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Über das Thema Enteignung wird im April in Berlin abgestimmt.

© Getty Images/iStockphoto

Wohnungspolitik: Immobilienfirmen enteignen - geht das überhaupt?

Eine Berliner Initiative will bezahlbaren Wohnraum schaffen – mittels Enteignungen. Ist das eine realistische Möglichkeit?

Von
  • Christian Hönicke
  • Ulrich Zawatka-Gerlach

Im April soll in Berlin ein Volksbegehren zur Enteignung großer Immobilienunternehmen starten. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey finden 55 Prozent der Berliner diese Aktion richtig. Sehr umstritten ist, ob eine solche Enteignung rechtlich und finanziell möglich wäre.

Was ist geplant und wie soll es finanziert werden?

Gefordert wird, alle Berliner Unternehmen „mit Gewinnerzielungsabsicht“, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen, gegen Entschädigung zu enteignen und den kommunalisierten Wohnungsbestand in eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) einzubringen. Das Land Berlin soll 20 Prozent der Entschädigungssumme als Kapitaleinlage in die AöR einbringen, der große Rest soll per Kredit beschafft werden. Falls nötig, abgesichert durch eine Landesbürgschaft.

Die Initiative, die das Volksbegehren vorbereitet, hält eine Entschädigung unterhalb des Marktwerts der Wohnungen für rechtlich möglich. Sie geht bei 190.000 betroffenen Wohnungen von einem niedrigen zweistelligen Milliardenbetrag aus. Eine Modellrechnung lässt die Dimensionen der Aktion erahnen: Bei durchschnittlich 50 Quadratmetern je betroffener Wohnung und einem Preis von 3000 Euro je Quadratmeter käme man auf eine Summe von fast 30Milliarden Euro.

Der Senat erarbeitet derzeit eine amtliche Kostenschätzung. In jedem Fall würde die Entschädigungssumme den Landeshaushalt, aber auch die Eingangsbilanz der AöR schwer belasten. Das Grundgesetz gibt in Artikel 14 nur einen allgemeinen Rahmen vor, der landesgesetzlich ausgefüllt werden müsste. In der absehbaren juristischen Auseinandersetzung zwischen dem Senat und den Investoren wird wohl das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort haben.

Was bedeutet Enteignung?

Enteignung ist der vollständige oder teilweise Entzug des Eigentums durch den Staat. Artikel 14 des Grundgesetzes schützt das Eigentum zwar ausdrücklich, lässt einen Entzug aber unter strengen Voraussetzungen zu: Der Staat darf ihn nur zum Wohle der Allgemeinheit vornehmen. Darunter sind besonders schwerwiegende öffentliche Interessen zu verstehen, die dem Gemeinwohl dienen. Darunter fallen zum Beispiel der Straßenausbau oder der Bau von Versorgungsleitungen.

Eine Enteignung darf nur durch ein Gesetz oder durch einen Verwaltungsakt, der wiederum auf der Grundlage eines Gesetzes beruht, erfolgen. Jede Enteignung begründet einen angemessenen Entschädigungsanspruch, zumeist in Geld. Art und Ausmaß der Entschädigung müssen bereits im zugrundeliegenden Gesetz geregelt sein, ansonsten ist die Enteignung verfassungswidrig. Bei der Bestimmung der Entschädigung sind die Interessen der Betroffenen und der Allgemeinheit gerecht gegeneinander abzuwägen.

Eine vollständige Kompensation ist nicht zwingend erforderlich.

Eine weitere Entziehungsmöglichkeit sieht Artikel 15 des Grundgesetzes vor: Demnach können auch Grund und Boden zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Auch in diesem Fall greift die Entschädigungsregelung. Folge dieser sog. Sozialisierung ist, dass die Güter nicht mehr dem privaten Gewinnstreben dienen. Stattdessen soll die Nutzung unmittelbar der Allgemeinheit zugutekommen.

Welche Gesellschaften und wie viele Wohnungen sind betroffen?

Es geht um etwa 190.000 Wohnungen in Berlin. Enteignet werden sollen nach dem Willen der Volksbegehren- Initiative, alle Firmen, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen. Das trifft auf die größten fünf privaten Wohnungsunternehmen in der Hauptstadt zu: Deutsche Wohnen (etwa 110.000 Wohnungen), Vonovia (mehr als 40.000), Akelius (etwa 11.000), ADO Properties (etwa 24.000) und Grand City Property (etwa 4000). Die Wohnungen verteilen sich über das gesamte Stadtgebiet und liegen häufig in speziellen Siedlungen, die einstmals für Geringverdiener oder bestimmte andere Berechtigungsgruppen wie Eisenbahner oder Angestellte angelegt wurden. Daher leben dort häufig bis heute Menschen mit niedrigerem Einkommen.

Was heißt das für den Wohnungsmarkt und die Mieter?

Die Auswirkungen auf den allgemeinen Wohnungsmarkt wären voraussichtlich gering. Allenfalls eine leichte Anstiegsdämpfung des Berliner Mietspiegels wäre zu erwarten. Die Mieten der betroffenen Wohnungen würden nicht sinken, sondern nur langsamer steigen. Auch kommunale Wohnungsunternehmen müssen Gewinne erwirtschaften – die im Raum stehenden hohen Entschädigungssummen müssten wenigstens teilweise auf die Mieten umgelegt werden.

Mieter wären in kommunalen Wohnungen aber deutlich besser vor Verdrängung geschützt. Im Gegensatz zu börsennotierten Unternehmen wie Deutsche Wohnen und Vonovia sind öffentliche Wohnungsunternehmen nicht der maximalen Rendite verpflichtet. Seit 2017 dürfen sie in Berlin die Mieten laufender Verträge nur noch um maximal zwei Prozent jährlich anheben. Nach einer Modernisierung dürfen maximal sechs Prozent der Kosten auf die Miete umgelegt werden - in der privaten Wohnungswirtschaft waren es bisher elf, seit diesem Jahr sind es acht Prozent. Außerdem sollen 60 Prozent der jährlich frei werdenden Wohnungen per gefördertem Wohnberechtigungsschein (WBS) vergeben werden. Außerdem sind Mieter der „Städtischen“ vor der Explosion der Nebenkosten besser geschützt. Laut „Spiegel“ setzt etwa Vonovia durch Vergabe an Tochterfirmen besonders teure Dienstleistungen rund um das Haus an.

Wie sind die Erfahrungen?

Die Bereitstellung von Wohnraum zu einem angemessenen Mietpreis gehört zur öffentlichen Daseinsvorsorge. Um diese sicherzustellen hat der Staat zwei wichtige Instrumente: Die Förderung des sozialen Wohnungsbaus und kommunale Wohnungsunternehmen. Mitte der neunziger Jahre gehörten den städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Berlin noch 420.000 Wohnungen. Damals wurden, weil die Stadt fast pleite war, mit der Gehag und der GSW im vergangenen Jahrzehnt von einer rot-roten Koalition zwei große Landesunternehmen verkauft – ein äußerst umstrittenes Geschäft. Etwa 130.000 Wohnungen wurden privatisiert, ein großer Teil dieses Bestandes gehört heute der Deutschen Wohnen.

Auch der Bestand an klassischen Sozialwohnungen ist stark geschrumpft, weil jedes Jahr tausende Belegungsbindungen auslaufen. Deshalb kann die öffentliche Wohnungswirtschaft ihre Aufgabe als Korrektiv des weitgehend privaten Wohnungsmarktes nur eingeschränkt erfüllen. Zumal die Eigentumsbildung kaum eine Rolle spielt: 86Prozent der Berliner wohnen zur Miete. Von den 1,6 Millionen Mietwohnungen gehören knapp 310.000 den sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften.

Welche Instrumente stehen zur Verfügung?

Einmal die „Mietpreisbremse“, die sich bisher als weitgehend wirkungslos erwiesen hat. Theoretisch darf die Miete bei der Wiedervermietung (nicht im Neubau) höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Außerdem müssen Vermieter unaufgefordert und schriftlich offenlegen, wie viel Miete vom Vormieter verlangt wurde. Doch es gibt viele Schlupflöcher.

Das wirksamste Instrument ist derzeit die Aufstellung von „Sozialen Erhaltungsgebieten“ ( Milieuschutzgebiete). In Berlin gibt es davon 68, mit steigender Tendenz. Dort können den Eigentümern mietsteigernde Maßnahmen erschwert oder ganz untersagt werden. Dazu gehören Luxussanierungen, der Balkon- und Aufzugsanbau oder das geplante Zusammenlegen von Wohnungen. Die Umwandlung in Eigentumswohnungen ist genehmigungspflichtig.

Bei einem Hausverkauf kann sich der neue Eigentümer in einer „Abwendungsvereinbarung“ verpflichten, solche Maßnahmen zu unterlassen. Tut er dies nicht, kann der Bezirk sein Vorkaufsrecht ausüben. Dafür muss eine kommunale Wohnungsgesellschaft als Käufer auftreten und das Haus übernehmen. Wegen der hohen Immobilienpreise wird das zunehmend schwierig.

Eine Rolle spielt natürlich auch die öffentliche Wohnungsbauförderung. die in Berlin erst 2014 wieder eingeführt wurde. Seitdem wurden aber nur etwa 6700 Wohnungen gefördert, davon im vergangenen Jahr etwas mehr als die Hälfte, nämlich 3500. Jährlich soll die Zahl der geförderten Wohnungen um 500 steigen. Die Programme sind teuer, es geht um dreistellige Millionensummen. Auch der Bund beteiligt sich an den unübersichtlichen Fördersystemen.

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