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Wohn-Blog aus Berlin: Freunde zum Vorzeigen

Es gibt Menschen, die ziehen den Vorhang zu, andere lassen uns gern in ihre Wohnungen gucken: Ein Berliner Projekt stellt die schönsten vor.

Der Rechtsanwalt und Kulturförderer Peter Raue mag keine kahlen Wände, Pinguine hat er dafür ziemlich gern. Bei dem Inhaber der Krawattenmanufaktur Edsor Kronen, Günther H. Stelly, weiß man nicht so recht, ob sich diese Wohnung mit den vielen chinesischen Vasen nun wirklich in Berlin oder nicht doch in Peking befindet. Und der Gastronom Boris Radczun läuft am liebsten barfuß über seinen Parkettboden.

All diese Dinge erfährt man, wenn man in dem kürzlich erschienenen Bildband „Freunde von Freunden“ herumblättert. Mehr als 20 Berliner Persönlichkeiten zeigen darin, wie sie leben. Herausgeber sind die Macher des gleichnamigen Onlinemagazins. Ihre Philosophie lautet: Menschen mit interessanten Lebensläufen haben auch interessante Wohnungen.

Ganz neu ist die Idee nicht. Von dieser Prämisse gehen auch Einrichtungszeitschriften aus. In ihnen dominieren perfekt ausgeleuchtete Räume und funkelnde Küchenzeilen, die Sofakissen sind glatt gestrichen, und kein Mensch scheint sich in den Räumen aufzuhalten. Jahrelang lichteten Hochglanzmagazine wie „Architectural Digest“ („AD“) Wohnungen als Designmuseen ab. Dann kam Todd Selby – und mit ihm ein neuer Trend.

Der New Yorker Fotograf besucht seit 2008 Designer, Architekten, Musiker und fotografiert ihre Wohnungen, als hätte er dort unangemeldet vorbeigeschaut. Nichts soll inszeniert sein, die Attraktion liegt im Alltäglichen. Da darf der Aschenbecher voll bleiben und der Abwasch in der Spüle. Zusammen mit handschriftlich ausgefüllten Fragebögen veröffentlicht er die Bilder auf seinem Blog „The Selby“. Und trifft damit einen Nerv. Die Leser identifizieren sich mit Menschen, bei denen sich die Kleidung auf dem Fußboden türmt und Papierberge sich auf Schreibtischen stapeln. So ein Bild wäre in der „AD“ undenkbar.

Im Herbst 2009 gründete sich das Nachahmerprojekt „Freunde von Freunden“ in Berlin – eine Arbeitsgemeinschaft aus Programmierern, Grafikdesignern und Fotografen. 150 000 Menschen besuchen die Seite mittlerweile im Monat. Aus der AG ist ein Unternehmen mit festen Mitarbeitern geworden, geleitet von den Inhabern Frederik Frede und Tim Seifert.

In der Mulackstraße in Mitte sitzen die beiden hinter großen Fensterscheiben auf Barhockern im Café No More Sleep, das seit einigen Monaten zum Imperium gehört. Die Inhaber erklären das Prinzip: Jeder Beitrag auf der Internetseite oder im Buch entsteht durch Vorschläge von Freunden oder Interviewten. Begonnen hat das mit persönlichen Kontakten. Der Künstler empfahl seinen Galeristen, der Grafikdesigner seinen Kreativdirektor. Frede und Seifert nennen das einen Schneeballeffekt. Es kamen ständig mehr Freunde von Freunden dazu und vergrößerten ihr Netzwerk.

Aktuell führt sie dieser Effekt quer über den Globus. Auf der Seite ist nicht mehr nur etwas über Wohnsituationen in Kreuzberg oder Mitte zu erfahren, sondern seit Kurzem auch über das Leben in New York, Sao Paulo und Los Angeles. In zehn Städten bauen „FvF“ derzeit eigenständige Netzwerke mit Fotografen und Journalisten auf, die ihnen Inhalte für die Website liefern.

„Es läuft alles über Vertrauen, deswegen braucht man Menschen vor Ort. Schließlich lässt man niemanden in seine Wohnung, den man nicht kennt“, sagt Frederik Frede. Karena Schuessler lernten sie zum Beispiel über einen Illustrator kennen. Die 46-Jährige betreibt seit zwei Jahren eine Galerie für zeitgenössisches Design, ihre Altbauwohnung in Charlottenburg wird exklusiv im Buch vorgestellt.

Was der neugierige Betrachter sieht: Karena Schuessler raucht gerne starke Zigaretten, Milch kauft sie nur in Halbliterpackungen, sie stellt ihr grasgrünes Fahrrad gerne auf dem Fischgrätenparkett ab und hat ein Faible für abstrakt aussehende Lampen. Wie fast alle Kreative verzichtet sie auf Teppiche und Gardinen, dafür sammelt sie wie fast jeder der Protagonisten: Seien es Pinguine wie bei Peter Raue, chinesische Vasen wie bei Günther H. Stelly oder Kunst wie bei Karena Schuessler. Ein Protzen mit Dingen? „Ich betrachte meine Wohnung nicht als Statussymbol, ich bin eher der Eichhörnchen-Typ. Ich sammle Dinge, die mir wirklich gefallen und achte nicht auf Namen“, sagt die Galeristin über ihre Leidenschaft, die sich dekorativ in der Wohnung bemerkbar macht.

Wie fast alle Porträtierten sieht Karena Schuessler den Beitrag als Mittel zum Zweck. Den Kreativen wird ein Forum zur Selbstdarstellung geboten, das an Vermarktung grenzt. Versteht man die eigenen vier Wände doch längst auch als Präsentationsfläche, bei der die Privatsphäre eine untergeordnete Rolle spielt. Kein Wunder also, dass bei „Freunde von Freunden“ Selbstständige überwiegen. Auch so gewinnt man heute Aufmerksamkeit und vielleicht den einen oder anderen beruflichen Kontakt.

Die Galeristin findet es jedenfalls gut, dass diese Bilder nicht nur etwas über ihren Einrichtungsstil, sondern auch über ihre Person erzählen. Sie hält die Website für eine Art Gesellschaftsmagazin, einen Multiplikator von Ideen. „Die Menschen wollen daran teilhaben“, sagt Schuessler. Und sich unbewusst vorschreiben lassen, wie man sich einrichten soll: Darf noch eine Gardine rein?

Beim Kunstsammler und Verleger dieses Buchs, Christian Boros, offensichtlich nicht. Der Werbemillionär lebt in dem 1942 gebauten ehemaligen Reichsbahnbunker in Mitte. 700 Kunstwerke hängen in dem Gebäude, auf dessen Dach seine Frau und er sich ein gläsernes Penthouse errichten ließen. Christian Boros sagt, er habe nie verstanden, wieso man sich Gardinen vor die Fenster hängt oder Türen verschließt. Er mag es, mit Menschen, die er nicht kennt, in Kontakt zu treten und betrachtet seine Wohnung als kleines Lebenswerk. Und daran will er andere teilhaben lassen – besonders, wenn sie „Freunde von Freunden“ sind.

Der Blog ist zu finden unter der Adresse: www.freundevonfreunden.com, das Buch erschien gerade im Distanz Verlag.

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