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Tagesspiegel-Kolumnistin Katja Demirci.

© Mike Wolff

Katja Reimann macht sich locker: Die Taube am Flughafen öffnet das Herz

In meinem E-Mail-Postfach fand ich neulich, unvermittelt, einen Newsletter des Flughafens Heathrow. Ich war so überrascht, dass ich die Mail sofort in den Papierkorb verschob.

Einen halben Tag später fischte ich sie wieder raus. Was wollte London von mir? Hatte ich mich versehentlich für irgendetwas registriert – und konnte ich das rückgängig machen (nein und nein)?

Ich überlegte, wann ich zuletzt in Heathrow gewesen war. Vor einem Jahr? Vor zweien? Um ehrlich zu sein, bin ich dort sogar noch nie angekommen im Sinne von: ausgestiegen und in London geblieben. Immer ging es nach ein paar Stunden irgendwohin weiter. Alles in allem habe ich in den Terminals von Heathrow vermutlich schon mehr Zeit verbracht, als in der Londoner Innenstadt.

Tragisch finde ich das nicht. Ich mag diesen Flughafen, bei meinem letzten Stopp dort beobachtete ich stundenlang Menschen und versuchte zu erraten, wohin sie fliegen. Manche verfolgte ich anschließend unauffällig bis an ihr Gate, um zu sehen, ob ich richtig lag. Trefferquote etwa 40 Prozent.

Als ich den Newsletter des Flughafens nun öffnete, fand ich darin neben einem Interview mit dem Restaurantchef Pieter-Bas Jacobse einen „Insider’s Guide to Manhattan“. Der Restaurantchef lobte den Flughafen wie verrückt, erzählte, dass Reisende keine Überraschungen mögen, und gestand, er sei „restlessly creative“ und so gesehen in Heathrow genau richtig. Ja wahrhaftig, welcher Arbeitsplatz könnte schöner sein für diesen Mann? Und wirkte nicht Manhattan im Vergleich zum wuseligen Terminal 5 beinahe statisch und, ja, fast uninteressant?

Ich kann mich nicht erinnern, wohin ich beim letzten Mal von Heathrow aus weitergeflogen bin. Vermutlich war es europäisch, Oslo vielleicht, Edinburgh könnte sein. Was ich noch weiß: Je länger ich auf dem Flughafengelände war, desto mehr versuchte ich meine unspektakuläre Destination zu vertuschen. Saß eine Weile am Gate für einen Flug in die USA, liebäugelte mit Nairobi und Kuala Lumpur. Man kann den Spieß nämlich auch umdrehen, nach Heathrow fliegen und mondän tun.

Am Flughafen von Liverpool traf ich vor Jahren einen älteren Herrn in einem Pub. Akribisch notierte (und kontrollierte) er an mehreren Tagen der Woche die An- und Abflugzeiten der Maschinen bestimmter Airlines. Aus Versehen hatte ich seinen angestammten Platz am Fenster – mit Sicht auf die Startbahn – besetzt. Selber war er noch nie geflogen, was mir leid tat. Doch in seiner Dokumentationsarbeit lag etwas Tröstliches, je länger er mir sein System erklärte, desto mehr kam es mir wie „Fast-Fliegen“ vor.

Im Nachhinein betrachtet tat ich nichts anderes, als ich mich in Heathrow ins falsche Gate schummelte: Ich fühlte mich ein bisschen cooler, als ich tatsächlich bin.

Manchmal klappt das auch im Yoga. Wenn eine Übung gelingt, von der man weiß, dass sie spektakulär aussieht – und die doch verhältnismäßig einfach ist. Ich denke zum Beispiel an eine Variante von Kapotasana, der Taube. Am Ende liegt das rechte Knie vorn, der rechte Fuß zeigt in Richtung der linken Leiste, das linke Bein ist lang nach hinten ausgestreckt beziehungsweise der Unterschenkel so nach oben gebogen, dass die Hände, rückwärts über Kopf, den linken Fuß fassen können. Die Übung, so heißt es, öffnet das Herz.

In Heathrow soll es mittlerweile einen Yoga-Raum geben. Ich muss da mal wieder hin, für ein paar Stunden. Mich mit dem Habitus einer weitgereisten Kosmopolitin in die Taube falten, von fernen Ländern träumen, und wenn irgendeiner fragt, wohin es geht, mit weit geöffnetem Herzen antworten: „Berlin! I’m restlessly creative.“

Frühere Kolumnen finden Sie hier und hier und hier.

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