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Kolumne: Jens Mühling lernt Türkisch: „Böbrek“ heißt „Niere“

Mein Lehrer meint, die Sprache sei kinderleicht. Und deshalb wollte ich einen Döner auf Türkisch bestellen. Keine gute Idee.

Meine erste richtige Türkischstunde verlief sehr ermutigend. Ergün, ein sympathischer, in Ankara geborener Sprachlehrer, gab sich alle Mühe, mir und meinen fünf Mitlernern den Anfang möglichst leicht zu machen. Immer wieder wies er uns darauf hin, dass Türkisch eine absolut regelmäßige und logische Sprache sei, kinderleicht zu lernen – insbesondere im Vergleich mit Deutsch.

„Deutsch!“, stöhnte Ergün. „Unmögliche Sprache! Neun Pluralformen! Drei Geschlechter! Neun multipliziert mit drei, das sind 27 potenzielle Fehler in einem einzigen Wort!“

Tatsächlich hatte ich nach dem Kurs das erhebende Gefühl, aufs richtige Pferd gesetzt zu haben – ich war froh, ein türkischlernender Deutscher zu sein, nicht andersherum. Um meine neu erworbenen Kenntnisse gleich auszuprobieren, steuerte ich den nächstgelegenen Dönerladen am Kottbusser Damm an. Voller Vorfreude riss ich die Tür auf, mit lauter Stammelsätzen auf den Lippen, von denen ich wusste, dass sie mir alle Herzen zufliegen lassen würden: Guten Abend! Ich heiße Jens! Dies ist ein Tisch, dies ist ein Stuhl, bitte einen Döner!

Drinnen war es ziemlich leer. Drei türkische Verkäufer standen am Tresen, vor ihnen saß eine einsame blonde Kundin.

„Iyi aksamlar!“, rief ich leutselig. „Benim adim Jens!“

Niemand reagierte.

„Bu masa, bu sandalye!“

Nichts.

„Lütfen“, rief ich, jetzt schon ziemlich laut, „bir döner!“

Die Verkäufer drehten nicht einmal die Köpfe in meine Richtung. Als ich näher hinsah, begriff ich auch, warum. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt der blonden, ganz offensichtlich deutschen Kundin, die sich angeregt mit ihnen unterhielt – in fließendem Türkisch.

Es war eine große Demütigung. Die Frau spielte die Rolle, die ich an diesem Abend eigentlich mir selbst zugedacht hatte – nur spielte sie sie tausendmal besser. Ihr Türkisch war weich und warm und nuancenreich. Die drei Männer hingen an ihren Lippen. Es klang wunderbar, und ich verstand kein einziges Wort.

Erst nach ein paar Minuten gelang es mir, überhaupt einen der Verkäufer auf mich aufmerksam zu machen. „Was darf’s sein?“, raunzte er, den Kopf in Richtung der Blonden gewandt, um ja kein Wort zu verpassen.

„Lütfen, bir...“, setzte ich an.

„Was? Lauter! Ich versteh nix!“

Ich gab auf. „Einen Döner, bitte.“

„Was für einen?“

Um wenigstens ein einziges türkisches Wort anzubringen, zeigte ich auf eine der farbigen Dönerabbildungen an der Wand: „Bu.“ Der Verkäufer nickte geistesabwesend und gab meine Bestellung in die Küche weiter.

Ziemlich enttäuscht suchte ich mir einen Platz in der hintersten Ecke des Ladens. Niemand nahm weiter Notiz von mir. Nach ein paar Minuten riss sich einer der Verkäufer mit merklichem Unwillen von der Blondine los, um mir meinen Döner zu bringen. Schon beim ersten Bissen merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Das Fleisch schmeckte streng und war von gummiartiger Konsistenz. Als ich die Brothälften auseinanderklappte, starrte ich in einen Haufen gräulich-brauner Nieren. Ohne es zu wollen, hatte ich einen Innereien-Döner bestellt. Iyi degilim, schoss es mir durch den Kopf: Mir geht es nicht gut.

Zum Glück war es ein Leichtes, den Döner im Mülleimer verschwinden zu lassen – kein Mensch interessierte sich für mich. Extrem demotiviert ging ich nach Hause. Als einzigen Erfolg meiner ersten Türkischstunde musste ich verbuchen, dass ich zum ersten Mal im Leben daran gescheitert war, einen Döner zu bestellen.

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