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Geschichte: Nicht allein gegen die Mafia

Das Ende der Cosa Nostra? Siziliens Wirtschaft ist international gut vernetzt – und hat gelernt, sich zu wehren.

Vielleicht ist es einfach nur ärgerlich. Vielleicht ist es aber auch viel mehr. Eine schlechte Angewohnheit, von der man nicht lassen kann. Eine Illusion. Ein letztes Aufbäumen. Oder sogar der sachte Flügelschlag einer Hoffnung.

Natürlich legt die Finanzkrise auch in Italien die Montagebänder der Auto industrie lahm. Trotzdem geht in einem Autosalon in Palermo ein gerade eben noch fertiggestellter VW in Flammen auf. Mafiosi haben ihn in der Nacht zum zweiten Weihnachtsfeiertag fachmännisch abgefackelt. 24 Stunden später brennt es in Balestrate lichterloh. Der 50 Kilometer westlich von Palermo gelegene Jachthafen ist erst kürzlich ausgebaut worden. Die Mafia hat dabei kräftig abkassiert. Weil sie offenbar noch mehr einnehmen will, steckt sie nun 31 Boote in Brand. Außerdem verkleben Männer der Cosa Nostra während der Weihnachtsfeiertage in drei Geschäften der Innenstadt Palermos die Schlösser – der übliche Auftakt zu einer Erpressungs kampagne. Die Botschaft dieser Ereignisse ist schlicht: Die Mafia will Geld.

Sie braucht Cash, denn sie muss unerwartete Ausgaben verkraften. 91 Mitglieder der „ehrenwerten Gesellschaft“ sind Anfang Dezember im Rahmen der Operation „Perseus“ von der Polizei festgenommen worden. Kleine Fische, Kiezhäuptlinge, einige schon länger zur Fahndung ausgeschriebene Kriminelle. Sie hatten versucht, die in den fünfziger Jahren von US-amerikanischen und sizilianischen Mafiosi zur Regelung des transatlantischen Drogenverkehrs gegründete „Kommission“ neu zu beleben. Das Vorhaben scheiterte. Die Polizei lauschte bei Vorbereitungstreffen in einer Autowerkstatt und einem Friseursalon mit und hatte genug Material für die Anklage.

Perseus, Sohn des Zeus und der Danae, der mythische Held, der die schlangenköpfige Medusa enthauptete. Die Operation, die seinen Namen trägt, führt in Palermo zu Jubelszenen. Autofahrer hupen freudig, als ihnen Gefangenentransporter begegneten. Barbesitzer geben Drinks aus, und Zeitungsverkäufer preisen euphorisiert die Blätter an, die titeln, dass der Mafia der Kopf abgeschlagen sei. Dass auch in einigen Anwaltskanzleien die Sektkorken knallen, liegt allerdings eher an der prognostizierten Sum me der Einkünfte, die der unerwartete Schwung neuer Klienten den Juristen bescheren wird. Weil Mafiosi die Kosten für ihren Rechtsbeistand gewöhnlich mit Einnahmen aus der Schutzgelderpressung bestreiten, stehen die in Freiheit verbliebenen Kader unter verstärktem Druck. Der schnelle Griff zu Brand beschleuniger und Klebstoff belegt, dass diese auch ohne „Kommission“ ihr Handwerk beherrschen.

Die Aktivitäten des mafiosen Inkassodienstes lösen in Palermo weit weniger Angst und Schrecken aus als früher. Jedenfalls nicht bei Unternehmern wie Giuseppe Todaro. „Wer heute noch Schutzgeld zahlt, ist entweder ein Idiot oder ein Komplize der Mafia“, sagt er mit tiefer Stimme. Ein Satz, der gleich ein ganzes Set an Palermo-Klischees ins Wanken bringt. Todaro ist jemand, an den man sich anlehnen kann: 1,90 groß, muskulös, breite Schultern. Im Meistern gefährlicher Situationen hat der professionelle Motorradfahrer und Triathlet Erfahrung. Heute leitet er eine Logistikfirma sowie die Sportartikelkette „Triathlet“.

Fünf Läden besitzt Todaro in Palermo, dem Hauptsitz der Cosa Nostra. Sein Logistikgeschäft ist in Cinisi und Carini angesiedelt: Das eine Städtchen gilt als Stammsitz des Badalamenti-Clans, das andere als Rückzugsraum des letzten Paten von Palermo, Salvatore Lo Piccolo. „Heftige Standorte, stimmt’s?“, fragt er und grinst lausbübisch: „Das hat sich so ergeben, dort gab es freies Gelände.“

Der Giuseppe Todaro der neunziger Jahre hätte sich wohl noch zu den „Idioten“ zählen müssen. Auch er hat Schutzgeld gezahlt. Die ersten drei Jahre ließ man ihn noch in Ruhe. Die Cosa Nostra wartet gern, bis sich ein Geschäft entwickelt und langfristigen Profit verspricht. Nach dieser Anlaufphase sei dann eine „Person mit zweifelhafter Reputation“ aufgetaucht und habe nach Geld gefragt. „Ich dachte, der will mich vielleicht um Arbeit bitten oder um eine Empfehlung. Aber er sagte, dass er von der ,Familie‘ komme und mich auffordern wolle, alles in Ordnung zu bringen“, erzählt Todaro. Er versuchte, die Sache hinauszuzögern, vertröstete den Geldeintreiber, wich Verabredungen aus. Aber schließlich zahlte er. Umgerechnet 15 000 bis 20 000 Euro pro Jahr, eine ganze Dekade lang. „Die hätten dafür gesorgt, dass ich meine Firma dichtmachen kann. Aber ich wollte sie nicht schließen, sondern aufbauen“, sagt er und knallt mit der Hand auf den Glastisch zu seinen Knien.

„Vor zehn Jahren war man allein mit seiner Entscheidung. Es gab niemanden, mit dem man sich austauschen konnte. Die Anwälte haben dir empfohlen zu zahlen, damit du Ruhe hast. Und die Polizei hat auch keine Hilfe angeboten.“ Heute ist das anders. Die Aktivisten der Anti- Schutzgeld-Organisation Addiopizzo haben die Unternehmervereinigung Libero Futuro ins Leben gerufen. Hier beraten Geschäftsleute, die bereits ausgestiegen sind, Kollegen, die Gleiches vorhaben. Sie geben Hilfestellung, wie man sich bei Bedrohungen verhalten soll, stellen Kontakt zur Polizei her. „Man ist eingehüllt in einen Kokon der Fürsorge“, sagt Todaro. Er selbst bringt regelmäßig Kollegen zu den Treffen mit. „Wenn sie wollen, gehe ich auch mit hinein. Dann müssen sie selbst entscheiden, was sie tun.“

300 Ladenbesitzer, Handwerker und Kleinindustrielle engagieren sich bei Addiopizzo und Libero Futuro. 300 von etwa 90 000 Unternehmern in Palermo. 70 bis 80 Prozent aller Geschäftsleute in Palermo und Umgebung zahlen nach Angaben der Polizei noch immer Schutzgeld. Sie führen konservativen Schätzungen zufolge jährlich insgesamt 175 Millionen Euro an die Cosa Nostra ab. Die 300 Personen, die öffentlich erklären, nicht oder nicht mehr zu zahlen, bilden angesichts dieses Geldflusses das sprichwörtliche Tröpfchen im Ozean.

Vor 17 Jahren bestand der Tropfen des Widerstands noch aus Blut. Eine rote Lache breitet sich 1991 an einem Augustmorgen um den Kopf des Textilfabrikanten Libero Grassi aus. Fotos zeigen seinen leblos auf dem Trottoir hingestreckten Körper. Die Hände sind unter dem Leib begraben, das Gesicht im rechten Winkel zur Seite gedreht. Nur einen Schritt entfernt ist ein Kreidekreis um eine Spur auf den Gehwegplatten gezogen.

Unzählige Fotos mit kreideweißen Silhouetten auf Beton- und Steinböden sind in den achtziger und neunziger Jahren in Palermo geschossen worden. Mehr als 1000 Tote hat die Mafia zwischen der Beseitigung des Paten Stefano Bontade 1981 durch die Corleoneser Fraktion der Verbrecherorganisation und der Ermordung des Staatsanwalts Paolo Borsellino 1992 zu verantworten. Einer der letzten prominenten Toten dieser Ära der exzessiven Gewalt war der Unternehmer Libero Grassi.

Er, der die „Freiheit“ als Vornamen trägt, die heute auch in der Bezeichnung der Anti-Mafia-Organisation „Libero Futuro“ auftaucht, hatte im Januar 1991 eine einsame Entscheidung gefällt: Nachdem von ihm Schutzgeld verlangt, Bargeld aus der Firma gestohlen und der Hund der Familie entführt worden war, hatte er der Tageszeitung „Giornale di Sicilia“ einen offenen Brief überbracht. Grassi schrieb: „Lieber Erpresser, Du kannst so viel drohen, wie Du willst, aber ich zahle nicht.“ Der Brief bescherte ihm Aufmerksamkeit in Tagespresse und Fernsehen. Er nutzte sie, seine Unternehmerkollegen aufzufordern, es ihm gleich zu tun. Niemand reagierte. Sieben Monate später war Grassi tot.

Auftraggeber des Mordes war der Madonia-Clan. In dessen logistischer Zentrale hatten die Ermittler im Dezember 1989 ein ausführliches Kassenbuch der Cosa Nostra gefunden. 800 Unternehmen waren darin verzeichnet, die ergaunerten Summen sowie deren Fälligkeitstermine. Kein einziger der Geschäftsinhaber gab jemals eine Zahlung zu. In Berlin fiel in diesem Jahr die Mauer, in Palermo hielt der Mörtel der Angst. Ein einzelner Mann, der verkündete, ich zahle nicht, stellte den dumpfen Konsens infrage. Für die Mafia war Grassi ein Geschäftsrisiko, für die stillhaltende Mehrheit eine wandelnde Beschämung.

„Ich erinnere mich an Libero Grassi als einen Mann, der verzweifelt war und allein gelassen wurde. Viele haben ihn damals nicht verstanden. Von Unternehmervertretern wurde er sogar als verrückt hingestellt“, sagt Vincenzo Conticello. Der untersetzte mittelgroße Mann ist damals 32 Jahre alt. In Südamerika hat er Ökotourismus-Projekte kreiert und unter anderem Artenschutzprogramme für Krokodile im Orinoco und Riesenschildkröten auf den Galapagosinseln ins Leben gerufen. Nachdem der Weltenbummler in seiner Heimatstadt Palermo das Familienrestaurant „Antica Focacceria San Francesco“ übernommen hat, wird auch er zu einer Entscheidung im Stile Libero Grassis gedrängt.

Die Mafia verlangte Schutzgeld. Zuerst 50 000 Euro – eine „Nachzahlung“ für frühere Zeiten. Conticello wehrt sich. Doch die Mafia hat sein Restaurant bereits infiltriert. „Ein Mitarbeiter schickte einfach Personal nach Hause und sorgte so für Chaos. Meine alten Lieferanten wurden gezwungen, nicht mehr für mich zu arbeiten. Mafiafirmen übernahmen ihre Aufträge“, erinnert sich Conticello. Weil auch Kunden eingeschüchtert wurden – durch Autodiebstähle und Ähnliches –, geriet die „Antica Focacceria“ in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Die Mafia unterbreitete ein neues Angebot. „Ich sollte meine Firma, die damals zehn Millionen Euro wert war, für eine Million verkaufen. Dann hätte Ruhe geherrscht. Ein Notar stand schon bereit. Mit dieser Methode hätten sie auf einen Schlag neun Millionen Euro Gewinn gemacht. Und mich hätten sie als Minderheitseigner behalten. Ich wäre deren Sklave ge worden.“

Vor drei Jahren hat Vincenzo Conticello seine Erpresser angezeigt. Seitdem lebt er unter Personenschutz. „Ich vermeide Orte, an denen viele Menschen sind. Ich gehe nicht ans Meer, fahre weder Fahrrad noch Motorrad. Ich kann nicht spontan ausgehen, und wenn jemand zu mir kommt, muss er eine Reihe von Kontrollen über sich ergehen lassen. Das ist nicht leicht. Aber wenn ich auf die Bedingungen der Mafia eingegangen wäre, hätte sich mein Leben noch mehr kompliziert.“

Conticello und Todaro sind Protagonisten einer neuen Unternehmergeneration. „Wir lösen uns von der Vergangenheit. Wir gründen unsere eigenen Unternehmen. Wir haben etwas von der Welt gesehen. Unsere Nachkommen werden noch internationaler aufwachsen. Sie werden im Ausland studieren, fremde Sprachen sprechen“, schwärmt Todaro. „Ich erziehe meine Kinder so, dass sie die Regeln akzeptieren, dass sie auf dem Motorrad einen Helm aufsetzen, vor der roten Ampel stehen bleiben und den Abfall zum Mülleimer bringen. Ich will nicht, dass sie eines Tages feststellen müssen, dass diese ganze Erziehung zur Redlichkeit auf Sand gebaut war, weil ich der Mafia Geld gegeben und dies verheimlicht habe“, sagt er.

Todaro ist sich sicher: „Nur Unter nehmer mit einer antiquierten Denkweise zahlen noch Schutzgeld.“ Den sizilianischen Stimmungs- und Mentalitätswandel beschreibt er folgendermaßen: „Hat man sich früher noch damit gebrüstet, diesen und jenen einflussreichen Mann zu kennen, so schweigen heute diejenigen, die Schutzgeld zahlen. Sie schämen sich dafür, ähnlich wie ein Raucher, der sich jetzt nach draußen stehlen muss, um sich eine Zigarette anzuzünden.“

Von der Nikotinsucht allerdings dürfte sich eine Gesellschaft schneller und leichter befreien als von der Praxis des Schutzgeldzahlens. Im November 2007 hat die Polizei den Mafiaboss Salvatore Lo Piccolo verhaftet und dabei ein frisches Kassenbuch sichergestellt. Immerhin 14 dort notierte Geschäftsinhaber haben ihre Zahlungen an die Mafia mittlerweile zugegeben. Sie treten sogar als Nebenkläger gegen jene 22 Kollegen auf, die dies trotz aller Beweise weiterhin abstreiten. Was Giuseppe Todaro als „alte Denke“ bezeichnet, scheint in Palermos Unternehmerschaft weiterhin mehrheitsfähig.

Nicht jeder der 14 Aussteiger ist gleich ein Avantgardist. „Sie haben erst zugegeben, dass sie gezahlt haben, als sie nicht mehr anders konnten“, relativiert Mafiajäger Francesco Del Bene. Der 39-jährige Staatsanwalt war an der Verhaftung Lo Piccolos beteiligt und hat auch die Operation „Perseus“ mit vorbereitet. In der Motivation der Unternehmer zur Zusammenarbeit scheint er erfolgreicher zu sein als sein Idol Giovanni Falcone. Trotzdem bleibt deren Auskunftsfreudigkeit eingeschränkt. „Sie trauen sich oft nicht, ihre Erpresser zu identifizieren. Da wird sogar behauptet, man habe selbst bei der Geldübergabe das Gesicht des Mafiosos partout nicht erkennen können.“

Um zu demonstrieren, wie das vor sich gegangen sein soll, führt der korrekt in Schlips und Kragen gekleidete Ankläger ein kleines pantomimisches Kunststück auf: Erst schreckt er vor einem offenbar unsichtbaren Besucher zurück. Dann dreht er eine Pirouette, fingert Geld aus einer imaginären Kasse und gibt dieses unter köstlichen Verrenkungen des eigenen Körpers über Schulter und Rücken weiter, ohne seines Gegenübers je angesichtig zu werden.

Del Bene weiß selbst nicht, ob er über seine Performance nun lachen oder heulen soll. Immerhin nimmt die Beschäftigung mit der Cosa Nostra bereits komische Züge an. Wenn die Mafiosi in der italienischen Witzkultur den Platz eingenommen haben, den die harmlosen Ostfriesen in der deutschen haben, dann dürfte die Mafia endgültig besiegt sein. Damit dies geschieht, müsste sich der mythische Medusen-Enthaupter Perseus allerdings mindestens mit dem Augiasstall-Ausmister Herakles verbünden.

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