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Berlin: Werner Groth und Heidemarie Müller haben ein bemerkenswertes Projekt ins Leben gerufen

Mit Gutscheinen für den Lebensabend vorsorgen - Gegenseitige Hilfe soll Großfamilie von einst ersetzenJulia Rehder Für Babys ist die Welt noch in Ordnung: Sie schreien, werden gefüttert, gewickelt und schlafen. Sobald sie aufwachen, beginnt der Kreislauf von Neuem.

Mit Gutscheinen für den Lebensabend vorsorgen - Gegenseitige Hilfe soll Großfamilie von einst ersetzenJulia Rehder

Für Babys ist die Welt noch in Ordnung: Sie schreien, werden gefüttert, gewickelt und schlafen. Sobald sie aufwachen, beginnt der Kreislauf von Neuem. Statistisch gesehen sind wir erst wieder mit über 70 Jahren ähnlich abhängig von der Gunst unserer Umwelt. Nur, dass dann unsere Eltern meist längst im Jenseits weilen, Kinder vielleicht nicht vorhanden sind und fremde Hilfe nicht immer selbstverständlich ist. Früher hat die Großfamilie diese Lücke gefüllt: Oft haben die Enkel ihren Großeltern oder die Kinder ihren Eltern die Schnabeltasse an die Lippen geführt und die Bettpfanne unter den Hintern geschoben.

"Ich frage mich, was passiert, wenn ich einen Hexenschuß habe und nicht mehr zum Einkaufen komme", sagt Werner Groth, der mit 57 Jahren zwar noch längst nicht zum alten Eisen gehört, aber auf keine engen familiären Bindungen zählen kann. Das beunruhigt ihn,und er möchte deshalb vorsorgen. Deshalb hat er das Projekt "Die andere Rente und Wohngemeinschaft" ins Leben gerufen - ein Modell, das auf gegenseitiger Hilfe basiert. Es handelt sich um eine Art Tauschbörse, bei der man durch eigene Vorleistung Gutscheine erwirbt, die bei Bedarf jeder Zeit eingetauscht werden können. Praktisch ist fast alles erlaubt: Vom Regalbau über Haareschneiden bis hin zum Internet-Crashkurs.

Pro geleisteter Stunde gibt es einen Gutschein, wobei es egal ist, ob der eine dem anderen bei der Steuererklärung geholfen oder am Krankenbett aufmunternde Geschichten erzählt hat. Tritt dann der befürchtete Hexenschuß ein, kann man sich die Einkaufshilfe sozusagen per Gutschein bestellen. Den klassischen Pflegebereich hat Werner Groth allerdings mit Absicht ausgeklammert, weil er dem professionellen Personal auf keinen Fall in die Quere kommen möchte.

Bei den "Herbstzeitlosen", einer Freizeitinitiative, die zum großen Teil Alleinstehende über 50 anspricht, fand er die geeignete Plattform für seine Idee. Heidemarie Müller, die den Verein ehrenamtlich leitet und für Einsame unter anderem Tanz-, Spiel- und Literaturabende organisiert, war sofort begeistert und unterstützte das Projekt nach Kräften. "Es setzt unseren Veranstaltungen die Krone auf."

Anders als bei üblichen Tauschbörsen kann man bei "Heidi Müllers Tanzsalon" die Leute, von denen man im Alter betreut werden möchte, heute bereits gut kennenlernen. Sie selbst hat deshalb schon einmal die Frage in die Runde geworfen, wer sich vorstellen könne, mit ihr später zusammen zu leben.

Die Wohngemeinschaft im Alter ist schließlich der zweite Sockel, auf dem das freiwillige Rentenmodell basiert. Nach Meinung der beiden Initiatoren lassen sich die künftigen Wohngenossen am besten beim Klönen, Spielen und Wandern auf ihre WG-Tauglichkeit prüfen, zum Beispiel im Rahmen der wöchentlichen Singletreffs.

Die Vorstellungen vom trauten Heim liegen dann zum Teil etwas auseinander. "Ein eigenes Reich mit Vernetzung wäre schön", erzählt Erika Deppl, die auf keinen Fall wie ihre Eltern im Pflegeheim enden möchte. Bärbel Petzold träumt von einem gemeinsamen Wohnhaus mit Garten.

Die gelernte Krankenschwester möchte Kräuter anpflanzen und Kuchen backen, vor allem aber später nicht ihren beiden Söhnen zur Last fallen. Für Heidi Müller steht die Geselligkeit im Vordergrund, die sie längst nicht mehr ausschließlich in der Zweisamkeit sucht. Ihre Traumprinzen haben sich bisher noch alle in Frösche verwandelt.

Die Idee des gemeinsamen Wohnens für Senioren spricht allerdings nicht nur Alleinstehende an. Auch Wolfgang und Christa Schwedt überlegen, ob sie in ein paar Jahren mit Gleichgesinnten zusammenziehen sollen. Sie erhoffen sich dadurch eine finanzielle Entlastung, denn die Rente ist knapp und das WG-Leben spart Kosten. Zum anderen ist es für sie aber auch reine Anschauungssache: "Mir geht es darum zu helfen", betont Wolfgang Schwedt, der als Frührentner weiß, wie es ist, wenn man manche Dinge einfach nicht mehr ohne fremde Hilfe schafft. Zurzeit springt er ab und zu beim Charlottenburger Großelterndienst ein und entlastet so allein erziehende Mütter und Väter.

Eine Kultur des Helfens zu etablieren, ist auch Werner Groths Hauptantrieb. Seine ganz individuelle Überlebensstrategie hat er sich bereits zusammen gereimt: "Es geht mir nicht in erster Linie darum, dass ich die Gutscheine für mich habe, sondern, dass ich anderen helfe. Dadurch bleibe ich gesund und brauche wahrscheinlich gar keine fremde Hilfe."Wer Interesse an dem Projekt "Die andere Rente und Wohngemeinschaft" hat, kann sich entweder unter der Nummer 8447 1061 bei Werner Groth melden oder am Freitag, dem 31. März ab 17:30 Uhr zur Informationsveranstaltung ins Theater Coupé, Kunstamt Wilmersdorf, Hohenzollerndamm 177, gehen.

Julia Rehder

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