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Magisch sind dabei nur die Preise. 

© Gestaltung: Tagesspiegel/Fotos: Getty images/iStockphoto/imaginima, freepik

700 Euro für einen simplen Stein: Warum die Esoterik-Abzocke im Internet so erfolgreich ist

Im Netz bewerben Esoterik-Anbieter „Orgonit-Pyramiden“ und „Engel-Aura-Essenzen“. Magisch sind dabei nur die Preise. Gekauft werden die Produkte aber.

Eine Kolumne von Sebastian Leber

Von allen fragwürdigen Produkten, die im Netz beworben werben, schätze ich am meisten die esoterischen. Wegen ihrer lustigen Namen und angeblichen Wirkungen, der ganz sicher authentischen Kundenrezensionen und der oft obszönen Preise. Zu meinen Favoriten zählt aktuell der „Orpanit Orgonit Cloudbuster“, ein rund zwei Meter langes Gebilde aus sechs parallel verlaufenden Kunstharzstangen und zwei Mini-Pyramiden, das man sich senkrecht in den Garten stellen kann.

Glaubt man dem Anbieter, eignet es sich dank eingebetteter Metallspäne und Edelsteine ideal für „Energie- und Heilarbeit“, auch zur „Stärkung der Aura“, zur „Harmonisierung des Umfelds“ und zum „Lösen von Blockaden“.

Es hilft bei Elektrosmog und sogar gegen „Chemtrails“, also Gifte, von denen Verschwörungsgläubige behaupten, dass sie im Regierungsauftrag von Flugzeugen in den Himmel gesprüht werden, um wahlweise das Wetter zu beeinflussen oder die Weltbevölkerung zu reduzieren. Hergestellt wird der „Cloudbuster“ in einer Manufaktur im Bergischen Land, Amazon liefert binnen einer Woche. Was der Spaß kostet? Na 3.333 Euro.

Der „Orpanit Orgonit Cloudbuster“ auf Amazon.
Der „Orpanit Orgonit Cloudbuster“ auf Amazon.

© Screenshot: Amazon

Das Zusammenspiel von Fantasiewirkungen und Fantasiepreisen gerät umso überzeugender, je selbstbewusster der Schnickschnack beworben wird. Es gibt den „Kolganov-Anhänger“ in der Variante „7 Sphären“, der seinen Träger „auf dem Weg der spirituellen Entwicklung“ unterstützt und dabei „den natürlichen Zustand des menschlichen Biofelds“ wieder herstellt (399 Euro, aus Messing).

Sogar Zimmerpflanzen sollen schneller wachsen

Es gibt den in Hosentaschen passenden „Quantenkraftstein“, der Menschen energetisiert und die Alterung verlangsamt – und zwar nicht nur die des Besitzers, der Stein wirkt in einem Umkreis von drei Metern. Gleichzeitig bündelt er „die Lebenskraft des Wassers als Ordnung und Struktur und überträgt diese permanent zurück an Wasser und Organismen“. Wird der Stein nicht beschädigt, funktioniert er jahrelang, sagt der Hersteller (verschiedene Farben, ab 720 Euro).

Quantenkraftsteine im Angebot.
Quantenkraftsteine im Angebot.

© Screenshot: quantenkraftstein.com

Für Einsteiger empfiehlt sich der bloß 53 Euro teure graue Klebesticker namens „Sternenlotos“. Etwa so groß wie ein Zwei-Euro-Stück, lässt er sich überall hinkleben und verwandelt dort Störfrequenzen in Vitalenergie. Nach Herstellerangaben verfügt ein „Sternenlotos“ über 5,1 Millionen Bovis-Einheiten, wobei Bovis der Messwert für Lebenskraft ist.

Zum Vergleich: Ein Bio-Apfel aus dem Garten enthalte maximal 45.000 Bovis-Einheiten. Den Erfahrungsberichten auf der Homepage zufolge sind alle Käufer begeistert. Eine Ursula aus der Schweiz bemerkt, sie habe drei Sticker auf ihren Kühlschrank, den Fernseher und den WLAN-Router geklebt, seitdem fühle sie sich deutlich wohler, und ihre Zimmerpflanzen wüchsen schneller.

Weiterer Vorteil: Bislang sind keine negativen Wechselwirkungen mit anderem Esoterikgedöns bekannt. Der Anbieter versichert: „Du kannst die Sternenlotos-Produkte bedenkenlos gemeinsam mit allen anderen Produkten verwenden, die dir guttun.“

Kurze Ironiepause. Wer Menschen mit abwegigen, allen Erkenntnissen der Wissenschaft zuwiderlaufenden Versprechen eine Menge Geld aus der Tasche zieht, handelt moralisch verwerflich. Richtig gefährlich wird es jedoch, sobald dieser Quatsch real erkrankte Menschen davon abhält, sich einer wirksamen Behandlung zu unterziehen. In der Esoterikszene werden Amulette und Steine empfohlen, die angeblich Krebs heilen oder vor HIV-Ansteckung schützen. Wie niederträchtig kann man als Anbieter bitte sein?

Screenshot: www.meinenergieraum.de
Screenshot: www.meinenergieraum.de

© Screenshot: www.meinenergieraum.de

Eine spirituelle Heilerin aus Niederbayern, auch ausgebildet in den Bereichen „Rutengehen“ und „Transformation in der Matrix“, bietet auf ihrer Homepage für 115 Euro „energetisierte Biobaumwolldecken“ an, die angeblich bei der Verarbeitung sexuellen Missbrauchs helfen. Sie wirbt: „Missbrauch kann im Zusammenwirken mit der orangenen Decke transformiert werden.“ Diese Decke sei sinnvoll nach Vergewaltigungen. Übrigens auch nach „Missbrauch in der Kleinkindphase“, wie es weiter heißt.

„Anerkannt durch renommierte Organisationen“

Um seriös zu wirken, verweisen viele auf angebliche Zertifikate oder wissenschaftliche Studien, die den Nutzen der eigenen Produkte belegen. Klingt gut, solange man nicht allzu genau hinschaut.

Zum Beispiel die „Trinkflasche i9“, ein auf Amazon vertriebener bunter Glasbehälter, der angeblich die „natürliche Fähigkeit des Wassers zur Selbstreinigung sowie Restrukturierung“ fördert. Alles Leitungswasser, das man dort einfüllt, werde automatisch angereichert, und zwar mit „mehreren tausend sorgfältig ausgewählten Sets von Informationen wie Mantras, Musik, Gedanken, Gebeten, Licht, Zahlen, Farben“ und so weiter.

Die Trinkflasche i9 auf Amazon.
Die Trinkflasche i9 auf Amazon.

© Screenshot:Amazon

Die daraus folgende positive Wirkung auf den Menschen sei auch „anerkannt durch renommierte Organisationen“, bestätigt durch eine „umfangreiche internationale wissenschaftliche Prüfung“, die durch Forscher eines „weltweit führenden Instituts“ durchgeführt worden sei.

Der Hersteller verrät auch, wer genau geprüft hat: das „Institut für Elektrophotonik“ in Berlin. Nie gehört? Es scheint tatsächlich zu existieren, zumindest hat es eine Homepage, und dort steht eine Anschrift: Guntherstraße in Lichtenberg. Also mal vorbei gehen.

Die Adresse liegt in Nähe des U-Bahnhofs und entpuppt sich als fünfstöckiger Mietsbau mit 14 Parteien. Vom „Institut für Elektrophotonik“ keine Spur, doch in einer oberen Etage hängt ein Klingelschild mit einem Familiennamen, der auch auf der Homepage stand. Niemand zu Hause.

Nachbarn sagen, die Wohnung gehöre einem alten Ehepaar. Von einem Institut habe das nie etwas erzählt. Und einen Standort für weltweit führende Spitzenforschung? Den müsse man wohl eher woanders suchen.

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