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Berlin: Wolfgang Baumgartner (Geb. 1950)

Warum bitte soll ein Gewerkschaftler schlechter angezogen sein als ein Unternehmer?

Eigentlich hieß er Somogyi, uralter ungarischer Adel, dessen Spur ihn Jahre später bis an den Plattensee führte, wo er dann segeln ging. Er gab den Namen seiner Frau zuliebe auf, obwohl er eigentlich beim Knobeln gewonnen hatte. Aber Baumgartner schien ihm ein solider Name, und vor allem: Er liebte seine Frau. Und wenn er für etwas brannte, dann ganz und gar. Zudem war sein Vater ein Filou gewesen, Frisör in Wien, wohin die Mutter geflohen war, als die Bomben über der Reichshauptstadt immer dichter fielen.

Wolfgang kam in Linz zur Welt, wo alles viel heiler war als in Berlin. Dennoch wollte die Mutter zurück. Für ihn und seinen Bruder war die Stadt ein großer Abenteuerspielplatz, sie spielten in Ruinen, sahen mit großen Augen den startenden Propellerflugzeugen auf dem Tempelhofer Feld hinterher.

Die Ehe der Eltern ging in die Brüche, Wolfgang hielt zu seiner Mutter. Den Todestag seines Vaters hat er nie erfahren. Den Bruder packte das Fernweh. Er zog nach Australien, wurde Feuerwehrmann, was ihm kein Glück brachte, denn von den Löschchemikalien bekam er Krebs.

Wolfgang lernte Bäcker, aber kleine Brötchen backen und den anderen beim Kuchenessen zusehen war nicht sein Ding. Er ging in die Gewerkschaft, und er hatte schnell eine klare Vorstellung, wie Politik gemacht werden sollte. Nicht so abgehoben, wie die Studenten es sich dachten, mit denen er in einer Wohngemeinschaft zusammenlebte.

Er ließ sich zum Rechtssekretär ausbilden, weil er wusste, das Recht ist nur mit den Schwachen, wenn sie es auch wahrzunehmen wissen. Er war hartnäckig, in allem, auch als er Rosina traf, die Konditorin lernte und mit der er fortan gemeinsam auf die Demos ging.

Als Gewerkschaftler bist du ständig auf Achse. Wesel, Bocholt, Düsseldorf, Dresden und wieder Berlin. Er hatte viele Aufgaben und ein klares Ziel: Gib den Menschen die Chance, ebenbürtig zu sein. Wenn die Wirtschaftsbosse ihre Junioren in den Bundestag zum Politikschnupperkurs schicken, dann sollten das die Gewerkschaftler auch können. Wenn die Unternehmer Thinktanks finanzieren und ihre Politik mit Lobbyarbeit durchsetzen, dann muss es auch Stipendien für Arbeiter geben, die den zweiten Bildungsweg gehen wollen. Dem Gegner standhalten, vielleicht wird er dann zum Partner. Beim Arbeitskampf geht es eben nicht nur um ein paar Euro mehr in der Lohntüte, es geht um Wertschätzung.

Wolfgang war keiner, der mit der Faust in der Tasche rumlief, aber er fand gern klare Worte. Wenn die Gesundheitsversorgung nur den Besserverdienenden die bessere Krankenversorgung gewährleistet, muss sich für alle was tun. Wenn Bildung noch immer ein Privileg derer ist, die es sich leisten können, ihre Kinder auf die Universität zu schicken, muss die Politik stärker die Schwachen fördern. Und warum bitte soll ein Gewerkschaftler immer schlechter angezogen sein als ein Unternehmer? Auf seinem Bücherstapel lag das Betriebsverfassungsgesetz neben dem Opernführer.

Wenn ihm alles zu viel wurde, ging er segeln. Er mochte das Meer, aber er ging auch gern wieder an Land, gut essen und trinken. Es zog ihn in alle Länder, wo die Menschen sich das Leben schön machten. Da standen noch viele Reisen an. Das neue Auto war schon bestellt. So behäbig sollte der Ruhestand denn doch nicht werden.

Obwohl er nur mit knapper Not eine schwere Blutvergiftung überstanden hatte, vor drei Jahren war das gewesen. Seitdem hatte er eine neue Herzklappe, musste Blutverdünner nehmen, weil die Gefahr einer Thrombose, eines Blutgerinnsels, nie ganz auszuschließen war.

Am Hochzeitstag plagte er sich mit einem dicken Fuß, das Laufen fiel ihm schwer, aber er wollte nicht in die Notaufnahme, nicht an diesem Tag. Am nächsten Morgen ging er zu seiner Hausärztin, die eine Arthrose diagnostizierte. Als Rosina von der Arbeit nach Hause kam, war Wolfgang tot. Er war an einer Thrombose gestorben.

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