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Berlin: „Wir brauchen mehr Berichte über Vorbilder“

Nicht nur kriminell oder islamistisch: Berliner Jugendliche mit Migrationshintergrund beklagen sich über negative Berichte und falsche Klischees

Bevor Ezgi Demirel morgens zur Schule fährt, kauft sie sich die Berliner Boulevardzeitung B.Z. Doch immer wieder ärgert sich die 16-jährige Türkin über die Artikel. „Ich habe das Gefühl, dass Medien oft negativ über ausländische Jugendliche berichten“, sagt sie. Ezgi ist sich allerdings nicht sicher: Liegt es daran, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund tatsächlich mehr kriminelle Straftaten begehen? Oder haben Journalisten ein schlechtes Bild von diesen Jugendlichen?

Deshalb besuchte sie am Dienstag in der Hertie School of Governance die Veranstaltung „Wie seht Ihr uns?! - Jugend und Medien im Gespräch“, die vom Bündnis für Demokratie und Toleranz und der amerikanischen Botschaft organisiert wurde. Neben Ezgi diskutierten hier rund 200 Berliner Jugendliche zusammen mit Journalisten und Politikern darüber, wie sie das Thema Migration in den Medien wahrnehmen. Und welche Rolle Journalisten dabei spielen, Beiträge zur erfolgreichen Integration zu leisten.

Vertreten waren beispielsweise Schüler der Heinrich-Heine-Realschule, des Ernst-Abbe-Gymnasiums und der Ernst-Reuter-Oberschule. Sie zogen eine ernüchternde Bilanz: Über Jugendliche mit Migrationshintergrund wird selten positiv berichtet, lautete ihr Vorwurf. Sabine Schiffer vom Institut für Medienverantwortung in Erlangen bestätigte diese Vermutung teilweise. Wenn über Integrationsprobleme berichtet wird, würden oft Bilder von Moscheen oder verschleierten Frauen gewählt. „Dadurch entsteht der Eindruck, dass vor allem Muslime davon betroffen sind“, sagte sie.

Auch Mesut Lencper, 28, und Leiter des Weddinger Projekts „Kiezboom“ sieht die Journalisten in der Verantwortung: „Viele von ihnen haben sich mit dem Thema Islam gar nicht richtig beschäftigt. Sie setzen vor allem auf Schlagwörter. Dadurch werden Inhalte verkürzt.“ Diesen Vorwurf wollten sich die Journalisten aus der Diskussionsrunde allerdings nicht gefallen lassen. „Wir verfälschen die Realität nicht, sondern versuchen nur das widerzuspiegeln, was in der Gesellschaft passiert“, sagte Susanne Gelhard vom Berliner ZDF-Studio. Auch Gerd Nowakowski, Leiter des Lokalressorts beim Tagesspiegel, sagte: „Bei den jugendlichen Serientätern in Berlin haben 80 Prozent einen Migrationshintergrund. Solche Probleme können wir nicht verschweigen. Aber natürlich ist es blöd, wenn diejenigen, die sich erfolgreich integrieren, in denselben Topf geworfen werden.“ Ismail Serin klagte dennoch an, dass zu einseitig berichtet wird: „Es gibt so viele Beispiele positiver Integration. Viele Muslime sind Akademiker. Das zeigt aber kaum jemand“, sagte er. Aber solche Berichte seien wichtig: „Denn sie zeigen, dass wir etwas erreichen können. Wir brauchen solche Berichte über Vorbilder“, sagte der 18-jährige Ernst-Abbe-Schüler.

Özlem Sarikaya, Journalistin beim Bayerischen Fernsehen, bestätigte diesen Missstand in den Medien. „Den Jugendlichen mit Migrationshintergrund fehlt es oft an Mut. Die Medien können ihnen durch positive Berichte mehr Selbstbewusstsein geben“, sagte sie. Noch immer würden diese Schülerinnen und Schüler eher Berufe wie Automechatroniker oder Friseurin wählen, anstatt etwa Journalist zu werden. „Aber wir brauchen solche Kollegen mit Migrationshintergrund. Denn sie haben ein besseres Verständnis für die Probleme der Integration“, sagte sie. Auch Ezgi hat die Diskussion gut gefallen: „Sicher müssen Reporter über Straftaten berichten. Aber es wäre gerechter, wenn sie auch bei einem Deutschen schreiben, welcher Religion er angehört“, sagte sie. Sie überlegt nun, auch Journalistin zu werden. „Ich würde mich dann auf alle Fälle für eine gleichberechtigte Berichterstattung einsetzen.“

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