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Station Monbijouplatz: 2003 fuhr hier, auf der Oranienburger Straße am Monbijoupark, die Straßenbahnlinie 1.

© Kitty Kleist-Heinrich

Die Station meines Lebens: Wenn wir die Straßenbahn gebraucht hätten, war sie meistens schon weg

Stempel fälschen vorm Club, Kiffen im Park, Knutschen in der Bar: An den Monbijoupark in Berlin-Mitte hat unsere Autorin rauschende Erinnerungen.

In der Kolumne „Die Station meines Lebens“ schreiben Tagesspiegel-Autoren über Berliner Haltestellen, die sie geprägt haben.

Dass in der Pubertät die Menge an grauen Zellen abnimmt, wussten unsere Mütter. Doch mit so wenig Synapsen rechneten wohl auch sie nicht, als sie mich und meine damals beste Freundin mit 15 in einer Cocktailbar auf der Oranienburger Straße aufgriffen.

Wir fielen vor Schreck fast in unsere Piña Colada, schien unser Plan doch todsicher: Wir hatten unseren Eltern erzählt, wir schliefen an dem Abend bei der jeweils anderen.

Aufgeschrieben habe ich das und vieles andere aus den beginnenden Nullerjahren in meinen Tagebüchern, sie zeugen von feinsinniger Beobachtungsgabe („Ich lag bis eben zwei Stunden in der Sonne und hab einen krassen Bikiniabdruck jetze. Wenn ich das ganz oft mache, müsste ich ja ganz krass braun werden“), differenzierten Zukunftsbetrachtungen („Hab voll Paras vor später. Journalismus wär geil, aber da brauch man ein Abi von 1,2. Scheiße, wa?“), reifen Beziehungen („Er meinte, stimmt, er hat sich oft scheiße benommen, aber eben aus Absicht, um mich zu schützen. Voll süß!“) und kritischer Selbstreflexion („Ich hasse mich für die Typen, die ich gut finde“).

Viel spielte sich in diesen Jahren im oder am Monbijoupark ab, wo ein Teil unseres Freundeskreises zur Schule ging. Nachmittags trafen wir uns auf der Wiese im „Mombe“, inspiriert von diesen großartigen Zeilen der Friedrichshainer Hip-Hop-Größen Pilskills: „Wie kann man nur so fresh sein? Mann, wir komm’ aus’m Chefhain! Warum seid ihr so bombe? Ey, wir sind aus’m Mombe!“

„Liebes Kind, was du morgen früh hast, ist ein Kater“

Bei unseren Abenteuern passierten wir ständig die Haltestelle Monbijouplatz. Zwar brachte uns die Straßenbahn 1, die über den Rosa-Luxemburg-Platz zur Oranienburger Straße fuhr, im Winter zu unseren Schulen. Aber freitagnachts, wenn wir sie wirklich gebraucht hätten, war sie meistens schon weg. Und so fuhren wir mit dem Rad nach Hause in den Prenzlauer Berg. Oder schoben, je nach Zustand, den ganzen Weg.

Station: Monbijouplatz
Linien: Tram M1, M5
Nachbarhaltestelle: Oranienburger Straße
Fahrzeit bis Alexanderplatz: 5 Minuten ohne Umsteigen

Manchmal kamen wir mit gefälschten Schülerausweisen in den 2BE Club in der Ziegelstraße rein – oder mit der „Stempel-Action“: Einer ging rein, kam unauffällig wieder raus, leckte großzügig über seinen Einlassstempel und kopierte diesen feucht-liebevoll auf unser aller Handgelenke. Da meist weder das eine noch das andere klappte, verbrachten wir viele Nächte mit „PVC“ – Party vor‘m Club.

Und tranken, kifften, tanzten und – seltener – knutschten uns im Café Zapata im Tacheles durch die Wochenenden. Mit liebevoller Ironie empfing mich mein Vater nachts um halb drei das erste Mal betrunken zu Hause: „Liebes Kind, was du morgen früh hast, ist ein Kater. Und das hier eine Aspirin. Schlaf schön.“

Lesen Sie hier weitere Folgen aus unserer Reihe „Die Station meines Lebens“:

Als IM Conni war ich gnadenlos, ich schrieb alles auf. Niemand meiner Freunde hat die Chance, Dinge zu vergessen. Und ich schlage nur allzu gern nach, wenn es wieder heißt: "Wann war denn nochmal dieses krasse Silvester, mit der Rakete, wisst ihr noch?"

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Klar, das war der historische Jahreswechsel von 2003 auf 2004, als sich Keule (*richtiger Atzenname von der Redaktion geändert) auf dem Dach im Park, wo wir verbotenerweise feierten, plötzlich den Holzstiel einer Rakete an einen ungeheuerlichen Ort schob und sie anschließend aus ebenjenem abfeuerte. Er zog sich keine Splitter zu, niemand fiel betrunken vom Dach: Wir müssen Heerscharen von Schutzengeln gehabt haben. Und wenige graue Zellen.

Keule hat mittlerweile als DJ in gewissen Kreisen eine gewisse Bekanntheit erlangt - mit einem Künstlernamen, der jene analen Annalen wortgewaltig auffängt. Gerade ist er Vater geworden. Und hofft, dass in 15, 16 Jahren ganz Berlin Böllerverbotszone ist.

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