zum Hauptinhalt
Hinter Gittern. Insgesamt 863 Gefangene sind derzeit in der JVA Tegel hinter Türen wie diesen untergebracht.

© Mike Wolff

Zustände in der JVA Tegel: Gefangene verlangen bessere Haftbedingungen

Obwohl sie offenbar weniger Grund zur Klage haben als andere Gefangene, beschweren sich besonders die Sicherungsverwahrten in der Justizvollzugsanstalt in Tegel. Ihre Vertreter vergriffen sich zuletzt im Ton und bemühten Nazi-Vergleiche, um ihrem Unmut Luft zu machen.

In Tegel brannte es. Am Sonnabend um 20.27 Uhr wurde die Feuerwehr alarmiert: Ein Gefangener hatte sich in seiner Zelle in Haus 2 verbarrikadiert und Feuer gelegt. Er wurde mit einem Rettungswagen in ein Krankenhaus gebracht, gegen ihn wird wegen schwerer Brandstiftung ermittelt. Ob es ein Suizidversuch war oder er gegen die Haftbedingungen protestieren wollte, ist unklar.

In Tegel brennt es auch im übertragenen Sinne. Obwohl die Justizvollzugsanstalt derzeit nur noch mit 863 Gefangenen belegt ist, halb so viele wie zu Spitzenzeiten, sinkt die Stimmung hinter den Gittern. Besonders schlecht sind zurzeit die Sicherungsverwahrten (SV) auf die Justiz zu sprechen. Ihre beiden gewählten Vertreter wurden am 24. Oktober von der Anstaltsleitung für zunächst einen Monat suspendiert, am 28. Oktober folgte durch JVA-Leiter Martin Renner gegen einen der beiden Insassenvertreter eine Strafanzeige wegen Beleidigung. Torben S. (Name geändert) hatte sich, das sagen auch andere Gefangene, im Ton vergriffen und die Leiterin der SV-Station heftig persönlich beleidigt. In einer Beschwerde an Justizsenator Heilmann vom 22. Oktober greifen die Verwahrten zudem zu unangemessenen Vergleichen: Von  „konzentrationslagerähnlichem Umgehen“ mit ihnen ist die Rede, es fallen Begriffe wie „Gasofen“ und „Herrschaftston“. Auch auf die Nazi-Vergleiche ist die Justiz sauer. Alle Schreiben liegen dem Tagesspiegel vor.

Den Sicherungsverwahrten gehe es in Tegel noch mit am besten, hieß es in der Justizverwaltung. Sie bekommen ein neues Gebäude mit 20-Quadratmeter-Zellen, der Rohbau auf dem Gelände der JVA ist bereits fertig. „Wenn uns der Winter keinen Strich durch die Rechnung macht, können wir das Haus planmäßig im 2. Quartal 2014 belegen“, sagte Heilmanns Sprecherin Lisa Jani am Sonntag. Anfang dieses Jahres wurde zudem die Zahl der Justizangestellten und Sozialarbeiter im SV-Bereich erhöht – die in anderen Abteilungen abgezogen wurden. Auch durch den Gefängnisneubau Heidering vergrößerte sich die Personalnot in Tegel. Fazit der Justiz: Andere Gefangene hätten mehr Grund zur Klage als die 42 Sicherungsverwahrten.

In Heidering sind mittlerweile knapp 400 Männer untergebracht, keine mit langen Strafen, sondern „gute arbeitswillige Leute“, wie es heißt. In Tegel, mit bis zu 1700 Männern einst Deutschlands größter Knast, sammelt sich zunehmend der harte, unerreichbare Kern von „nicht kooperationsbereiten“ Männern, darunter sind etwa 100 zu lebenslanger Haft Verurteilte. Ein Justizangestellter berichtete, dass Tegel wegen der „schwierigen“ Gefangenen als Arbeitsplatz immer unattraktiver werde; viele Kollegen versuchten, in eine andere Anstalt zu wechseln. Vor allem der Umgang mit den Sicherungsverwahrten gilt als schwierig, viele der Männer sind seit 20 und mehr Jahren in Tegel, wegen ihrer Gefährlichkeit müssen sie auch nach der eigentlichen Strafe hinter Gittern bleiben.

Wie berichtet, haben der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahren den Verwahrten wesentlich mehr Rechte zugestanden als normalen Strafgefangenen. „Aber eben nur auf dem Papier“, wie zahlreiche SVer in Tegel klagen. In einer Vollversammlung Mitte Oktober forderten die Verwahrten, dass das von der Justiz angekündigte „freiheits- und therapieorientierte Konzept“ der SV auch „praktisch“ erfüllt werden müsse.

Eine Perspektive hat von den derzeit 42 Sicherungsverwahrten kaum einer – der Hauptgrund für die schlechte Stimmung. Ein 61-Jähriger soll in diesem Monat entlassen werden, fast alle anderen wissen nicht, wie lange sie noch eingesperrt sein werden. Seit diesem Jahr haben die SVer in Tegel jeweils zwei nebeneinanderliegende Zellen, also den doppelten Platz. Denn das Bundesverfassungsgericht hatte eine Frist bis zum Sommer 2013 gesetzt, um die Unterbringung zu verbessern. Da der Neubau nicht so schnell fertig wird, entstand die Idee der Doppelzelle. Justizsprecherin Jani: „Wir haben mit der Bereitstellung von zwei Hafträumen eine gute Übergangslösung gefunden.“ Dies ist aber nur die halbe Wahrheit: Da es aus Kostengründen keinen Mauerdurchbruch gebe, sei man die Hälfte des Tages in einer der beiden Zellen eingesperrt, „mit drei Quadratmetern Freifläche“, kritisiert ein Verwahrter.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false