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Berlin: Zu verwegen

Der Rang eines Klassikers wie Goethe liegt schon darin begründet, dass man bei ihm zu fast jeder Lebenslage ein passendes Zitat findet. Das schreiende Unrecht, das einem modernen Hauptstädter von Seiten der Kreditinstitute, Versandhändler, ja selbst zuckersüß säuselnder Callcenter-Telefonistinnen widerfährt, konnte der Dichterfürst nicht vorausahnen.

Der Rang eines Klassikers wie Goethe liegt schon darin begründet, dass man bei ihm zu fast jeder Lebenslage ein passendes Zitat findet. Das schreiende Unrecht, das einem modernen Hauptstädter von Seiten der Kreditinstitute, Versandhändler, ja selbst zuckersüß säuselnder Callcenter-Telefonistinnen widerfährt, konnte der Dichterfürst nicht vorausahnen. Dennoch ist in seinen göttlichen Worten das ganze Dilemma eines um die Rendite besorgten Bankers im Kern bereits abgebildet. Dessen Leitspruch hat Goethe Fausts Gretchen in den schönen Mund gelegt: „Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles“. Kein Ackermann könnte es besser formulieren. Leider stammt von Goethe auch folgende Erkenntnis: Es lebe in Berlin „ein so verwegener Menschenschlag beisammen, daß man mit der Delikatesse nicht weit reicht“. Mit der Freigebigkeit offenbar auch nicht. Verwegen – schon in Goethes „Regionencheck“ kam Berlin nicht gut weg, bereits der Mann aus Weimar witterte an der Spree „hohes Ausfallrisiko“, weshalb er seinen Berlin-Besuch nie wiederholt hat. Ein schwacher Trost, wenn einem mal wieder ohne erkennbaren Grund ein Kreditwunsch abgewiesen wurde.

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