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Auf Partys stellt Ute Walkusch sich lieber schlicht als „technische Angestellte“ vor.

© Kitty Kleist-Heinrich

Wie man sich den Tod vom Leib hält: Aus dem Alltag einer Kremationstechnikerin

Als sie ein Baby war, setzte ihr Großvater sie mangels Laufstall in einen leeren Sarg. Wie hält man sich den Tod vom Leib, wenn er seit Kindertagen zum Alltag gehört? Ute Walkusch wurde Kremationstechnikerin. Und eine echte Besonderheit.

Zwölf Minuten sind verstrichen, als Ute Walkusch am hinteren Ende des Ofens eine Klappe öffnet und durch ein Loch, nicht größer als der Durchmesser einer Tasse, den Blick freigibt hinein.

Nach durchschnittlich zehn Minuten ist das Holz des Sargs verbrannt, der Körper darin entzündet.

Zwölf Minuten bei 840 Grad. Durch die tassenrunde Öffnung kann eine Kremationstechnikerin wie Ute Walkusch sehen, ob im Inneren alles ist, wie es sein soll. Alle anderen sehen ein warmes, glühendes Orange, ein bisschen was Schwarzes, ein Flackern.

Ihren ersten Toten sah sie, da war sie noch klein. Ute Walkusch, Bestatterkind, vom Opa mangels Laufstall in einen leeren Sarg gesetzt. Dass Menschen vergehen, weiß sie seit jeher. Aber in diesen Mengen?

Etwa ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland verstirbt jedes Jahr, 932 272 Menschen waren es 2017. An ihren ersten Tagen im Krematorium wurde Ute Walkusch, heute eine Frau von 54 Jahren, die Gewaltigkeit dieser Zahl aufs Eindeutigste bewusst. Mehr als 60 Prozent der Deutschen lassen sich nach ihrem Tod einäschern, die Feuerbestattung ist beliebt. Übersetzt in Krematoriumsalltag bedeutet das: haufenweise Särge.

„Das war hart“, sagt Ute Walkusch.

Das Sterben gehört zum Leben, unausweichlich. Ein Gedanke, der sich wunderbar aufschieben lässt. Aber nicht hier. In Ute Walkuschs Beruf ist der Tod Alltag. Es ist überlebenswichtig, ihm mit Pragmatismus zu begegnen. Sie wohnen ja sogar hier, gleich über den Kühlräumen. Die Eheleute Gregor und Ute Walkusch leiten die „Feuerbestattungen Brandenburg“ gemeinsam.

Was geschieht nach dem Tod mit menschlichen Körpern? Kaum einer weiß es genau. Am Ehepaar Walkusch liegt das nicht. Sie sprechen darüber. Und zeigen es. Sie möchten vermitteln, dass ein Krematorium kein grauenerregender Ort ist. Sie bieten Führungen an, da kommen die unterschiedlichsten Besucher, Frauengruppen, oder neulich: ein paar Schornsteinfeger.

Mit einem großen Magneten durchsucht ein Kremationstechniker den Aschekasten nach – zum Beispiel – Sargnägeln, ehe die Überreste gemahlen werden.
Mit einem großen Magneten durchsucht ein Kremationstechniker den Aschekasten nach – zum Beispiel – Sargnägeln, ehe die Überreste gemahlen werden.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ist der Sarg verbrannt, dann zerkocht das Fleisch, verkohlen die Muskeln und verglühen die Knochen. Zweieinhalb bis drei Stunden dauert der Prozess, an dessen Ende rund vier Kilogramm Knochenasche übrig bleiben. Buddhisten glauben, dass die Feuerbestattung der Seele eines Menschen ermöglicht, den Körper zügig zu verlassen.

„Wir sind in erster Linie ein technischer Betrieb“, sagt Ute Walkusch. „Und wir versuchen, alles dazwischen zu packen, was an Menschlichkeit geht.“

Es ist ja das besonders Gemeine am Tod, dass er nicht nur die Alten und Kranken holt, jene, die, wie es immer heißt, „ihr Leben gelebt haben“. Sondern auch die Jungen, Gesunden, eben Geborenen.

Manchmal, wenn sie in den Papieren sieht, dass ein Verstorbener ihr Jahrgang ist, wird sie nachdenklich. Sich täglich mit dem Tod auseinander zu setzen, macht noch lange keinen Experten für die eigene Endlichkeit.

Früh morgens ist Leichenschau

Gregor Walkusch, ebenfalls Kremationstechniker, übernahm das Haus 2007. Nach fünf Jahren Fernbeziehung folgte seine Frau aus Schleswig-Holstein. Und weil sie keine ist, die das Attribut „Frau vom Chef“ auf ewig schmeichelhaft findet, ließ sie sich ebenfalls zur Kremationstechnikerin ausbilden. Im Januar 2018 bestand sie die Prüfung im Ausbildungszentrum des Bundesverbands der Bestatter im unterfränkischen Münnerstadt. Sie war die einzige Frau in ihrem Jahrgang. Auch 2016 und 2015 gab es jeweils eine. Unter den Auszubildenden, die aktuell im ersten Lehrjahr sind, ist keine. Ute Walkusch ist eine herzensfreundliche Person, groß und blond und geradeheraus. Sie würde abtun, was die Statistik des Bestatterverbands deutlich zeigt: Sie ist außerdem eine Besonderheit.

Bei Walkuschs ruhen die Toten in Kühlkammern entlang eines langen Ganges, der von der Eingangshalle des ehrwürdigen, 1927 erbauten Hauses in Richtung Ofen führt. Je sechs Särge finden auf zwei Ebenen Platz in einer Kammer, jeder hat sein eigenes Fach. Ute Walkusch öffnet eine der schweren Türen, auf dem Boden liegt eine vertrocknete rote Rose, die Temperatur beträgt ausweislich des Thermometers an der Außenseite der Tür minus 0,9 Grad.

Früh morgens, wenn der Amtsarzt für die zweite Leichenschau vor Ort ist, stehen die Särge aufgereiht und ohne Deckel im Gang. Ein Verstorbener nach dem anderen wird ein letztes Mal ausgezogen, eingehend untersucht, wieder angezogen: War die Todesursache natürlich? Wer verbrannt ist, kann nicht mehr exhumiert werden. Verbrannt heißt: weg.

Keine der praktischen Tätigkeiten sei ihr schwer gefallen zu Beginn, sagt Ute Walkusch. Stattdessen hat sie immer wieder das Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Einmal war eine alte Dame in der Trauerhalle im ersten Stock aufgebahrt, Tochter und Enkelin nahmen Abschied. Ute Walkusch wollte sie kurz begrüßen, als die beiden begannen, von der Verstorbenen zu erzählen. Bis Ute Walkusch das Gefühl hatte, die richtig gut zu kennen.

Die Kremation ist ein sehr endgültiger Schritt. Kein gemächliches „Erde zu Erde“, stattdessen die zügige und einigermaßen gewaltsame Reduktion des toten Körpers auf Asche in einem Behältnis, das sich zwar liebevoller umarmen lässt als ein Sarg, dafür aber nur wenig noch an Mensch erinnert. Die Kinderurnen im Keller des Krematoriums sind so groß wie ein Bierkrug.

Zunächst entschied sich Ute Walkusch, nachdem der Bruder das Familienunternehmen übernahm, für eine Ausbildung zur Krankenschwester. Dreißig Jahre arbeitete sie in diesem Beruf, den sie liebte. Zuletzt leitete sie einen Pflegedienst. Viele Patienten hat sie so in den letzten Tagen vor ihrem Tod begleitet. Als ihre Mutter im Krankenhaus starb, war es ihr selbstverständlich, fürsorglich zu sein, die Tote zu waschen, anzukleiden, sich zu verabschieden.

Sie darf nicht in Tränen ausbrechen, wenn eine Braut in Weiß im Sarg liegt

All jene waren Ute Walkusch persönlich nah, die Meyers, Müllers, Schmidts, die Mutter. Im Krematorium haben die Toten Nummern. Das ist nötig, um den Überblick zu wahren – und die Balance.

„Es war für mich zunächst schwierig zu lernen, dass ich keine Beziehung zu den ganzen Toten habe. Man muss aufpassen“, sagt Ute Walkusch. „Das hat mich umgehauen.“ Ihre Regel lautet jetzt: Stell dir vor, er oder sie ist ein entfernter Verwandter. Die Toten mit Respekt zu behandeln und doch nicht in Tränen ausbrechen, wenn eine Braut in Weiß im Sarg liegt, oder ein Kleinkind. „Mein Mann hat mir Distanz eingeimpft, wenn ich zu emotional wurde“, sagt Ute Walkusch.

Wer möchte, darf seinen Verstorbenen persönliche Gegenstände mitgeben, häufig seien es Kuscheltiere, erzählt Ute Walkusch, oder Fotos, alles Mögliche. Auch darf der Tote seine Kleidung tragen, Lieblingskleidung. Ausgenommen Motorradkluft und Taucheranzüge. „Das schaffen unsere Filter nicht.“

Während ihrer Ausbildung hat sie allerlei über Emissionsschutz und Ofentechnik gelernt. Natürlich funktioniert auch im 100 Jahre alten Krematorium in Brandenburg an der Havel vieles computergesteuert. Morgens, wenn der Arzt noch die Leichen untersucht, hat der Ofen längst von allein begonnen sich aufzuheizen. Im Inneren ist er ausgekleidet mit Schamottesteinen. Die große Hitze führt dazu, dass der Sarg sich selbst entzündet.

Der nächste Sarg wird mit einer Seilwinde vom Wagen auf einen Metallschlitten gehoben, von wo er in den Ofen gleitet.
Der nächste Sarg wird mit einer Seilwinde vom Wagen auf einen Metallschlitten gehoben, von wo er in den Ofen gleitet.

© Kitty Kleist-Heinrich

Gerade bereitet Kremationstechniker Steffen – zwei Männer sind als solche im Haus angestellt – den nächsten Sarg für die Verbrennung vor, der Kühlgang führt direkt zum Ofenraum. Mit einer Seilwinde hebt er den Sarg vom Wagen auf einen Metallschlitten auf dem Boden, schlägt die Füßchen des Sarges mit einem Hammer ab, öffnet per Knopfdruck die Ofentür – und mit einem sanften Rrrrrrrrr rutscht ein Teil des Metallschlittens wie eine Zunge hinein in den Ofen und setzt den Sarg sanft ab. Noch bevor sich die Tür komplett wieder geschlossen hat, zündeln bereits die Papiere, die am Holz heften. Nummer 26 685, Adieu.

Mit der Abwärme beheizen sie ihr großes Haus

Als sie am Tag des offenen Denkmals Führungen anboten, war unter den Gästen eine ältere Frau, deren Mann wenige Wochen zuvor eingeäschert worden war. Gemeinsam gingen sie seinen letzten Weg, von der Annahme des Sarges zur Kühlung, zum Ofen. „Die Frau hat hinterher sehr geweint“, sagt Ute Walkusch. „Sie sagte aber auch, dass es ihr bei der Trauerbewältigung geholfen hat.“ Noch einmal fühlte sie sich ihrem Mann nah.

Der Ofen wirkt klein unter den hohen Decken. Seine graue Verkleidung fühlt sich fast samtig an und lauwarm.

Mit der Abwärme, die bei den Einäscherungen entsteht, beheizen Ute und Gregor Walkusch ihr großes Haus. Was, im Sinne des 21. Jahrhunderts, nicht geschmacklos wirkt, sondern durchdacht. Wie die ganze Form der Bestattung. „Wir gehen davon aus, dass die Feuerbestattung umweltfreundlicher ist“, sagen sie. Aufgrund der Filtertechnik des Ofens, die giftige Dioxine und Furane in den entstehenden Gasen unschädlich macht; aufgrund dessen, dass stark medikamentierte, alte, kranke Verstorbene für die Erde, in der sie bestattet werden, nun ja, toxisch sein können. Viele Aschekapseln, auch jene, die Walkuschs verwenden, sind biologisch abbaubar.

Das entspricht ihrer Überzeugung. Und es ist Punkt Zehn der Ethischen Grundsätze der Feuerbestattung: „Alle bei der Einäscherung verwendeten Materialien müssen umweltverträglich sein.“

Während Nummer 26 685 eingeäschert wird, bearbeitet der Ofen in einem Etagensystem gleichzeitig noch die Überreste von zwei weiteren Verstorbenen, überwacht mittels eines Computerbildschirms.

Sind Sarg und Person verbrannt, fallen Asche und Knochenfragmente über eine Drehscheibe auf die zweite Ebene. Dort wird die Asche ausgeglüht, ein Stockwerk tiefer wird sie abgekühlt – und sammelt sich im Aschekasten. Damit nichts durcheinander gerät, begleitet ein runder Schamottestein mit der eingeprägten Nummer des Verstorbenen den Vorgang bis in die Urne, in der er verbleibt.

Etwa zehn bis zwölf Einäscherungen finden pro Tag in Brandenburg an der Havel statt, im Jahr kommen sie auf rund 2500.

Im Regal lagern Prothesen, künstliche Gelenke, Nägel

Es ist nachvollziehbar, dass Ute Walkusch sich bei Partys manchmal lieber schlicht als „technische Angestellte“ vorstellt.

Ein ganz leichter Geruch nach verbranntem Holz liegt in der Luft, als Ute Walkusch vorangeht in den Keller. Es riecht ansonsten so bemerkenswert nach nichts in diesem Haus, dass dies sofort auffällt.

Im Untergeschoss blickt ein lebensgroßes Skelett von einem Poster milde lächelnd auf die Besucher herab. Drei metallene Aschekästen liegen zum Auskühlen neben dem Ofen. In einem Nebenraum werden sie geöffnet, an einem überdachten Arbeitsplatz, an dem Unterdruck erzeugt werden kann. Das soll verhindern, dass es staubt – und so die Arbeit erschwert wird, die folgt: behandschuht und mit einem großen Magneten muss ein Kremationstechniker die Überreste durchsuchen, Sargnägel entfernen, künstliche Gelenke. Zahngold verbleibt.

Jährlich werden an diesem Ort 2500 Menschen eingeäschert. Damit nichts durcheinander gerät, bekommt jeder eine Nummer auf einem Schamottestein mit.
Jährlich werden an diesem Ort 2500 Menschen eingeäschert. Damit nichts durcheinander gerät, bekommt jeder eine Nummer auf einem Schamottestein mit.

© Kitty Kleist-Heinrich

Gregor Walkusch öffnet einen Kasten. Weißgräulich und schwarz sieht die Asche aus, die übrig gebliebenen hellen Fragmente – die Kalkstruktur der Knochen – fühlen sich weich an, sagt er. So wie ein frisches Baiser. Obenauf liegt ein künstliches Hüftgelenk, das heißt: der eine Teil. Der andere ist noch irgendwo unter der Asche und muss erst gefunden werden.

Ute Walkusch führt zu einem metallenen Regal. „Unser Gruselkabinett“, sagt sie und meint das nicht abfällig. Es ist der Humor all jener, die täglich mit dem Tod zu tun haben. Humor, der schützt. Denn was im Regal liegt, sind Prothesen, künstliche Gelenke, Nägel, Drähte, medizinisches Gerät, bei dessen Ansicht manche wohl nicht im Traum darauf kämen, es könnte je in einem Menschen verbaut gewesen sein. Was im Regal liegt, bleibt zu Anschauungzwecken dort. Alle übrigen Fundstücke holt regelmäßig ein Recycler ab. Von dem Geld, das er zahlt, jährlich etwa 5000 bis 9000 Euro, spenden Ute und Gregor Walkusch – wie viele andere Krematorien – an soziale Projekte. Eher heimlich und leise. Ohne große Scheckübergabe. „Krematorium finanziert Wickeltisch für Kita“ – das klingt dann doch etwas komisch.

Sie ist ein lebender Beweis: Die Branche verändert sich

Ist alles entfernt, werden die Überreste in einer Maschine fein gemahlen, in die Urne gefüllt und die wird verschlossen. So fest, dass sie nicht unbeschadet wieder geöffnet werden kann. Bei der Überarbeitung des Brandenburger Bestattungsgesetzes, erzählt Ute Walkusch, habe es Überlegungen gegeben, ob den Hinterbliebenen nicht ermöglicht werden solle, ein wenig Asche zu entnehmen. Um sie in Schmuck zu verarbeiten und den Verstorbenen so bei sich zu tragen zum Beispiel. Man entschied sich dagegen. Ute Walkusch zuckt mit den Schultern und lächelt.

„Wir sind Dienstleister für die Bestatter“, sagt sie. Dabei ist sie längst mehr als das.

Sie ist ein lebender Beweis, dass sich in der gesamten Branche etwas tut. Der Bundesverband der Bestatter verzeichnet fürs aktuelle erste Lehrjahr ebenso viele weibliche wie männliche Auszubildende zur Bestattungsfachkraft.

Es ist Ute Walkusch nicht unrecht, dahingehend auch ein Zeichen zu setzen. Sie ist der Gesellschaft ein bisschen voraus, wie die Gesellschaft auch dem Brandenburger Bestattungsgesetz voraus ist. Längst würden sich viele wünschen, sie könnten etwas Asche ihres Verstorbenen verwahren. Zunehmend wollen die Angehörigen den Toten auch bis zur Ofentür begleiten. Punkt zwei der ethischen Grundsätze der Feuerbestattung: „Auf Wunsch sollen die Angehörigen die Möglichkeit haben, der Übergabe des Verstorbenen an das Feuer beizuwohnen. Hierzu ist der Arbeitsbereich der Würde des Anlasses entsprechend herzurichten.“

In Brandenburg an der Havel stehen dann zum Beispiel Kerzen am Ofen, das elektrische Licht ist gedimmt. Und Ute Walkusch ist da, wenn sie gebraucht wird. Sie sagt: „Das ist das, was unsere Arbeit hervorhebt.“

Einmal stand eine Frau vor dem Ofen, vor ihr der Sarg mit ihrem Kind, bereit zur Einäscherung. Sie sollte Bescheid sagen, wenn sie so weit wäre. Aber sie stand nur da und weinte und weinte.

Da haben sie alle geweint.

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