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© Imago/Sven Simon, getty images/Gestaltung: tagesspiegel

Die Fake News der Julia Klöckner: Unehrlichkeit als roter Faden einer Karriere

Ex-Ministerin Julia Klöckner scheint es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen. Ihr Tweet zu Zahnarztkosten von Migranten ist nur der neueste Fall.

Eine Kolumne von Sebastian Leber

Die aktuelle Debatte um Migrationspolitik ist komplex. Man kann sich leicht verzetteln, Aspekte übersehen, Folgen falsch abschätzen. Ich verstehe auch, dass Politiker keine Patentrezepte parat haben. Aber wenn ich von Demokraten bei solch einem ernsten Thema eines erwarte, dann wenigstens: dass sie diese Debatte ehrlich führen – und nicht wider besseres Wissen Unwahrheiten verbreiten.

Wer glaubt, zumindest darauf sei Verlass, kennt Julia Klöckner nicht. Die CDU-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Landwirtschaftsministerin verbreitete Ende September auf Twitter die absurde Meldung, Asylbewerber hätten im Vorjahr Zahnarztkosten in Höhe von 690 Millionen Euro verursacht. Diese Behauptung ist nicht wahr, Klöckner stützte sich auf eine Falschmeldung des „Spiegel“. Das Magazin korrigierte den Irrtum nach wenigen Stunden, nämlich sobald es ihm auffiel, und transparent, wie es sich gehört.

Nicht so Julia Klöckner. Die denkt bis heute nicht daran, ihren falschen Tweet richtigzustellen, einzuordnen oder halt einfach zu löschen. Obwohl sie genau weiß, dass sie seit mittlerweile zwei Wochen eine Unwahrheit verbreitet.

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Warum sollte eine Ex-Ministerin so schamlos agieren?

Bislang hatte ich keine dezidierte Meinung zu Klöckner. Ich erinnere vage, dass sie sich einmal sehr unglücklich zu Meinungsfreiheit und Hitlergrüßen äußerte. Und dass sie sich als Ministerin für ein Nestle-Werbevideo hergab. Mehr nicht.

Also befragte ich Google nach Lesenswertem über Klöckner und fiel prompt in ein rabbit hole: Das halbe Internet ist offenbar voller Menschen, die dieser Frau Falschbehauptungen unterstellen. Ob als Ministerin, Abgeordnete, Landespolitikerin. Als sei Unehrlichkeit ein roter Faden ihrer Karriere.

Natürlich werden Politiker viel und oft kritisiert. Man wirft ihnen schlechten Stil, falsche Entscheidungen, Inkonsequenz oder Inkompetenz vor. Doch dass einem Politiker immer wieder dieser eine Vorwurf – Unehrlichkeit – gemacht wird, das ist mir neu.

Die SPD rügte Julia Klöckner bereits 2016 dafür, massiv Falschbehauptungen in die Welt zu setzen, und listete diese auf drei DinA4-Seiten unter dem Titel „Klöckners Unwahrheiten“ auf. Der FDPler Gero Hocker warf Klöckner vor, „dreist die Unwahrheit zu verbreiten“, nachdem sie von einem Antrag der Liberalen zur Streichung von Zuschüssen für eine Sozialkasse sprach. „Diese Aussage der Ministerin ist schlichtweg ausgedacht und damit erlogen“, schreibt Hocker. „Unserer Aufforderung, hierfür irgendeinen Beleg zu liefern, ist Julia Klöckner bis heute nicht nachgekommen – weil es schlichtweg keinen gibt.“

Belege schuldig bleiben und aussitzen, das kennt auch der taz-Autor Jost Maurin von ihr. 2020 behauptete sie in einer Talkshow, ein rumänischer Erntehelfer sei entgegen der öffentlichen Darstellung gar nicht an Covid-19 gestorben, sondern an einem Herzinfarkt. Die zuständige Behörde widersprach ihr prompt. Maurin fragte nach, woher Klöckner ihre Information habe. Sie schwieg. Auch für eine weitere Unwahrheit, eine Falschbehauptung über Pestizidpolitik, entschuldigte sie sich nicht. Ihr Ministerium räumte später lediglich ein, dass „eine ursprünglich getroffene Aussage so nicht zutreffend ist“.

2022 warf Klöckner der Ampelkoalition vor, jungen Menschen Pubertätsblocker zu empfehlen. Schnell kam heraus, dass die von ihr kritisierte Publikation aus der eigenen Regierungszeit stammt.

Die Liste derer, die Klöckner konkrete Vorwürfe machen und diese auch belegen, ist noch weitaus länger. Selbst Martin Rütter, der sonst dauerliebe Hundetrainer, beschuldigte Klöckner nach Kontakt mit ihrem Ministerium der Unehrlichkeit. Er sagte: „Also jetzt geht die Dreistigkeit wirklich in eine Dimension, wo du dich fragen musst, ist diese Frau in einem Zustand, dass die glaubt, dass alle völlig verblödet sind?“

Ich habe Klöckner gefragt, wie lange sie schon weiß, dass ihr jüngster Tweet zu den angeblichen Zahnarztkosten von Asylbewerbern falsch ist. Und warum sie das, anders als der Spiegel, nicht richtigstellt. Sie antwortet nicht.

Ich habe sie auch gefragt, woher sie ihre exklusiven Informationen zu dem angeblichen Todesgrund des Erntehelfers hatte. Weshalb sie der FDP keine Belege für ihre eigene Behauptung über den angeblichen Antrag erbrachte. Wie sie zu den zahlreichen Behauptungen kam, die schon 2016 als unwahr entlarvt wurden. Julia Klöckner schweigt zu allem. Einerseits schade. Andererseits ist mir zumindest sehr wohl bei dem Gedanken, dass so jemand aktuell nicht über unsere Migrationspolitik entscheidet.

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