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Berlin: Wie eine Wolke mit Geschmack

Es wird wieder heiß, und wir wollen Eis. Die Angebot ist groß, aber die Qualitäten unterscheiden sich stark

Es geht immer noch kälter. Viel kälter. Der britische Drei-Sterne-Koch Heston Blumenthal hat in seinem Restaurant die unter Experimentalphysikern schon lange verbreitete Methode, Eis herzustellen, berühmt gemacht: Ein Kellner kommt mit einem Kübel an den Tisch, in dem flüssiger Stickstoff von fast 200 Grad minus wabert. Er sprüht aus einem Siphon eine Eis-Grundmasse hinein, fischt sie mit einem Löffel wieder heraus – und serviert. Ein Gag mit Sinn: Denn durch die brutale Schockkühlung kann das Eis keine Kristalle entwickeln und wird deshalb unübertroffen geschmeidig, verfliegt im Mund wie eine Wolke mit Geschmack.

Zukunftsmusik - oder nur eine Episode? Vermutlich kommt es den meisten Eisliebhabern nicht so sehr auf die Perfektion an, die im Spitzenrestaurant angestrebt wird. Eis soll kalt sein, natürlich, schön süß und von geschmeidiger Konsistenz, und dann auch noch ein deutliches Aroma mitbringen. Vanille, Erdbeer, Schokolade – das sind immer noch die Umsatzrenner, aber das Geschmacksspektrum wird breiter. Doch was ist mit der Qualität? Jeder Fan weiß, dass am Straßenrand nahezu alles zwischen buntem Einerlei und angehender Spitzenqualität angeboten wird. Doch warum ist es manchmal so gut und manchmal so schlecht?

Es liegt, wie meist, am Geld. Da Eis in Deutschland im internationalen Vergleich sehr preisgünstig ist, muss irgendwo gespart werden. Frische Früchte, beispielsweise, sind deshalb eine Rarität im Eisgeschäft. Durchschnittseis entsteht schlicht dadurch, dass sämtliche Sorten auf einer Grundmasse aufbauen, die meist im großen Eimer aus Italien kommt. Sie enthält Milchpulver, Emulgatoren, Zucker, kurz: alles, was nötigt ist, um neutrale, über Stunden standfeste und geschmeidige Eiscreme zu produzieren.

Die auf den ersten Blick so bunte Vielfalt entsteht dadurch, dass bei der Produktion selbst Fertig-Konzentrate der gewünschten Geschmacksrichtung hinzu gemischt werden, außerdem beispielsweise Dosen- oder Tiefkühlobst, Amarena-Kirschen, Schokolade oder zusätzliche Nüsse. Die aktuelle Mode verlangt außerdem, dass über das an sich fertige Eis noch bunte Fruchtsaucen gekleckert werden, die das Ganze optisch attraktiver machen. All diese Substanzen gibt es in unterschiedlichen Qualitäten, die anspruchsvolleren Eisdielen ergänzen sie auch mit frischen Naturprodukten – aber mit dem Eis, das jeder aus ein paar einfachen natürlichen Zutaten in einer handelsüblichen Eismaschine zu Hause herstellen kann, ist es nur selten zu vergleichen.

Das aber scheint dem deutschen Kunden auch nicht so wichtig zu sein. Er will, wie man in der Branche weiß, vor allem sahnigen, Magnum-artigen Schmelz, fast wie beim einst so beliebten Soft-Eis, aber etwas fester und vor allem vielfältiger, nicht nur auf zwei oder drei Grundaromen reduziert. Die italienischen Fabriken haben ihre Basis-Produkte in diese Richtung bemerkenswert perfektioniert, sie verarbeiten nicht nur Milch und Sahne, sondern auch Quark und Ricotta, und sie liefern eine ständig unübersichtlicher werdende Vielfalt von Aromen, die sich vor allem an den Kaffee-Boom anhängen: Latte Macchiato, Tiramisu, Cappuccino ...

So können die Eisdielen viel schneller auf Trends und Moden reagieren als die Industrie mit ihren verpackten Standardsorten. Die ihrerseits versucht, mit neuen Produkten zu punkten, etwa dem modernen Softeis, das nicht mehr in hygienisch heiklen Maschinen frisch gemacht, sondern industriell gefroren und beim Kauf mit einer Presse in die gewünschte Konsistenz gebracht wird.

In Deutschland weniger gefragt ist das typisch französische Eis, das ganz überwiegend auf Fruchtsäften und Fruchtpürees aufbaut und dann tatsächlich himbeerrot leuchtet oder auch schwarz wie Johannisbeeren – und dann auch nach nichts schmeckt als dem reinen Fruchtaroma. Das setzt freilich hohen Aufwand voraus, der für einen Euro pro Kugel – die hiesige Schmerzgrenze – kaum zu realisieren ist.

Aber ungeachtet solcher Stilfragen läuft es beim Eisessen doch immer wieder auf den einzigartigen Augenblick hinaus, die erste Berührung der Zunge mit der kalten Substanz, die eine eindeutige Botschaft sendet: Hey, es ist Sommer, und dies ist die beste Art, das zu feiern. Und dieser göttliche Moment lässt dann doch alle kritischen Fragen für eine Weile in den Hintergrund treten.

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