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Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da. Wer sein Bett auf dem Balkon baut, kann Fledermäuse entdecken und am Morgen die Vögel hören.

© Paul Zinken

Der Hitze entkommen: Wir Draußenschläfer

Diese drückende Hitze: Viele verbringen die Nächte in Hängematten oder bauen sich ein Bett auf dem Balkon. Und staunen über Geräusche und Gerüche in der Dunkelheit.

Geht man früh schlafen, kann man die Mauersegler beobachten, wie sie Kreise am azurblauen Himmel ziehen. Mit ihrem hohen „srieh, srieh“ im Ohr schläft man ein. Ein leichter Wind streicht über die Haut, und ein Duft von sommerwarmer Stadt und später Lindenblüte steigt von der Straße auf.

Die hohen Temperaturen locken jeden Berliner hinaus, selbst zur Schlafenszeit. Denn in den sich kaum abkühlenden Hochsommernächten legt sich mancher lieber unter den Sternenhimmel als ins aufgeheizte Schlafzimmer. Und erlebt den Schlaf auf der auf Balkon oder Terrasse ausgebreiteten Matratze oder Isomatte als tiefer und beglückender, fühlt sich der Natur näher als sonst in der Stadt. „Man träumt sogar anders, irgendwie klarer und direkter“, sagt Lorenz Huber. Der Filmemacher und Tänzer aus Prenzlauer Berg schläft schon seit Wochen überwiegend draußen auf seiner Dachterrasse hoch über dem Helmholtzplatz. „Als es allerdings nur 15 Grad waren, habe ich mir eine Wärmflasche unter die Decke gelegt“, sagt der 35-Jährige und lacht. Seine dreijährige Tochter Soley findet es ebenfalls toll, in den frühen Morgenstunden mit Mama und Papa auf dem 1,40 Meter breiten Gästefuton kuscheln zu können. Trotz der relativen Helligkeit der urbanen Nacht kann man sogar Sternschnuppen sehen. Auch Fledermäuse huschen durch die Dunkelheit, während vom Helmholtzplatz der Duft der Zierkirschbäume und Rosensträucher hinaufweht.

Beim Spaziergang durch den Kiez fällt auf, dass nicht nur auf dem Kinderspielplatz am Helmholtzplatz eine große Hängematte schaukelt. Auch auf einigen Balkonen ist eine Matte aus fröhlichem bunten Netz oder Tuch angebracht, unter anderem in der Raumerstraße und am Falkplatz. Auch im Kreuzberger Bergmannkiez sowie im Simon-Dach-Straßen-Viertel in Friedrichshain scheint beim Blick die Häuser hinauf die luftige Bettstatt in Mode zu kommen. In vielen Gärten am Stadtrand und auch in den Laubenkolonien baumeln sie sowieso, auch dort wird draußen geschlafen.

Das freut auch Benjamin Meier vom Großhandel „A la Siesta“, der in der Bergmannstraße Hängematten aus fairem Handel anbietet. „Wir verkaufen unsere Matten aus Brasilien und Mexiko schon sehr lange und zurzeit tatsächlich mehr als sonst”, sagt er. Der 28-Jährige weiß so ziemlich alles, was es über Hängematten zu wissen gibt. Als Erstes fragt er seine Kunden, ob sie auch ausreichend Platz zur Verfügung hätten. Denn drei bis 3,50 Meter sind auf dem Balkon, der Terrasse oder im Garten zwischen Bäumen für die Aufhängung an Wandhaken, Karabinern oder für ein Hängemattengestell mindestens nötig. Auch die Körpergröße des zukünftigen Mattenschläfers ist wichtig, weniger für die Länge, als für die Breite der Matte. „Denn sich in der Breite hineinzulegen, ist am rückenschonendsten“, sagt Meier. Das machten auch die Mexikaner so.

Jedoch ist das Draußenschlafen, ob auf Futon oder Hängematte, nicht immer besonders nervenschonend. Und selbst wer drinnen schläft und nur die Fenster weit geöffnet hat, wird so manches Mal unsanft geweckt. Dafür sorgen zu früher Stunde nicht allein das Dröhnen der Straßenreinigungsmaschine und die Müllabfuhr, die mit lautem Rumsen und Klirren jeden Morgen Mülltonnen einer anderen Farbe leert. Es sind auch nicht nur die ersten Ferienflieger, die so früh am Morgen in Tegel abheben und über die Häuserdächer von Pankow bis Staaken donnern.

Es gibt auch die Nachbarn, die sich beim nächtlichen Nachhausekommen mit Vorliebe auf dem Bürgersteig vor dem Haus streiten oder sich morgens allzu lautstark voneinander verabschieden. Oder es ist der Motorradfahrer, der allen Bewohnern der Straße besonders gern demonstriert, wie groß sein Hubraum und wie klein seine Schalldämpfer sind.

Ein nächtlicher Plagegeist macht sich bisher allerdings nur sehr selten bemerkbar – das Surren der Stechmücke blieb weitgehend aus, vor allem in den trockenen Innenstadtbezirken. „Dabei war das verregnete Frühjahr aus Mückensicht ein sehr gutes“, sagt Thomas Ziska. Der Entomologe von der Charité gibt deshalb noch keine Entwarnung – ein Mückensommer kann immer noch kommen. Genau wie der für die nächsten Tage angekündigte Regen. Doch selbst dann müssen passionierte Draußenschläfer nicht hinein, dank Moskitonetz und Regendach. Das gibt es sogar für die Hängematte.

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