zum Hauptinhalt

© Luise Fritsch/Laura Will

Neue ARD-Comedy-Serie „Szene-Report“ über Jugendkulturen: „Habe seltsame Faszination für alte öffentlich-rechtliche Dokus“

Hannes Rademacher ist Regisseur der Serie „Szene-Report“. Im Interview erzählt er von seiner Faszination für Rocko Schamoni, warum er kein Netflix schaut und wie er Jugendkulturen heutzutage sieht. 

Die als Mockumentary angelegte Comedy-Serie „Szene-Report“, zu sehen bei „ARD Kultur“, wirft einen liebevollen Blick zurück auf Jugendkulturen der vergangenen 30 Jahre. Jede Folge nimmt sich dabei eines bestimmten Jahres und der in diesem Jahr dominierenden Subkultur an und bedient sich der Ästhetik und des Stils eines öffentlich-rechtlichen Kulturmagazins der 90er Jahre.

Drei Episoden à 20 Minuten zeigen Einblicke in den Mikrokosmos der Emo-Szene (2005), LAN-Partys (2001) und des Skatepunk (1996). Die Schöpfer:innen schaffen es, nostalgische Gefühle zu wecken, indem sie sich den Subkulturen ernsthaft annehmen und nicht der Lächerlichkeit preisgeben, aber gleichzeitig die Komik, die es zweifellos in jeder Phase des Heranwachsens gibt, freilegen. Für Regisseur und Autor der Serie, Hannes Rademacher, ist es das erste größere Projekt. 

Was in „Szene-Report“ auffällt, ist, dass sich der Ort des Geschehens wegen der kleinstädtischen Beliebigkeit nicht zuordnen lässt. War das Absicht oder soll die Serie in einer bestimmten Region spielen?  
Wir haben die Serie so angelegt, dass sie sich nicht genau verorten lässt. Mir war es wichtig, Subkulturen mal fernab von Metropolen darzustellen. Ich habe als Jugendlicher den Roman „Dorfpunks“ von Rocko Schamoni verschlungen, in dem ich mich sehr wiedergefunden habe, weil ich auch so ein kleiner Dorf-Punk war und das Landleben in dem Buch zum ersten Mal so richtig schön beschrieben wurde. Häufig konzentriert sich der Blick auf die Großstädte, aber auch auf dem Land gab es Emo-Szenen oder LAN-Partys.  

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Hat Sie Ihre eigene Zeit in Jugendkulturen inspiriert?
Ich habe als Jugendlicher diesen ganzen Regionalband-Wahnsinn mitgemacht und in verschiedenen Gruppen gespielt. Irgendwann hatte ich dann keine Band mehr, aber habe mir gedacht, dass ich irgendwas mit den Erlebnissen machen muss. Till Lucas (Anm. der Red.: der Rapper „Tightill“), mit dem ich die Skatepunk-Folge geschrieben und gedreht habe, war und ist Teil dieser Szene. Maximilian zur Jacobsmühlen war zwar kein Emo, aber hatte viele Berührungspunkte und kennt wie ich die Welt der Lokalbands.

Bei der LAN-Party-Folge haben uns Leute geholfen, die sich in diesem Bereich auskennen. Die Idee war, sich mit Leuten zusammen zu tun, die aus den jeweiligen Kulturen kommen, damit die einem das Futter für die Story geben. Mir ist wichtig zu betonen, dass wir uns nicht lustig machen über die Szenen, da wir eben teilweise selbst aus ihnen kommen. Es darf aber schon gelacht werden. „Szene-Report“ ist ein liebevoller Blick zurück mit ein paar Jahren Abstand.

Autor und Regisseur Hannes Rademacher.
Autor und Regisseur Hannes Rademacher.

© Luka Bodzin

Woher kam die Idee, das Thema in Form einer Mockumentary und nicht rein dokumentarisch oder fiktional zu bearbeiten?
Ich finde das Format Mockumentary sehr spannend. Ich habe eine seltsame Faszination für alte öffentlich-rechtliche Dokus aus den 80er, 90er und 2000er Jahren. Dieser leicht hochnäsige Duktus, wenn über Jugendphänomene gesprochen wird, birgt eine schöne Komik. Erwachsene, die 20 Jahre älter sind, haben natürlich überhaupt nichts mehr mit den jungen Leuten zu tun, und dieser zwangsläufig leicht spießige Blick auf die Jugendkulturen ist oft sehr lustig.

Ich schaue gar nicht so viel Netflix, sondern lieber YouTube-Kanäle, auf denen alte VHS-Kassetten hochgeladen werden. 

Hannes Rademacher

Ich schaue gar nicht so viel Netflix, sondern lieber Youtube-Kanäle, auf denen alte VHS-Kassetten hochgeladen werden. Maximilian zur Jacobsmühlen und Till Lucas, mit denen ich die Folgen geschrieben habe, teilen dieses Faible.

Rocko Schamoni in der „Szene-Report“-Folge „24 Stunden Ballern - Jugendtrend LAN-Party“.
Rocko Schamoni in der „Szene-Report“-Folge „24 Stunden Ballern - Jugendtrend LAN-Party“.

© Andy Lehmann

Schauspielerin Ulrike Knospe mimt eine Moderatorin, die durch das fiktive öffentlich-rechtliche Kulturmagazin „Szene-Report“ führt. Ihr Casting-Profil war laut Rademacher: „Maria Gresz von Spiegel-TV, ohne Maria Gresz zu sein“, also „steifer Duktus, eine strenge und hochnäsige Art über Jugendkulturen zu sprechen“. Am Ende der ersten Folge wird klar, was er damit meint. Mit bedeutungsschwangerem Blick und belegter Stimme resümiert sie über den Einspieler: „Eindringliche Szenen“, vollzieht einen dramatischen Schwenk hin zu einer anderen Kameraeinstellung und sagt: „Hier geht es nun weiter mit der langen Nacht der Kultur und dem dritten und letzten Teil der 27-stündigen Lesung der Buddenbrooks. Vorgetragen von Sky du Mont.“

Wie haben Sie es geschafft, den Duktus und die Ästhetik der jeweiligen Zeit darzustellen?
Es war viel Recherche und viel Erinnerung. Wir haben für jede Folge ein Jahr festgelegt, in dem sie spielen sollte und uns dann alle Reportagen dazu angesehen, die es auf Youtube gibt. Wir haben versucht, beim Kostüm und der Ausstattung sehr auf Details zu achten.

Das war sehr kleinteilig und es war uns wichtig, dass man als Zuschauer:in auch wirklich denkt: Ich bin im Jahr 2005. Wir haben zum Beispiel darauf geachtet, dass alle Schauspieler:innen ihr Smartphone aus den Taschen nehmen, weil sonst ein Abdruck in der Hosentasche zu sehen ist, der heute völlig normal ist, aber damals eben nicht.

Wie viele der Geschichten und Personen waren fiktiv und wie viel erdacht? In der ersten Folge gibt es beispielsweise einen etwas übereifrigen Band-Leader, einen verlotterten Tätowierer, der im Proberaum lebt. In der zweiten Folge spielt Rocko Schamoni einen Streetworker, der sich von den Jugendlichen benutzte Kaugummis geben lässt, um diese als Andenken zu katalogisieren.
Es gibt einige Figuren aus der Serie, denen ich wirklich so begegnet bin. Diesen Typ „Sänger einer Regionalband“, der totale Allmachtsfantasien und ein viel zu großes Ego hat, den habe ich tausendmal kennengelernt. Ich habe auch in einer Band gespielt, die irgendwann aus dem Proberaum ausziehen musste, weil da jemand drin gelebt hat. Es gab nur ein Waschbecken, es gab keine Dusche, und der Typ hat nicht wirklich zur Hygiene geneigt. (lacht)

Irgendwann hat es so gestunken, dass wir aus dem Proberaum ausziehen mussten. Natürlich sind aber auch viele Charaktere ausgedacht. Bei dem Streetworker zum Beispiel haben wir etwas übertrieben, aber nur ein bisschen. (lacht) Rocko Schamoni ist mein absolutes Idol, was Humor in Deutschland angeht, deshalb habe ich mich extrem darüber gefreut, dass er mitgemacht hat.

Eine Szene im Park in der Folge „Lost in Emotion - Emo in Deutschland (2005)“
Eine Szene im Park in der Folge „Lost in Emotion - Emo in Deutschland (2005)“

© Jonas Scharf

In der ersten Folge versetzt das detailreich ausgestattete Kinderzimmer der Protagonisten zurück ins Jahr 2001. Bravo-Poster an der Wand, am Boden liegt eine CD-Rom des Computerspiels „Die Sims“. Die beiden Protagonistinnen führen einen Emo-Internetblog. Eine der Emos sagt zu ihrer Freundin: Schreib lieber „i-wie statt irgendwie“, eine damals gängige Schreibweise in den Vorläufern der Social-Media-Plattformen. Auf dem Bett sitzt ein weiterer Freund, der in einem CD-Booklet blättert, und alles wirkt herrlich anachronistisch und unschuldig.

Viele Dialoge erscheinen improvisiert und nicht wirklich geschauspielert.
Das Besondere ist vielleicht, dass wir mit wenigen Schauspieler:innen, aber mit vielen Laiendarsteller:innen und Kompars:innen gearbeitet haben. Gerade für das Format der Mockumentary sorgt das für eine hohe Authentizität. Manchen Szenen sieht man an, dass sie gespielt sind, aber viele könnten auch dokumentarisch entstanden sein. Ich wollte auch jeden Versprecher und jeden Fehler drin haben. Die Drehbücher waren bewusst knapp gehalten; es gab zwar Sätze, die unbedingt fallen sollten, aber ansonsten haben wir viel offengelassen. Das macht jeden Drehtag spannend, weil sehr viele, sehr lustige, ungeplante Dinge passieren.

It’s not a phase, mom! Oder eben doch: „Die unfassbar tiefhängenden Hosen, die ich früher getragen habe, waren mit etwas Abstand nicht ausschließlich cool“, gibt Rademacher lachend zu.
It’s not a phase, mom! Oder eben doch: „Die unfassbar tiefhängenden Hosen, die ich früher getragen habe, waren mit etwas Abstand nicht ausschließlich cool“, gibt Rademacher lachend zu.

© Privat

Aber wir sind bei Weitem nicht die einzigen, die so arbeiten. Das ist eine amerikanische Art, die jetzt Gott sei Dank seit ein paar Jahren in Deutschland angekommen ist. Christian Ulmen war da mit „Jerks“ ein Pionier bei der Arbeit mit losem Skript. Ich habe die Serie „Die Discounter“ immer noch nicht gesehen, aber ich höre von vielen Leuten, dass es sehr gut sein soll, und da wurde auch viel improvisiert.

Wie hat die ARD auf die eher spezielle Format-Idee reagiert?
„ARD Kultur“ fand das Konzept gut, hat sehr viel Vertrauen in uns gesteckt und uns einfach machen lassen. Das fand ich sehr mutig, weil es hätte auch total schief gehen können. Ich habe die Idee schon seit einiger Zeit in der Schublade und auch schon mehreren Sendern und Streamingdiensten vorgeschlagen. Die fanden das auch alle sehr interessant, aber niemand hatte bisher den Mut zu sagen: Dann probieren wir das doch mal.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Wie war der Prozess von der Zusage der ARD bis zur Ausstrahlung der ersten Folge?
Es musste alles sehr schnell gehen. Anfang Juli haben wir die Zusage bekommen, dann haben wir in dreieinhalb Wochen drei Drehbücher geschrieben. Im September haben wir gedreht und mussten danach schnell die erste Folge schneiden, weil der Start von „ARD Kultur“ anstand.

In der Serie sind neben Rocko Schamoni auch andere bekannte Personen der Popkultur zu sehen.
Wir fanden es cool, zu jeder Folge prominentere Leute für Cameo-Auftritte dazu zu holen. El Hotzo zum Beispiel hat eine längere Emo-Phase gehabt und deswegen war es schön, dass er in der ersten Folge mitgespielt hat. Ich weiß nicht, ob Rocko Schamoni etwas mit Gaming am Hut hat, aber seine Rolle im Film „Fraktus“ hatte ja zum Beispiel mit dem „Surf & Schlurf“ auch ein Internetcafé.

Und der Musiker Alligatoah war Zocker und deshalb sehr angetan, in der LAN-Party-Folge mitzuspielen. In der letzten Folge spielt Danger Dan ein Skatepunkband-Mitglied. Er hat in der Band nicht so viel zu sagen, was für ihn zwar schade, aber dafür sehr lustig ist. (lacht).

Wie siehst du Jugendkulturen heutzutage?
In meiner Generation haben sich die jeweiligen Szenen noch sehr stark voneinander abgegrenzt. Wenn du ein Punk warst, konntest du eigentlich keinen Hip-Hop hören und so weiter. Subkulturen hieß und heißt auch viel dogmatisches Denken. Deswegen ist unsere Serie auch nicht nur Nostalgie. Es war nicht nur alles geil, was früher passiert ist.

Ich glaube, diese harte Abgrenzung gibt es heute nicht mehr so stark ausgeprägt oder die Abgrenzung erfolgt nicht mehr über Kleidung und Musik, sondern kleinteiliger über andere Merkmale. Heute verschwimmen auch viele Subkulturen und alte tauchen wieder auf. Skaten ist immer noch riesengroß und Hip-Hop und Gaming so groß wie nie.

Auch Emo kommt wieder. Vielleicht ist Billie Eilish der Prototyp-Emo der heutigen Generation. Aber genau kann ich das nicht beurteilen, ich bin zwar durch meinen Medienquatsch-Job quasi Berufsjugendlicher, aber auch schon 36 Jahre alt. (lacht)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false