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Berlin: Wie der blasse Eberhard Spargel-Champion wurde 16 Diepgen-Reden von 1984 bis 2001 in einem Band

Eberhard Diepgen verändert sich gegenwärtig stark zu seinem Vorteil. Er gibt längst nicht mehr den immergrauen Berliner Besitzstandswahrer, sondern tendiert ins Gurueske, Alleslängstgesehenhabende.

Eberhard Diepgen verändert sich gegenwärtig stark zu seinem Vorteil. Er gibt längst nicht mehr den immergrauen Berliner Besitzstandswahrer, sondern tendiert ins Gurueske, Alleslängstgesehenhabende. Hat sich damit abgefunden, dass auf Weizsäckers Säule kein Platz ist für einen ausgebufften Regierungsmechaniker wie ihn, fühlt sich nicht mehr ständig angegriffen, lässt die schweren Lider lustvoll hängen, ja, man könnte sagen, dass er beginnt, bis in die Nasenspitze hinein den netteren jener Karikaturen zu ähneln, die einst von ihm angefertigt wurden.

Über die Phase der Vergessenheit ist er ohnehin längst hinweg. Deshalb war es zwar nicht direkt zwingend, aber doch nahe liegend, ein paar Reden Diepgens auszugraben, die zu seinen besseren gehörten: die Reden zum alljährlichen Spargelessen des Berliner Journalistenverbands. Das ist ein zur Zeit Otto Suhrs begründetes Ritual, das Diepgen gern nutzte, um die von seinen üblichen Ausführungen eher genervte Rathauspresse wieder ein wenig zu erheitern; 16-mal trat er ans Pult, damit ist er der Champion. An die Redenschreiber erging die Weisung, den Giftschrank mit den Drogen Witz und Ironie einen Spalt breit zu öffnen, und diese Drogen taten ihre Wirkung meist überraschend zuverlässig. Da schau her, sagten die abgebrühten Journalisten, der Diepgen!

Lutz Krieger, der die Auftritte des sog. Regiermeisters sämtlich als Vorstandsmitglied des Verbandes verfolgte, hat die kompletteSammlung der Spargelreden herausgegeben und mit sparsamen Anmerkungen erläutert. In der ersten befasste sich Diepgen, verrufen als „blasser Eberhard“, 1984 zunächst mit dem Vorzug der Blässe, die – analog zum Spargel – ein Qualitätsmerkmal sei, und riskierte dann einen haarsträubend abrupten Übergang in die damals virulente Frage der Zukunft Olympias angesichts der Afghanistan-Besetzung durch die Russen. Im Karriereabwind 1988 langweilte er die Runde durch staatstragende Ausführungen zu Staat, Politik und Gesellschaft, freilich garniert mit der visionären Anmerkung, die Stichworte für das Jahr seien Steuerreform, Gesundheitsreform, Rentenreform...

1989 und 1990 trat Walter Momper ans Pult, dann durfte Diepgen weiterspargeln. An die Stelle der Auseinandersetzung mit der DDR und dem alliierten Status traten Fragen der Hauptstadtwerdung, Länderfusion, Mai-Krawalle. Bei seinem letzten Auftritt, 2001, nahm er eher etwas diffus die Kurve vom Zustand der großen Koalition zu einigen Dauerbrennern der berlinischen Politik. Klaus Wowereit hielt die Rede 2002 und bedeutete dann, dass er in Zukunft nur noch Grußworte schicke. Frage an Lutz Krieger, ob er das kritisiere? Keineswegs, antwortet der – grimmiger Blick –, er teile es nur einfach mit. Herr Diepgen? „Ich habe volles Verständnis, dass Wowereit sich den Mühen einer Spargelrede nicht mehr aussetzen will.“

Diepgen hingegen würde offenbar für sein Leben gern diese Mühen noch einmal auf sich nehmen. Ideen hätte er, zum Beispiel, einmal das berüchtigte alte West-Berlin zu verteidigen und zu zeigen, wie sich „Rheinbund-Mentalität“ und morsche Ost-Strukturen gern hinter diesem Stichwort versteckten. Darüber zu reden, wie das Land seine Hauptstadt vernachlässigt, über den Umzug der letzten Bonner: Du liebe Güte, sagt er, da kriegen wir die ganze Debatte nochmal an den Hals, alle Argumente sind noch in den Schubladen. Aber irgendwie ist er ja auch stolz drauf, dass er das alles schon erlebt und Reden drüber in Auftrag gegeben hat. Auf dem Titelbild des Buchs übrigens wächst ihm Spargel aus dem Kopf. Grüner Spargel. Wo ist die edle Blässe geblieben?

Diepgens Spargelreden, Edition q, Quintessenz Verlag, Berlin, 16,80 Euro.

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