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Der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis

© Reuters/Neil Hall

Yanis Varoufakis in der Volksbühne Berlin: „Tief drinnen ist Wolfgang Schäuble meiner Meinung“

Seit Ende seiner kurzen Amtszeit als griechischer Finanzminister tourt Yanis Varoufakis durch die Lande. Seine Botschaft: ein "Plan B für Europa".

Der Saal der Volksbühne ist rappelvoll. Und auch im Foyer im ersten Stock rücken die Fans ihre Hocker und Sessel vor Leinwänden zurecht. Denn der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis diskutiert an diesem Dienstagabend mit den linken Aktivisten Franco „Bifo“ Berardi aus Bologna, Srecko Horvat aus Kroatien und dem Moderator und Initiator Guillaume Pilao. Das Thema an sich ist schon lohnenswert: „Im Zentrum des Übels/Plan B für Europa?“ Doch der Name Varoufakis im Programmheft hat natürlich magnetische Wirkung.

Ein Stuhl auf dem Podium bleibt symbolisch leer - er ist reserviert für das geographische Zentrum Europas, das den Diskurs über Griechenland für so lange Zeit bestimmt hat. Doch damit soll Schluss sein und dafür soll auch der Mann sorgen, der nun im Zentrum des dunkelgrünen Sesselhalbkreises sitzt.

Seine bloße Existenz hat Deutschland in den vergangenen Monaten daran erinnert, was Pluralismus in Familien oder Freundeskreisen bedeutet. Man liebt oder man hasst ihn - wie sich das für einen echten Popstar gehört. Als solchen bezeichnet ihn jedenfalls Guillaume Paoli in seiner Anmoderation. Tatsächlich tourt Varoufakis seit Ende seiner kurzen Amtszeit durch die Lande und spricht zu den Menschen.

In Berlin wie zuhause

Über den smarten Ökonomieprofessor ist seit Januar mehr geschrieben worden als über seine inhaltlichen Vorschläge als Finanzminister. Seit er auf seinem Motorrad ins neue linke Machtzentrum in Athen brauste, spielte die Griechenland-Krise an sich in der Berichterstattung oft eine untergeordnete Rolle. Die Veranstalter hatten ihn gar als den "meist verleumdeten Mann des Jahres 2015" angekündigt. 

Varoufakis beherrscht die Bühne. Gleich zu Beginn erzählt er dem Publikum schmeichelnd von seinem letzten Besuch in der Hauptstadt: „Ich war vollkommen zu Hause, wie ich immer zu Hause bin, wenn ich in Berlin bin.“ Und so nähern sich Diskutanten und Zuhörer auch an diesem Abend zunächst dem Phänomen Varoufakis, bevor es um Inhalte gehen kann. 

Dabei gibt es viel zu reden über Europa. Die Stichworte Flüchtlinge, Nationalismus, rechte Parteien und TTIP werden im Laufe des Abends noch fallen. Doch zunächst erfolgt der Rückblick auf das „Fingergate“. Passend dazu sitzt mit Srecko Horvat schließlich der ehemalige Direktor des Subversive Festivals in Zagreb auf dem Podium. Auf dem Festival hatten Varoufakis und möglicherweise auch sein Mittelfinger 2013 ihren berüchtigten Auftritt.

Varoufakis betont wieder einmal, mit seinem klaren Nein zur europäischen Austeritätspolitik habe er lediglich das finanziell Verantwortbare und moralisch Richtige getan. Der Bailout für Griechenland sei in Wahrheit ein Bailout für die deutschen und französischen Banken gewesen, nur neun Prozent des ersten Kredites aus dem Jahr 2010 seien beim griechischen Staat angekommen. Diese Sichtweise findet ihm zufolge auch unerwartete Unterstützer: „Tief in seinem Inneren ist Wolfgang Schäuble meiner Meinung.“ 

Nicht nur Varoufakis-Show

Varoufakis argumentiert mal historisch, mal humorvoll, mal mit Zahlen und immer mit ernster Überzeugung. Er referiert über die Funktionsweise der Eurogruppe, die „alle Entscheidungen über Ihre tägliche Existenz trifft“ und sendet detailreich eine einfache Botschaft. Nationales Denken bringe Europa nicht mehr weiter, man brauche eine Europäisierung der Politik und der Ökonomie in Europa.

Abseits der Yanis-Varoufakis-Show sorgen seine Podiumsnachbarn dafür, dass das Thema des Abends nicht allzu kurz kommt. Die Diskussion gewinnt an Substanz, als Horvat beginnt, das Dilemma der Linken in Europa zu erklären. Sie litten entweder an einer „linken Melancholie“, wie bereits von Walter Benjamin beschrieben. Diese habe dazu geführt, dass auf die „internationale Masturbation“ nach dem Syriza-Wahlsieg im Januar die große Ernüchterung nach dem erneuten Rettungspaket folgte. Oder sie litten an einem zu schnell abflachenden Enthusiasmus und müssten endlich verstehen, dass politische Parteien und Ideen von horizontaler Demokratie nicht mehr ausreichten, um etwas zu verändern.

„Bifo“ Berardi erinnert mehrfach daran, dass er neben den finanzpolitischen Fehlern eine weitaus größere Gefahr aufziehen sieht: „Der Krieg kommt nach Europa.“ Er meint einen Bürgerkrieg von rechts, da nationalistische Parteien in der Flüchtlingskrise auf dem Vormarsch seien und die soziale Agenda und die politische Wahrnehmung neu definierten.

Varoufakis bekennt zwar: „Nationale Politik ist kaputt.“ Er ist sich aber auch sicher: "Politik an sich ist quicklebendig.“ Ein Netzwerk von Demokraten möchte er schaffen, um seinen Plan B für Europa zu erarbeiten. Entlang weniger Richtlinien sollten auf dem ganzen Kontinent Diskussionen darüber stattfinden. Varoufakis will sich mit Hilfe moderner Kommunikationstechnologie mit Europäern vernetzen, um ein Manifest zu schreiben, das keine Begrenzungen, aber die Bedeutung souveräner Menschen kenne.

Nach zwei Stunden ist das Publikum müde geredet, die Luft im Saal steht. Erste Zuhörer klettern auf die Bühne, um ein Autogramm oder ein paar persönliche Worte zu ergattern. Im Foyer reden dann alle wieder nur über ihn.

Eines sei am Schluss der Vollständigkeit halber noch angemerkt: Moderator Paoli prognostizierte am Anfang, man könne am nächsten Tag in den Medien gewiss lesen, welche Farbe Varoufakis' Hemd hatte. Es war schlicht und einfach: weiß.

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