ausgabe des „National Geographic“ sagt Renato Roscani über seine Arbeit mit den Etruskern: „Ich glaube, ich bin ein Etrusker geworden. Ich spüre, wie er in mir tickt.“

Hamburg kann das jetzt auch fühlen.

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