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Schauspieler Charly Hübner auf der Berlinale 2020.

© AFP

Interview mit Schauspieler Charly Hübner: „Was mich nervt, ist das Rechthaberische“

Als Kind bekam er Albträume von Skischanzen, heute fürchtet er Schlangen. Schauspieler Charly Hübner über Grusel im Dunkeln, Horror vor Stereotypen und die Gefahr von rechts.

Charly Hübner gehört zu den beliebtesten Schauspielern Deutschlands. Mit sehr unterschiedlichen Rollen wurde der 1973 in Neustrelitz geborene Hüne bekannt: als Sketchpartner von Anke Engelke in „Ladykracher“, ab 2010 als grummeliger Kommissar Bukow im Rostocker „Polizeiruf 110“ oder als Oberstleutnant der Grenzposten im Wende-Drama „Bornholmer Straße“. Für diesen Film erhielt er 2015 den Grimme-Preis als bester Darsteller.

Ab dem 29. Oktober ist Hübner in der Gruselserie „Hausen“ auf Sky zu erleben. Darin verkörpert er den wortkargen Hausmeister in einem seltsamen Plattenbau. Bereits am 22. und 23. Oktober sind die ersten beiden Folgen deutschlandweit in einigen Kinos zu sehen.

Herr Hübner, bald ist Halloween. Freuen Sie sich?
Nein. Das ist ein ein alter Brauch von woanders, zu dem ich keinen Bezug habe. Das feiert man doch erst seit 15 Jahren bei uns. Ich weiß noch, wie Mudder sagte: Heute kommen die Kinder vorbei, du musst noch in den Supermarkt, Süßigkeiten besorgen. Hätte ich als kleiner Junge natürlich gern gesehen, umsonst Schokolade zu bekommen.

Traditionell erzählen sich die Kinder an diesem Tag auch Schauermärchen. Wovor gruseln Sie sich?
Schlangen. Ich sehe eine und weiß, ich bin unterlegen. Diesen Moment, wenn sie still liegen, ich aber ahne, die könnten jetzt blitzschnell zubeißen, den finde ich furchtbar.

Keine Sorge, die heimische Ringelnatter wird Sie nicht kleinkriegen.
Neulich im Urlaub ist mir eine über den Weg gekrochen, selbst bei der schreit mein Hirn: Vielleicht die auch! Da hilft keine Vernunft.

Andere Menschen haben vor unbeleuchteten Gängen Angst. Die gibt es zur Genüge in Ihrer neuen Horrorserie „Hausen“. Haben Sie ein mulmiges Gefühl in der Dunkelheit?
Früher habe ich mich richtig gefürchtet. Als ich 16 war, habe ich es darauf ankommen lassen, bin nachts bei Feldberg in den Wald gegangen ...

... Sie leben in Hamburg, sind jedoch im Osten Mecklenburgs aufgewachsen ...
... und habe das ein paarmal gemacht, bis ich merkte, dass der Wald deutlich heller ist, als man denkt. Ich wohnte damals in einem Forsthaus und hatte Angst vor Wildschweinen. Dann begegnete ich eines Nachts einer Bache mit Frischlingen. Die kreuzte meinen Weg, hat mich gar nicht wahrgenommen. Ab dem Moment wurde ich ruhiger.

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Als Kind suchten Sie merkwürdige Albträume heim: Sie stehen auf dem Dach des Oberhofer Hotels Panorama, das wie eine Skischanze gebaut ist, und werden von Hunden hinuntergejagt.
Wir waren Ende der 70er Jahre in Oberhof und haben so eine Schanze besucht. Als Flachländer hat mich das total verängstigt, da oben zu stehen. Dass Sportler ohne Stöcker und Tragflächen von dort runterfliegen, fand ich ziemlich fragwürdig. Ich schlief mit dem Blick auf das Panorama-Hotel ein, kämpfte mit der inneren Unfähigkeit, das Problem des Skispringens zu lösen, und mit der Angst, seinen eigenen Körper vielleicht nicht mehr kontrollieren zu können. Das hat den Albtraum ausgelöst.

Für viele ist 2020 ein gelebter Albtraum. Bei dieser Realität braucht man keine Horrorfiktion mehr.
Ja, wir können uns nicht verstecken, nicht hoffen, das Geschehen an jemanden zu delegieren. In meiner Heimat gab es im Juni zwei Infizierte. An der Tankstelle wurde ich gefragt: Glaubst du an den Scheiß? Als ob es eine Glaubensfrage wäre!

Und Ihre Antwort?
Natürlich, habe ich gesagt. Weil ich andere Geschichten kenne. Von Menschen, die in ihrem Umfeld Menschen an dieses Virus verloren haben.

Sorgt Sie das, dass es plötzlich nicht mehr um Fakten, sondern um Gefühle geht?
Na ja! Wenn jemand eine Krebsdiagnose bekommt und noch die vierte Meinung einholen will, obwohl drei Ärzte bereits gesagt haben, die Krankheit ist da, bewegt man sich ja auch in dieser seelischen Krisenregion. Man will aus seiner eigenen empfundenen Realität nicht raus. Dieses Spannungsfeld bei Covid, zwischen körperlichem Kriegszustand bei den unmittelbar Betroffenen und dem Gefühl „Das ist doch alles weit hinterm Horizont“ bei den überhaupt nicht Betroffenen, ist schwer auszuhalten.

Gibt es etwas Gutes aus den Pandemiemonaten, was Sie für die Zeit danach hinüberretten möchten?
Wir hatten überlegt, ob wir uns im Ernstfall alle in Mecklenburg treffen und dort komplett zurückziehen. Zu wissen, dass einem dieses Nest Stabilität schenkt, diese Erfahrung des Sozialen ist bestens.

Vermutlich wären Sie wegen der Einreisesperre gar nicht nach Mecklenburg reingekommen.
Ab Anfang Mai durften wir wieder rein, davor nicht. Ein Freund erzählte mir von einem Berliner, der hat ein Haus bei Grevesmühlen, dort ist er mit seinem Berliner Kennzeichen hingefahren, wurde aber von Nachbarn angezeigt, musste eine sehr hohe Strafe zahlen – einmal für die Hinfahrt und auch für zurück, weil die Polizei ihn weggeschickt hat. Wenn man bedenkt, dass die Grundstücke weiter auseinanderliegen, als der Mindestabstand empfiehlt, ist es fragwürdig, was geschieht. Jetzt ist es ja wieder so weit. Die Beherbergungsverbote erlauben Interpretationen allerlei Art.

Hübner als wortkarger Hausmeister in der Sky-Serie "Hausen", die am 29. Oktober auf dem Sender startet.
Hübner als wortkarger Hausmeister in der Sky-Serie "Hausen", die am 29. Oktober auf dem Sender startet.

© Sky

Ihr Kollege Alexander Scheer, ebenfalls in der DDR geboren, sagt: „Ich bin in zwei Staaten aufgewachsen und ich hege zu keinem ein Heimatgefühl.“
Würde ich sofort unterschreiben.

Warum hadern Sie?
Heimatgefühl als Begriff will ja was von Wärme, Vertrautheit und Sicherheit erzählen. Das finde ich weder in den zwei politischen deutschen Erzählungen, die mein Leben sind, noch in irgendwelchen Landstrichen. Wenn, dann am ehesten in sozialen Konstellationen, in der Liebe zuallererst. Mit meiner Herkunftsheimat hadere ich gar nicht. Ich häng an ihr. Was mich nervt, und das geht weit über Mecklenburg hinaus, von Sachsen über Thüringen bis nach Ungarn und in die Vereinigten Staaten, ist das Rechthaberische, Beharrende und eben auch Rechtsradikale, das sich im Denken, Sprechen und Handeln formuliert. Eine Melange, die für mich im Jahr 2020, um es freundlich zu sagen, komplett rätselhaft ist.

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In Neustrelitz, wo Sie ab 1989 zur Schule gingen, gab es eine große rechte Szene. Deren Gewalt haben Sie selbst als Jugendlicher erlebt.
Es gab einen Jugendklub, „Die Box“ in Kiefernheide, da bin ich 1989 zum ersten Mal hin. Ich trug halblange Haare und eine Jeansjacke – und fiel damit sofort auf. Konnte nicht einmal ein Bier bestellen und bekam schon Ärger. Später bin ich noch mal mit Schauspielern vom Theater rein, einer hatte lange blonde Haare, der wurde gleich nach Strich und Faden verdroschen. Diese Geschwindigkeit, mit der sich die Neonazis wie Piranhas auf ein Opfer gestürzt haben! Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Es wurden mit aller Gewalt Claims abgesteckt. Ich habe nie verstanden, warum Prügeln sinnvoll sein soll, ums Mädchen, ums Moped, um irgendetwas.

Heute debattieren wir darüber, ob man mit Rechtsextremen reden soll. Ging das damals?
Ich sehe uns Abiturienten noch draußen vor dem Bahnbetriebswerk stehen, wo die Rechten mit uns politisch diskutierten: Wir müssen zusammenrücken, der Osten ist weg! Jetzt kommen die Amerikaner, die Invasion des Geldes, bloß keine Fremden reinlassen – außer Wolgadeutsche, das waren ja welche von uns! Wenn ich heute daran zurückdenke, läuft das ästhetisch wie ein Comic in meinem Kopf ab. Kein lustiger, ein brutaler, aber einer im Sinne der Verzerrung von Wirklichkeit.

Wie zum Beispiel die Szene, als Sie im Internat lebten. Ein junger Neonazi kletterte zu Ihnen ans Fenster in der ersten Etage und drohte Ihnen Schläge an.
Er rief: Komm runter, ich will dir eine reinhauen. Dann ist er abgerutscht und den ganzen Blitzableiter runtergejagt. Was für eine innere feste Überzeugung muss das sein, zu diesem langzotteligen Trottel vom Laientheater hochzugehen und dem dringend eine reindrücken zu wollen. Es spricht für Hilflosigkeit, wenn nur noch das schlagende Argument überzeugt.

Charly Hübner ist mit Schauspielkollegin Lina Beckmann verheiratet.
Charly Hübner ist mit Schauspielkollegin Lina Beckmann verheiratet.

© Imago

Für Sie kam die Wende zur richtigen Zeit, haben Sie einmal bemerkt. Für Ihre Eltern auch?
Nein, für sie war es eine Katastrophe. Beide Biografien sind komplett markiert. Der Vater ist nach der Wiedervereinigung forsch vorangegangen, hat Darlehen aufgenommen, um in der Gastronomie Fuß zu fassen, und sich überhaupt nicht informiert, wie man das in der neuen Gesellschaft so macht. Was ist Profit, wie kalkuliere ich ein Darlehen richtig, was heißt zwölf Prozent Zinsen per anno? Er hat das viele Geld, das auf einmal zur Verfügung stand, angenommen und sich komplett verhoben. Nach sechs Jahren war Ruhe: Insolvenz. Für meine Eltern ist die Wende nicht gut ausgegangen. Sie waren ans System DDR gebunden.

Meinen Sie politisch?
Ideologisch auch. Mein Vater war als junger Mann einer der Ersten in der Partei in seinem Ort.

Und hat sich als IM zur Verfügung gestellt.
Als ich „Das Leben der Anderen“ mit Ulrich Mühe drehte, habe ich versucht, meinen Vater dazu zu stellen. Kurze Zeit später ist er verstorben. Allerdings finde ich es schwierig, mit einer westlichen Moral darauf zu gucken. Was weiß ich über 1956, als er sich verpflichtet hat? Ich kann das persönlich nicht in Ordnung finden, dass es die Stasi gab, aber ich mag nicht pauschal jeden verdammen. Mein Bruder und ich lesen im Moment die Tagebücher unseres Vaters. Wir sind jetzt im Jahr 1946, der Familie fehlte es an Essen und Kohle, der Vater als 13-Jähriger musste durch Sachsen wandern und bei Verwandten auf dem Land helfen, um die Familie zu unterstützen. Hungern, Frieren, Wandern waren seine Themen. Im selben Alter ging es bei mir um Musik, Mädchen und Rauchen. Ich bin 1972 geboren, habe die ganze Zeit eine Rakete am Hintern, ständig weiter, neue Möglichkeiten ...

Sie haben die Gnade des Spätgeborenen?
Zwei Jahre früher und ich hätte mit der Maschinenpistole in der Hand irgendwo gedient. Ein Regisseur, mit dem ich viel Theater machte, stand als junger NVA-Soldat auf der Straße in Dresden, während seine Mutter auf der Demo an ihm vorbeiging. Dieses Problem hatte ich nicht.

Als Sie 1989 auf eine Demo gingen, haben Sie angeblich zum ersten Mal das Wort Stasi gehört.
Verrückt, ne? Ich kann es selber nicht glauben. Ich sehe mich noch, wie ich mich umdrehe, das Transparent erblicke und meinen Kumpel frage: Was heißt Stasi? Zu Hause ist dieser Begriff nie gefallen, da war es das Ministerium für Inneres oder Mielkes Club oder Horch-und-Guck.

Zur selben Zeit haben Sie in der Neustrelitzer Theaterkantine in den Beruf hineingeschnuppert. Was hat Sie fasziniert?
Dass man sich angstfrei bewegen konnte. Da saßen Typen in bodenlangen Mänteln, lachten die ganze Zeit, tranken, hatten eine Idee und setzten diese sofort um. Ich erinnere mich, wie jeder von uns kleine Comics auf Post-it-Zettel zeichnete, und wir die Kantinenwände zupflasterten. Das hatte nichts mit Männlichkeitsritualen zu tun, ich brauchte meine Defizite nicht zu verstecken, fühlte mich in meinem Bettelhippie-Look mit Kopftüchern und langen Haaren willkommen.

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Die Initialzündung kam schließlich im Sommer 1990, als Sie sich mit dem ersten Westgeld auf den Weg in die Türkei machten.
Stopp, zuerst mal sind wir nach Prag gefahren, ins „U-Fleku“. Das war eine Bierkneipe, ein Nadelöhr, durch das alle Reisenden mussten. Mitten in der Altstadt, drei Straßen rechts, zwei Gassen links, es gab Knödel und Schweinebraten. Da passierten die lustigsten Szenen. Ich trug einen Cowboyhut und bekam von einem Fremden Rosen geschenkt, weil der mich von hinten für eine Frau gehalten hat. Alle aus dem Osten trafen sich dort, feierten zwei Tage durch und stiegen danach in ihre Züge Richtung Balkan oder Türkei. Ich war mit einem Freund unterwegs, er hat die ganze Zeit übers Schauspiel geredet und einen Monolog aus „Hamlet“ im Amphitheater von Ephesos gehalten. Da dachte ich, hm, das wäre doch was!

Als Kommissar im Rostocker „Polizeiruf“ sind Sie 2010 berühmt geworden. Davor spielten Sie, Ihr Zitat, „Dödel, die bei Frauen keinen Schlag haben“.
Ulf, Robert und Horsti, so hießen diese Typen immer. Das Spielerhirn wollte viel mehr, als der Körper leisten durfte. Lange hatte ich die Sorge, in diesen Stereotypen festzustecken. In Nebenrollen zu versacken. Zum Beispiel in „Krabat“ ...

... in dem Schauermärchen spielten Sie 2008 neben David Kross und Daniel Brühl mit ...
... dafür haben wir drei Monate im Herbst am Rande der Karpaten gedreht, irgendwo in Rumänien. Das war ein Ensemblefilm, drei Hauptrollen, der Rest lief im Hintergrund und musste wochenlang Säcke tragen. Das war eher ungeplante Lebenserfahrung. Der Boden fror innerhalb von einer halben Stunde zu, die Sohlen der Sandalen glühten von der wärmenden Gaskartusche durch, und am Ende standest du fast barfuß im Frost.

Ihr Plan sah eigentlich anders aus. Sie haben in Berlin studiert, um ans Theater zu gehen und bloß nicht im Fernsehen zu enden. Woher kam die Angst?
Was sollte man denn da spielen: Serien wie „Das Krankenhaus am Rande der Stadt“? Theater war wie eine Setzung für mich. Volksbühne! Ganz wichtig. Da wurde ein Stück, das „Woyzeck“ hieß, durchgetrommelt. Ich habe kein Wort verstanden, aber es war wie ein geiles Rockkonzert.

Warum haben Sie doch mit Fernsehen angefangen?
In Frankfurt habe ich sieben Jahre lang am Theater gearbeitet, fast 40 Stücke. Bis zum 11. September. Wir probten gerade ein Strindberg-Drama, diskutierten über Evangelikalismus und Katholizismus, plötzlich flogen durchgeknallte Typen in diese riesigen Geldtürme. Da fühlte ich mich sinnlos mit meiner Arbeit, musste weg vom Theater, aber trotzdem meinen Lebensunterhalt bestreiten. So bin ich ins Fernsehen reingerutscht.

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