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Der Hauseingang zu den Räumen der inzwischen geschlossenen Fussilet-Moschee.

© Maurizio Gambarini/dpa

Zwölf Minuten im Salafistentreffpunkt: Mit wem traf sich Anis Amri kurz vor dem Anschlag?

Der Attentäter vom Breitscheidplatz hielt sich kurz vor dem Attentat in der Fussilet-Moschee auf. Er könnte einen Komplizen getroffen haben.

Von Sabine Beikler

Mit so einer Großlage hatte die für den Terroreinsatz zuständige Direktion 1 keinerlei Erfahrung – trotz der erhöhten Gefährdungssituation nach den Anschlägen in Paris und Nizza 2016. „Das wurde nicht geübt“, sagte Axel B. am Freitag im Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses.

Er ist der frühere Leiter des Dezernats 54 der Staatsschutzabteilung im Landeskriminalamt, das seinerzeit auf Islamismus spezialisiert war. B. sprach von einer „chaotischen Phase“ unmittelbar nach dem Anschlag am 19. November um kurz nach 20 Uhr auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz.

Und es dauerte gut drei Stunden, bis die Leitstellen und Polizeiführer die Lage nicht mehr als „Amok“, sondern als Terroranschlag einstuften. Erst um 23.08 Uhr wurde die „Maßnahme 300“ ausgerufen und eine systematische Kontrolle islamistischer Gefährder in Deutschland ausgelöst.

Die Beobachtung von Amri wurde vor dem Anschlag eingestellt

Für Axel B. stand frühzeitig fest, dass es sich um einen Anschlag handeln musste. „Das war für mich klar.“ Entsprechend dieser Lage wurde eine polizeiinterne Besondere Aufbauorganisation (BAO) gebildet, um Polizeikräfte zusammenzuziehen und Maßnahmen einzuleiten.

Nur: Das für den Täter Anis Amri zuständige Dezernat 54 hatte den Attentäter gar nicht mehr im Fokus. Die Observation des Gefährders war bereits eingestellt. Und aus den gut 7000 Telefonaten habe es im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung „nicht einen Hinweis auf einen Terroranschlag gegeben“, sagte Axel B.

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„Die Einschätzung war falsch. Und es war falsch, ihn nicht noch mal observiert zu haben.“ Eine fatale Entscheidung: Bei dem Anschlag wurden zwölf Menschen getötet.

Unmittelbar nach der Tat wurde ein Pakistaner als möglicher Täter festgenommen. Für die LKA-Beamten sei laut Axel B. schnell klar gewesen, dass der Mann nicht der Täter sein konnte.

„Das Spurenbild im Fahrzeug passte nicht zum Erscheinungsbild des Täters“, sagte Axel B. über das Bild aus dem Innenraum des Lkw, mit dem Amri über den Weihnachtsmarkt raste und in dem er den polnischen Fahrer Lukasz Urban erschossen hatte.

Tiefer Einschnitt. Bei der Tat im Dezember 2016 wurden zwölf Menschen getötet, fast 100 verletzt.
Tiefer Einschnitt. Bei der Tat im Dezember 2016 wurden zwölf Menschen getötet, fast 100 verletzt.

© Bernd von Jutrczenka / dpa

Staatsschützer hatten dann auf eigene Faust bekannte Gefährder in Berlin kontrolliert. Mögliche Fluchtwege wie der Zentrale Omnibusbahnhof und die Flughäfen wurden erst Stunden später überwacht, man setzte Mantrailing-Hunde ein, um Spuren zu finden. Doch Amri konnte entkommen und wurde vier Tage später bei einer Polizeikontrolle in Mailand erschossen.

Ausschließen wollten die LKA-Beamten auch nicht, dass es mehrere Täter gebe. Im Nachgang, sagte Axel B. nun, habe Amri mit vielen Personen Kontakt gehabt. Vor dem Anschlag war der Tunesier in der inzwischen verbotenen und geschlossenen Fussilet-Moschee.

Ob er sich dort mit jemandem getroffen hatte, ist noch ungeklärt. Die Bundesanwaltschaft schließt nicht aus, dass möglicherweise „eine Waffe da gebunkert wurde“, sagte Bundesanwalt Thomas Beck im vergangenen Jahr im Ausschuss aus.

Wen hat Amri in der Moschee getroffen?

Bei der Vernehmung im Amri-Untersuchungsausschuss im Bundestag räumte ein Beamter des Bundeskriminalamtes am Donnerstag ein, dass auf Fotos aus den Überwachungsvideos eine Person zu erkennen sei, die die Moschee am Abend des Anschlags verlassen hatte.

Sie sei ihm jedoch nicht bekannt. Der unbekannte Mann soll sich zwölf Minuten gemeinsam mit Amri in dem Salafistentreffpunkt aufgehalten und diesen um 18.49 Uhr verlassen haben. Amri selbst hielt sich von 18.37 Uhr bis 19.07 Uhr in den Gebetsräumen auf.

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Nach Tagesspiegel-Informationen könnte sich Amri mit dem damals bekannten Gefährder Habib S. getroffen haben. Dieser soll inzwischen abgeschoben worden sein. Infrage kommt auch ein guter Bekannter von Amri, Bilel Ben A., der sechs Wochen nach dem Attentat abgeschoben worden war.

Auch wenn Anis Amri nach Aussage der Bundesanwaltschaft bei dem Anschlag keine weitere Person an seiner Seite hatte, war er kein Einzeltäter im juristischen Sinn. Denn bis kurz vor der Tat hatte er Kontakt zu einem „IS-Mentor“ im Ausland gehabt.

Er chattete regelmäßig mit dem Mann namens Mouadh Tounsi. Diese Informationen erhielt die Bundesanwaltschaft durch das bei dem Tat-Lkw gefundene Handy, das Amri zugeordnet werden konnte. Im November 2016 erhielt der Tunesier noch eine Nachricht per Telegram-Messenger von Tounsi, übersetzt als „frohe Botschaft“ für diejenigen, die „Märtyrer-Operationen“ durchführen.

Die Bundesanwaltschaft ist immer noch auf der Suche nach möglichen Mitwissern des Terroranschlags.

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