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Im Hintergrund sieht man die Eingangstür des Haderlump-Ateliers. Der Designer Johann Ehrhardt baute sie für seine Schau aus und am Laufsteg wieder auf.

© Finnegan Koichi Godenschweger

Die Fashion Week beginnt: Keine Angst vorm Basteln

Improvisieren war lange in der Berliner Mode verpönt — jetzt steht der Zufall gepaart mit Handwerk für Erfolg

Johann Ehrhardt hat alte Kuhfelle bei Ebay bestellt. Es waren mal Teppiche, jetzt liegen sie nicht im Atelier auf dem Boden, sondern auf dem Zuschneidetisch. Daraus näht er Jacken, die steif wie ein Wams vom Körper abstehen. Am Dienstag wird der Designer sie auf der Fashion Week für seine Marke Haderlump präsentieren.

Noch vor ein paar Jahren, also vor Corona, war es für jeden Berliner Designer wichtig zu beteuern, dass die eigene Arbeit nichts mit Hinterhofbastelei zu tun hat: „Wider dem T-Shirt mit Kartoffeldruck“, schallte der Kampfruf. Das klang nach Beschäftigungstherapie, aber nicht nach ernsthaftem Geschäft. Das sollte, musste in Berlin betrieben werden, um nicht belächelt und für irrelevant erklärt zu werden.

Mein Atelier ist mir heilig.

Johann Ehrhardt von Haderlump

Heute hat das Basteln seinen Schrecken verloren. Es heißt jetzt Handwerk und gilt jetzt als Unterscheidungsmerkmal. Seit sich viele während der Pandemie zu Hause mit Handarbeiten die Langeweile vertrieben, wissen mehr Menschen, wie groß der Unterschied zwischen „etwas mit den Händen machen und etwas können“, ist.

Die Mode von Olivia Ballard entsteht oft direkt am Körper. Die Künstlerin zeigt ihre neusten Entwürfe am ersten Tag der Fashion Week.
Die Mode von Olivia Ballard entsteht oft direkt am Körper. Die Künstlerin zeigt ihre neusten Entwürfe am ersten Tag der Fashion Week.

© Olivia Ballard

Durch die große Do-it-yourself-Gemeinde ist die Trennlinie zwischen Basteln und Könnerschaft auch bei den Designern unschärfer geworden. Improvisieren ist oft Teil des Entwurfsprozesses und wird als künstlerischer Akt wertgeschätzt, der das Kleidungsstück einmalig macht.

Es geht in der Berliner Mode nicht mehr primär darum, Stückzahlen in die Höhe zu treiben

Das reicht auf der am Montag beginnenden Fashion Week von Künstlerinnen wie Olivia Ballard, die überhaupt nur durchs Improvisieren mit transparenten Stoffschläuchen zur Mode kam, über Rosa Marga Dahl, die altes Leinen von 1800 verarbeitet und Flecken und Unregelmäßigkeiten bewusst nicht wegschneidert, oder eben Johann Ehrhardt, bei dem eine Praktikantin monatelang an der Strickmaschine experimentiert und aus vielen gestrickten Rechtecken an der Schneiderpuppe ein Oberteil zusammen puzzelt.

Letzte Handgriffe vor der Schau bei SFL1OG von Rosa Marga Dahl im Sommer 2023.
Letzte Handgriffe vor der Schau bei SFL1OG von Rosa Marga Dahl im Sommer 2023.

© Ben Mönks

Es geht also in der Berliner Mode nicht mehr primär darum, die Stückzahlen in die Höhe zu treiben, sondern möglichst aufwendige Einzelanfertigungen für Rapperinnen und Künstler zu machen – also für die Bühne zu entwerfen. Da kommt dann auch die Modenschau ins Spiel. Der wurde schon vor Corona die Daseinsberechtigung abgesprochen. Die Pandemie war dann so etwas wie der „Proof of Concept“, mit digitalen Formaten versuchten die Designmarken, die Modenschau als Event zu ersetzen. Sie drehten Filme und ließen Models ohne Publikum durch dystopisch anmutende Räume irren. Die Modenschau ist aus all dem als Sieger hervorgegangen – nie stand sie so im Mittelpunkt, wie bei dieser Fashion Week.

Das findet auch Johann Ehrhardt von Haderlump. Seine erste durch Crowdfunding finanzierte Schau im Januar 2023 katapultierte ihn vom Geheimtipp zum vom Senat geförderten Designer.

Und Handwerk hat eben mit Atelier zu tun. Dass nur eine Woche vor dem Beginn der Fashion Week die Lobbyvereinigung „Fashion Council“ zum gemeinsamen Screening der Disney-Serie „Cristóbal Balenciaga“ ins Soho House einlud, kann da schon als Zeichen verstanden werden. Die Serie handelt vom wohl genialsten Schneider, den Paris jemals hatte und spielt zu großen Teilen im Atelier. Dort reißt Balenciaga nur Augenblicke vor einer Präsentation einen Ärmel aus einer Jacke – wegen winziger Fältchen, die nur er sieht. „Ärmel sind am schwierigsten“, auch Johann Ehrhardt sieht sich als Schneider, der am liebsten alles selbst nähen würde.

Nach der Schau kam Johann Ehrhardt (rechts im Vordergrund) zusammen mit seinem Geschäftspartner Julius Weißenborn und Team durch die ausgebaute Ateliertür.
Nach der Schau kam Johann Ehrhardt (rechts im Vordergrund) zusammen mit seinem Geschäftspartner Julius Weißenborn und Team durch die ausgebaute Ateliertür.

© Finnegan Koichi Godenschweger

Um zu zeigen, wie sehr sie ihre Arbeit im Atelier lieben, bauten Ehrhardt und sein Geschäftspartner Julius Weißenborn vor der Schau im Sommer die schwere Eingangstür aus und stellten sie samt aller Maschinen in der Mitte des Laufsteges wieder auf. Noch vor den Models betrat der Designer mit seinem Team sein temporäres Atelier und fing an zu arbeiten.

Jetzt sind sie mit Haderlump an einem Wendepunkt – ob sie sich auf darauf konzentrieren Einzelstücke zu fertigen, oder wie im vergangenen Jahr auch noch mehr als 700 Hoodies und T-Shirts auf Bestellung zu nähen, das wissen sie noch nicht. „Jetzt lassen wir den Stein erst mal rollen.“

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