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Zecken 2018: Attacke der Mini-Vampire

Der viel zu warme Sommer begünstigt die Ausbreitung der Zeckenpopulationen. Das kann man sehr gut errechnen. Die Tiere übertragen Krankheiten wie FSME oder Lyme-Borrelien. Grund zur Panik besteht trotzdem nicht.

„Die Gefahr aus dem Gestrüpp“, „Rekordjahr für Zecken“, „So viele Mini-Vampire wie nie“ – es liegt ein Hauch von Panik in der Sommerluft, verfolgt man die Schlagzeilen. Schuld daran ist unter anderem Gerhard Dobler. Mit seinem Team hat er am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr, Partnerinstitut des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung, ein Modell veröffentlicht, das für diesen Sommer besonders viele Zecken prophezeit. Genauer gesagt: 443 pro standardisierter Fläche von 100 Quadratmeter. Das ist die höchste gefundene Zeckenzahl seit Beginn der Untersuchungen vor zehn Jahren. Dass es tatsächlich so kommen wird, ist durchaus wahrscheinlich. Für den vergangenen Sommer hatten die Wissenschaftler 187 Zecken pro standardisierte Fläche vorhergesagt, gefunden haben sie 180. „Die Zahlen von Mai und Juni zeigen uns, dass wir auch dieses Jahr richtig liegen“, sagt Dobler.

Möglich wird eine derart präzise Vorhersage der Population dank eines neuen Modells, dass die Münchner Forscher gemeinsam mit Kollegen der Veterinärmedizinischen Universität Wien entwickelt haben. Sie sammeln bereits seit zehn Jahren standardisiert jeden Monat Zecken auf einer mehreren hundert Quadratmeter großen Fläche im Landkreis Amberg. Ihr eigentliches Interesse gilt dem FMSE-Virus, das die Frühsommer-Meningoenzephalitis auslösen kann. Diese Hirnhautentzündung kann schwere neurologische Schäden beim Menschen verursachen und auch tödlich enden. Über die Jahre haben sie so eine beachtliche Menge an Daten gesammelt und besitzen nun die weltweit am längsten laufende Sammlung von Zecken auf einem Areal.

Bereits der Winter 2017/18 war zu warm und mild

Davon hat Klimatologe und Epidemiologe Franz Rubel von der Veterinärmedizinischen Universität Wien gehört. Er hat verschiedene klimatische Parameter darüber laufen lassen, die der Deutsche Wetterdienst zur Verfügung stellt. „Wir haben die Buchenmast 2016 berücksichtigt. Tragen die Buchen viele Früchte, vermehren sich die Mäuse explosionsartig und ermöglichen vielen Zeckenlarven das Überleben. Dadurch hatten wir 2017 viele Larven, die in diesem warmen Jahr auch gute Überlebenschancen hatten und sich im Herbst zu Nymphen entwickelten“, erklärt Rubel. Durch den milden Winter 2017/2018 überlebten wiederum viele dieser Nymphen, die dann 2018 nach großen Tieren und dem Menschen Ausschau halten, um eine Blutmahlzeit zu nehmen. „Dieser Prozess ist durch das großräumige Klima synchronisiert und determiniert die Zeckenhäufigkeit in ganz Mitteleuropa. Damit konnte bereits im Februar 2018 eine saisonale Zeckenprognose erstellt werden, die sich jetzt als zutreffend erwiesen hat“, sagt Rubel.

Bereits vor zwei Jahren haben er und sein Team erste Karten der Zeckendichte für ganz Deutschland erstellt. In den nördlichen Tiefebenen um Hamburg und Berlin werden mittlere Zeckendichten von 70 pro 100 Quadratmeter beobachtet. Auf der Breite von Frankfurt steigt die Dichte auf 180 an, um im südwestdeutschen Stufenland wieder auf 130 und auf der Schwäbischen Alb auf 60 zu sinken. Bei München liegt die Zeckendichte um 90 Zecken pro 100 Quadratmeter. „Die Gebiete hoher Zeckendichten korrelieren recht gut mit den FSME-Verbreitungsgebieten“, sagt Rubel. Also Bayern, Baden-Württemberg, Südhessen und das südöstliche Thüringen.

Das neue Vorhersagemodell funktioniert. Jetzt lautet das Ziel: detaillierter werden. „Dafür sammelt die deutsche Zeckencommunity an 100 verschiedenen Standorten in Deutschland monatlich Zecken, das ist derzeit die weltweit größte Feldstudie dieser Art“, sagt Rubel. Die gefundenen Spinnentiere werden auch auf die verschiedenen Krankheitserreger hin untersucht. Besonders das FSME-Virus steht im Fokus der Forscher. Bisher haben sie den extrem komplexen ökologischen Mechanismus, den der Infektionsweg über Zecke, Maus und Zecke – vereinfacht gesprochen – darstellt, noch immer nicht komplett verstanden. Das allerdings wäre die Voraussetzung, dass man den Zyklus mit natürlichen Faktoren stören und so die Herde löschen kann. „Wir wissen, dass das Virus sehr stabil ist, anders als zum Beispiel das Influenzavirus. Die Mutationsrate liegt gerade einmal bei etwa 0,05 Prozent“, sagt der Münchner Mikrobiologe Dobler.

Die Tiere übertragen Erreger von einem Wirt zum anderen

Mehr Zecken bedeuten auch ein höheres Risiko, sich mit einem Krankheitserreger zu infizieren. Am bekanntesten sind das FSME-Virus und die Lyme-Borrelien. Beide Erreger werden von dem Gemeinen Holzbock übertragen, der in unseren Gefilden den Menschen am häufigsten befällt. Die Münchner Forscher zeigten, dass die Durchseuchung mit dem FSME-Virus relativ konstant ist, unabhängig von der Zeckenzahl eines Jahres. Bei Nymphen beträgt sie 0,5 bis 1 Prozent, bei adulten Tieren 2 bis 4 Prozent. Das bedeutet, dass jede 50. bis 100. Zecke das FSME-Virus trägt. Anders sehen die Zahlen bei Lyme-Borreliose aus: Laut Experten ist jede dritte bis vierte Zecke damit infiziert. Schätzungen zufolge erkranken jährlich zwischen 60 000 und 200 000 Menschen in Deutschland an Lyme-Borreliose. Die Zahlen variieren, weil die Krankheit nicht in allen Bundesländern meldepflichtig ist.

„Wir gehen davon aus, dass weit mehr Erreger von Zecken übertragen werden als bisher beschrieben“, sagt Peter Hagedorn vom Robert-Koch-Institut (RKI). Die Tiere sind hervorragende Vektoren, die einen Erreger von einem Wirt zum anderen tragen können. Und sie haben viel Zeit, um die Keime zu übertragen: Larven saugen fünf Tage am Wirt, Nymphen sieben, adulte Tiere zwölf. Weltweit gibt es rund 20 von Zecken übertragene Krankheiten, dazu zählt die Anaplasmose, eine Infektionskrankheit, bei der das Bakterium die weißen Blutkörperchen befällt. „Das ist in Nordamerika sehr verbreitet, dort zählt eine Anaplasmose zu den emergency diseases, also den Notfällen“", sagt Diplombiologe Hagedorn. In Deutschland sei bisher kein einziger Fall beschrieben worden, obwohl etwa 5 Prozent der Zecken den Erreger in sich tragen. Dem Verlauf einer Malaria ähnelt eine Infektion mit sogenannten Babesien. Mit Mittelmeerfleckfieber oder Boutonneuse-Fleckfieber können sich Urlauber in den Mittelmeerländern infizieren.

Bester Schutz: Hosenbeine in die Socken stecken und sich Zuhause untersuchen

Grund für Panik besteht jedoch in einem Zecken-Rekordsommer nicht. Dass eine hohe Zeckenpopulation tatsächlich für mehr Erkrankungen sorgt, ist Spekulation. „Es gibt keine eindeutige ordentliche Studie, die das belegt“, sagt Dania Richter, die an der TU Braunschweig zu Lyme-Borreliose forscht. Es gibt sieben verschiedene Arten dieser Borrelien, fünf davon können uns krank machen. Interessant ist, dass Wiederkäuer diese Erreger nicht unterstützen. „Wenn also eine Zecke, die Lyme-Borrelien in sich trägt, an einer Kuh oder einem Reh saugt, wird der Erreger – vereinfacht gesagt – ausgelöscht. Diese Zecke kann im nächsten Stadium keinen Menschen mehr infizieren“, sagt Richter. Wie hoch das Risiko ist, sich eine Zecke samt Erreger der Gattung Borrelia einzufangen, hat Richter mit Kollegen untersucht. „Entscheidend ist die Form der Landnutzung“, erklärt sie. So waren auf einer untersuchten Weide vier Prozent der Zecken infiziert, auf einer direkt benachbarten Brache 17. Während zwei Stunden Spaziergang über die Weide sind die Wissenschaftler durchschnittlich einer infizierten Zecke begegnet, im gleichen Zeitraum waren es auf der Brache 56.

Bester Schutz vor einer Infektion mit Lyme-Borrelien ist der mechanische: Wer sich in einem Risikogebiet draußen bewegt, steckt seine Hosenbeine in die Socken und untersucht sich jeden Abend auf Zecken. Wird man fündig, sollte das Tier rasch entfernt werden, die Wahrscheinlichkeit einer Infektion sinkt dadurch. Die betroffene Stelle gut beobachten und zum Arzt gehen, sobald sich die sogenannte Wanderröte bildet. „Wird eine Borreliose frühzeitig erkannt und behandelt, ist sie sehr gut therapierbar“, sagt Sebastian Rauer, Leitender Oberarzt der Klinik für Neurologie und Neurophysiologie der Uniklinik Freiburg. Paradox findet er, dass die Angst vor einer Infektion mit Borrelien in der Bevölkerung deutlich größer ist als die vor dem FSME-Virus. „Möglicherweise sind die absoluten Zahlen dafür zu gering“, mutmaßt er. Wenige hundert Menschen in Deutschland erkranken jährlich an FSME. Doch die Folgen sind mitunter dramatisch. Ein Drittel erlebt einen schweren Verlauf, behält oft bleibende neurologische Schäden zurück. Einen hohen Schutz vor FSME hat, wer sich impfen lässt. Doch die Impfquoten in den Risikogebieten sind schlecht, stagnieren oder sinken sogar. Bei Schulanfängern lagen sie in Baden-Württemberg zuletzt bei 20,7 Prozent, vor zehn Jahren waren es über 30 Prozent. In Bayern sind in Risikogebieten 40 Prozent der Schulanfänger geimpft, 2009 und 2010 waren es 55. Wie effektiv Impfung sein kann, zeigen Zahlen des Robert- Koch-Instituts: 97 Prozent der 2017 gemeldeten FSME-Erkrankten waren nicht oder unzureichend geimpft. „Niemand, der sich impfen lässt, muss Angst vor einem Zeckenbiss haben“, sagt Rauer.

Claudia Füssler

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