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Berlin: Werner Meidow erlebte in den 30er und 40er Jahren Berliner Jazz-Geschichte

Wenn sich ein Jahrhundert neigt, haben Erinnerungen Konjunktur. In der Tagesspiegel-Serie "Mein Jahrhundert" kommen Berliner und Berlinerinnen zu Wort, die aus der sonst üblichen Memoiren-Perspektive häufig nur am Rande registriert werden, in deren Erlebnissen sich aber die "große Geschichte" spiegelt.

Wenn sich ein Jahrhundert neigt, haben Erinnerungen Konjunktur. In der Tagesspiegel-Serie "Mein Jahrhundert" kommen Berliner und Berlinerinnen zu Wort, die aus der sonst üblichen Memoiren-Perspektive häufig nur am Rande registriert werden, in deren Erlebnissen sich aber die "große Geschichte" spiegelt. Viele Gesprächspartner hat uns die Berliner "Zeitzeugenbörse". Sie ist an neuen Mitstreitern interessiert - wer Interssantes erlebt hat, kann sich unter der Rufnummer 44 04 63 78 melden.

Mein erstes Jazz-Konzert erlebte ich bei Karstadt am Hermannplatz auf dem Dachgarten. Ich war 15 Jahre alt, noch Schüler - ein kleiner Piep, der noch nicht in Tanzlokale eingelassen wurde. Aber zu den Dachgarten-Konzerten von Karstadt konnte jeder hin, und gekostet hat es auch nichts. Von der Metzer Straße in Prenzlauer Berg, wo ich wohnte, konnte ich außerdem mit meiner Schülerkarte in der Tram 47 bis Hermannplatz fahren, ohne umzusteigen. So hörte ich also im Sommer 1932 die Weintraubs Syncopators unter freiem Himmel und trank dazu meine geliebte Limonade.

Das war ein großes Erlebnis für mich. Jetzt hatte ich was zu erzählen, wenn ich mich nachmittags mit meinen Jazz-Freunden im Café Magnet an der Schönhauser Allee traf. Dort haben wir über unsere große "Liebe" gequatscht: "Na, was hast du denn da gekauft?" Eine kleine Plattensammlung hatte ich damals. Als ich ab 1934 eine Lehre als Bankkaufmann machte, konnte ich schon mein eigenes Geld in Platten und in Bücher anlegen. Meine Eltern nannten mich wegen der Jazz-Begeisterung "einen Verrückten", meinten es aber liebenswürdig. Sie waren einfache Menschen. Mein Vater hatte eine Schlosserei, meine Mutter war Hausfrau. Sie haben mir nie verboten, zu Hause Musik zu hören oder in Konzerte zu gehen.

Die erste Band, die ich kannte, waren Harry Roy und Nat Gonella, ein kleines Swing-Orchester. Ich lernte bald, den amerikanischen Westcoast- vom Eastcoast-Jazz zu unterscheiden, den Swing vom New-Orleans-Jazz und so weiter. Mir gefielen auch die deutschen Bands, obwohl die nicht so jazzig waren. Bernhard Eté, von dem es hieß, er habe den Jazz in Deutschland eingeführt, erlebte ich im "Berolina" am Alexanderplatz. Da gab es im ersten Stock ein Tanz-Lokal.

Dass man in der Nazizeit keinen Jazz mehr hören konnte, ist eine Legende. Es gab jazzmäßig zwei Welten. Goebbels wetterte gegen die "Negermusik" und im Radio wurde nichts mehr gespielt. Aber Platten konnte ich noch kaufen. Anfang der 40er Jahre fand ich in der Tauentzienstraße bei "Telefox" noch eine Jam-Session mit Benny Goodman. Und Goodman war Jude und außerdem der erste, bei dem Weiße und Schwarze gemeinsam spielten. Im Osten hatten wir noch "Radio May" in der Wörther Straße, im Westen gab es ein Geschäft in der Rankestraße. Auch in den Bars spielten sie noch Jazz. Es wurden nur in den Titeln, die im Programm auftauchten, kleine Veränderungen vorgenommen. Man wählte einen deutschen Titel und spielte natürlich die amerikanische Version. Auch der "Tiger-Rag" hieß irgendwie anders - ich weiß bloß nicht mehr wie. Von meinen alten Freunden lebt ja keiner mehr. Jahr für Jahr stirbt ein Gesprächspartner.

Auch der Schweizer Musiker Teddy Stauffer spielte noch nach 1933. Ich erlebte ihn in der Femina-Bar in der Nürnberger Straße. Stauffer musste aber bald Deutschland verlassen, nachdem er das Horst-Wessel-Lied verjazzt hätte. Er wurde ausgewiesen. Wäre er Deutscher gewesen, hätten sie ihn bestimmt ins KZ gesteckt. Kurt Wittmann mit seiner Band konnte fast bis zum Kriegsende in Berlin auftreten. Der hat im "Imperator" in der Taubenstraße einen Jazz hingelegt - da flogen einem die Ohren ab. Wenn Wittmann, der sein Orchester vom Schlagzeug aus dirigierte, auf dem Höhepunkt war, nahm er das Becken aus der Halterung und schlug sich im Takt auf den Kopf.

Die Jazz-Lokale besuchte ich immer gemeinsam mit Freunden. Wir kannten kein einziges Mädchen, dass sich für Jazz interessiert hat. Tanzen konnte ich nicht, weil ich eine Kinderlähmung im rechten Bein habe. Ich hatte meine Behinderung schon als Junge akzeptiert, und ein Frauenschwarm war ich trotzdem - bevor ich meine Frau kennen lernte.

Schon als Schüler wurde ich Fan des Vibraphonisten Lionel Hampton. Von dem hatte ich ganz früh Platten. Nach dem Krieg, Anfang der 50er Jahre, haben meine Frau und ich Hampton im Sportpalast gehört. Damals durften wir ja noch rüberfahren. Später gab es auch tolle Jazz-Konzerte im alten Friedrichstadt-Palast Am Zirkus 1: Louis Amstrong und Kenny Ball gehörten zu den ersten und besten, die dort auftraten.

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