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Jeder Tag ein Valentinstag. Dieses Hochzeitspaar ließ sich gestern an der Alten Nationalgalerie fotografieren. Bei anderen bleibt die Liebe unerhört. Manchmal finden sie trotzdem zusammen, wie unsere Geschichte aus Teltow erzählt.

© dpa

Zwei Leben, eine Liebe in Berlin: Es begann mit einem Liebesbrief in der S-Bahn

Er sah das Mädchen, er steckte ihr einen Brief in der S-Bahn zu. Dann geschah – nichts. Bis plötzlich das Telefon klingelte und sie sich trafen: 60 Jahre danach.

Am S-Bahnhof sah er sie zum ersten Mal. Ihr Gesicht schön geschnitten, vor allem aber, sagt Günter Bille heute, hatte ihn „ihr Profil“ fasziniert. Vom ersten Augenblick an fühlte sich der damals 19-Jährige zu der jungen Frau hingezogen, die er auf 16, 17 schätzte. Es war zu Beginn der 50er Jahre. Pendler reisten zum Arbeiten oder auch zur Schule nach Berlin. So auch Günter und Hanna, die sich auf dem S-Bahnhof zum ersten Mal an diesem Tag trafen.

Er wohnte in Großbeeren und hatte ein Studium an der Beuth-Hochschule für Technik im Berliner Bezirk Spandau aufgenommen, sie lebte bei Ludwigsfelde und besuchte die Handelsschule in Ostteil Berlins. Manchmal fand Günter Hanna schon im Vorortzug, manchmal in Teltow auf dem Umsteigebahnhof oder später in der S-Bahn, manchmal sah er sie nicht. „Oft konnte ich mich nicht in ihre Nähe drängeln“, erzählt der 83-Jährige. Die Leute standen festgekeilt im Zug.

Es war 1951, der Tag kühl und grau

Als Günter es nicht mehr aushielt, entschloss er sich zu schreiben. Er ahnte, dass es nicht möglich sein würde, seine Angebetete im Sturm zu erobern, so sei er behutsam vorgegangen. „Ich wollte Hanna nicht durch eine ungeschickte Ansprache verlieren, ehe ich sie gewonnen hatte“, erklärt Günter. So begann er seinen Brief so: „Leider kenne ich Ihren Namen nicht ...“. Dann tropfte er mit blauem Tintenfüllfederhalter aufs weiße Schreibpapier: „Liebes Traumbild.“

Hanna erkannte sofort, dass es eine Liebeserklärung war. Gerechnet hat sie damit nicht. Bis dahin hatte sie Günter gar nicht bemerkt.Bevor Günter den Brief übergab, trug er ihn tagelang bei sich. Dann kam der Tag, 1951, grau und kühl. Auf dem S-Bahnhof Teltow steckte der angehende Ingenieur Hanna eilig den Brief zu. Hanna fühlte das Papier in der Manteltasche, sagte nichts – und verschwand. „Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte“, gesteht sie heute. Sie war gerade 14 Jahre alt, viel jünger, als Günter geschätzt hatte.

In der Schule suchte sich Hanna einen Ort, an dem sie ungestört war. Sie erinnert sich noch, wie ihr Herz klopfte. „Ich hätte nie gedacht, dass ich so einen Brief bekommen würde, hatte mich bis dahin noch gar nicht mit Jungen beschäftigt, geschweige denn Gefühle für einen Mann“, erklärt sie. An den Folgetagen hoffte Günter vergeblich auf ein Zeichen. „So oft es die Situation zuließ, suchte ich Blickkontakt“, erzählt er. Die Reaktion blieb aus.

Noch zwei Jahre fuhren beide mit der S-Bahn von Teltow nach Berlin, dann kam der 17. Juni 1953, der Volksaufstand, ihre Wege trennten sich endgültig. „Ich bangte um mein Studium“, erzählt Günter. „Als die Verbote gelockert wurden und West-Berlin wieder erreichbar war, suchte ich mir eine Studentenbude in Spandau.“ 1975 lernt Günter seine spätere Frau kennen, ganz ohne Brief. Die Liebeserklärung an Hanna war die erste und letzte, die Günter schrieb. „Irgendwann dämmerte mir, dass ich wohl nicht ihr Typ bin.“

„Es war ein gut gehütetes Geheimnis.“

Doch Hanna Weichardt bewahrte den Brief auf, hatte sich einen ihrer schönsten Kartons dafür ausgesucht. Später kamen Briefe von Freundinnen und ihres Mannes hinzu, den sie mit 21 Jahren bei einem Kurs an der Volkshochschule kennenlernte. Auch zu dieser Zeit trennten beide nur wenige Kilometer, auch Hanna lebte seit 1956 in West-Berlin.

Die Jahre vergingen, von dem Liebesbrief hat Hanna nie erzählt. Nicht ihrer besten Freundin, nicht ihrer Tochter, nicht ihrem Mann.

„Ich hatte einfach nicht das Bedürfnis“, sagt die 78-Jährige. „Es war ein gut gehütetes Geheimnis.“ Bis jetzt. Mehr als 60 Jahre später offenbarte sie sich dem Mann, dessen jugendliche Zeilen sie ein Leben lang bei sich getragen hatte. „Ich dachte, ich hätte ihm in seiner Jugend sehr wehgetan. Ich wollte ihm sagen, dass ich ihn nicht in seiner Person abgelehnt hatte, sondern einfach überfordert war.“ Sie schnappte sich das Telefonbuch und fand seinen Namen.

Sie treffen sich, sie haben ja Zeit

Es dauerte noch sechs Jahre, bis sie zum Hörer griff. „Seine Frau ging ran.“ Die Frau war freundlich. Noch am selben Abend rief Günter zurück. „Als meine Frau mir von dem Anruf erzählte, konnte ich das noch nicht richtig einordnen. Die Fragmente des Telefonates waren zu ungenau.“ Als er Hanna schließlich am Telefon hatte, hörte er zum ersten Mal ihre Stimme, ihren Namen – nach mehr als 60 Jahren. Langsam kam die Erinnerung.

Er wollte sie kennenlernen. Hanna zögerte, wieder. „Ich wollte mich nicht in ihr Leben drängen.“ Doch Günter blieb hartnäckig. Einem ersten Treffen folgte zum Jahreswechsel vor ein paar Wochen ein zweites. Heute bewundert Günter ihre Intelligenz, ihre Lebendigkeit. „Sie ist unglaublich viel unterwegs“, sagt er und gesteht: „Ein bisschen bin ich froh, dass wir nicht zusammengekommen sind, weil ich längst nicht so umtriebig wie Hanna bin.“

Aus der einstigen Liebe entwickelt sich nun eine herzliche Freundschaft. Vieles ist noch nicht erzählt, noch nicht gesagt, weiß Günter. „Aber es eilt ja nicht!“

Solveig Schuster

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