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avatra/Peter Widmann

© avatra/peter widmann

Gesellschaft: Kracher Der

Dieses Brot ist kapriziös: Eine Minute zu lang, und es ist schwarz. Eine Minute zu spät, und es ist kalt. Lesen Sie diesen Artikel vor dem Frühstück!

Toast!, das war ihr allererstes Wort. Toast hat Gabrielle Giffords sich zum Frühstück gewünscht, Zeitungen auf der ganzen Welt haben darüber berichtet. Denn damit hat die demokratische Abgeordnete nach dem Attentat in Tucson am 8. Januar nun ihre Sprache wiedergefunden.

Toast!, verlangt auch der kleine Bubbies, sobald er die Augen aufschlägt. Und er weiß, dass der Großvater ihn machen wird, speziell für ihn. „Making Toast“ hat der Schriftsteller Roger Rosenblatt sein berührendes Buch genannt, in dem er erzählt, wie er sich mit seiner Frau nach dem plötzlichen Tod der 38-jährigen Tochter um deren drei kleine Kinder kümmert. Making Toast, das ist ein Weg, mit der Trauer umzugehen, das Leben zu leben, nachdem man den Boden unter den Füßen verloren hat.

„Toast“, so betitelte auch Nigel Slater seine tragikomischen kulinarischen Kindheitserinnerungen, deren Verfilmung jetzt auf der Berlinale lief und an diesem Sonntag noch einmal am Potsdamer Platz zu sehen ist (14.30 Uhr, Cinemaxx 7). Die Memoiren beginnen mit dem Toast, das seine Mutter immer verbrennen ließ, und von dem sie dann, aus dem Küchenfenster gelehnt, das Schwarze abkratzte. Der Liebe des Sohnes konnte das nichts anhaben. „Es ist unmöglich, einen Menschen, der Toast für einen macht, nicht zu lieben,“ schreibt der Autor, nach dessen Rezepten Millionen von Briten kochen. „All seine Fehler und Sünden (…) verlieren jede Bedeutung, wenn deine Zähne durch die grobe, getoastete Kruste brechen und in das weiche Teigbett des weißen Brotes sinken. Sobald die warme, gesalzene Butter auf deine Zunge trifft, bist du verloren.“ Im Film ist das fast der einzige Moment familiärer Harmonie: als Vater, Mutter und Nigel-Kind am Küchentisch zusammensitzen und mit Genuss in die krachende Brotscheibe beißen.

Toast ist eine jener raren Speisen, bei denen eigentlich alles stimmt, die knusprige Konsistenz, der expressive Sound, der verheißungsvolle Duft und, nicht zu vergessen, der Geschmack. Der nämlich verändert sich beim Rösten entscheidend, wenn Zucker und Stärke karamellisieren. Ob durch diesen chemischen Prozess das Brot antioxidativ und dadurch gesundheitsfördernd ist, wie die einen Forscher behaupten, oder, im Gegenteil, krebserregend ist, wie die anderen meinen, ist noch nicht endgültig geklärt. Fest steht: Das Brot für Kinder, Kranke und Faule, bei dem man was zu beißen hat, ohne viel kauen zu müssen (nicht mal schneiden muss man den eckigen Laib, kommt er doch meist in Scheiben), ist blitzschnell gemacht.

Und doch, warm, wie er ist, scheint er immer mehr zu sein als eine einfache Stulle: fast ein richtiges Essen. Wie einen Pizzaboden kann man den Toast mit fast allem belegen, Käse, Schinken oder Sardellenpaste, Rührei oder Baked Beans, die die Unterlage sofort zu Matsch werden lassen. Ja, sogar mit einer Cocktailkirsche kann man ihn schmücken. (Wobei, Skandal!, die „Frankfurter Rundschau“ gerade herausgefunden zu haben meint, dass gar nicht Clemens Wilmenrod den Toast Hawaii erfunden hat, sondern ein anderer Koch, bei dessen Rezepten der Fernsehstar sich gern bedient hat.)

In angelsächsischen Ländern ist er das ultimative „comfort food“, mit dem man sich tröstet, wenn es einem nicht gut geht. Das Vertrauen deutscher Verleger, dass allein das Wort herzerwärmende Assoziationen, ein wohliges Gefühl von Zuhausesein wachruft, scheint begrenzt zu sein. Nigel Slaters Buch ist bei Piper unter dem Titel „Halbe Portion“ erschienen, Roger Rosenblatts Familiengeschichte wird „An jedem neuen Morgen“ heißen, wenn sie im März bei Ullstein herauskommt.

In der Tat ist der Toast in Deutschland ein merkwürdiger Zwitter: Einerseits etwas Proletarisches, was man – ungeröstet – als labberige Scheibe an der Würstchenbude im Fußballstadion kriegt. Andererseits ist es mal was ganz Feines gewesen, was man, in dünne Dreiecke geschnitten, zum Raggufäng servierte, zu einer Zeit, als man Blässe noch für vornehm hielt, weshalb man das (selbstverständlich weiße) Brot möglichst so leicht röstete, dass es immer noch weich und bleich war. Nicht zufällig nannte sich die 1963 von neun regionalen Bäckereien als „Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Toastverzehrs“ gegründete Marke, die heute fest in Großbäcker Kamps Hand ist, Golden Toast. Werbepoetisch ausgedrückt ein historisches Datum: „1963 springt zum ersten Mal knusperfrisch und goldbraun ein Golden Toast aus einem deutschen Toaster.“

Ein bisschen was von diesem Image scheint sich bis heute erhalten zu haben. So wirbt ein Lokal in der Berliner Wilhelmstraße schon draußen auf dem Bürgersteig für Tomatensuppe mit Sahne und Toast. Als wenn es was Besonderes wär’.

Dabei ist er etwas ausgesprochen Demokratisches, passend zu jeder Tages- und Jahreszeit und jeder sozialen Schicht. Tea and toast nimmt die Queen jeden Morgen zum Frühstück zu sich, aber selbst bei den Ärmsten der Armen im Land reichte dafür immer das Geld: tea and toast gab’s notfalls morgens, mittags, abends und zwischendurch. Denn Toast macht satt. Zumindest, wenn man ihn stapelweise isst.

Kurioserweise haben die Briten, die grundsätzlich jedes Brot toasten, das gar nicht selber erfunden. Das hatten die Ägypter schon ein paar Jahrtausende zuvor getan, die Brot dadurch haltbarer zu machen wussten, indem sie es trockneten. Die Römer waren es später, die die Spezialität auf die Insel brachten – aus dem Lateinischen kommt auch das Wort -, die Engländer wiederum haben es dann nach Amerika mitgeschleppt. Ohne hätten sie in der Ferne Heimweh gekriegt.

Ja, nicht einmal den Toaster haben sie sich ausgedacht, zumindest nicht in der Form, in der man ihn heute noch kennt. Während bei früheren elektrischen Modellen die Brotscheiben mit der Hand umgedreht werden mussten, wobei man sich regelmäßig die Finger verbrannte, entwickelte ein amerikanischer Schlosser 1919 den Pop-Up Toaster, der das Brot nach oben schleudert. Ein faszinierender Vorgang. Comedian Kurt Krömer hat einmal von einem Erlebnis an der Schauspielschule erzählt, als Mitschülerin Dörte nach vorne trat, um ihre Hausaufgabe vorzuführen: Spielen Sie eine Toastscheibe, die gerade aus dem Toaster kommt.

Warum es gerade die Briten waren, die das geröstete Brot zur Nationalspeise machten, dafür gibt es verschiedene Erklärungsversuche, die allerdings eher Versuch als Erklärung sind: weil es auf den Dörfern besonders viel altbackenes Brot gab, ist eine, dass die Angelsachsen einfach nicht backen können, und das wabbelige, wattige Brot nur durch das Rösten genießbar werde, eine andere. Vor allem aber gab es im feucht-kalten Land von Mary Poppins besonders viele Kamine. An einer langen Spezialgabel wurden die Scheiben schon vor Hunderten von Jahren über dem offenen Feuer geröstet.

So haben es Generationen von Internatsschülern noch im 20. Jahrhundert auf ihren Zimmern getan. Paradoxerweise dient ja gerade der Toast, den man sich so gerne von Mama oder Opa zubereiten lässt, auch als Unabhängigkeitserklärung: Das kann ich jetzt selber. Sogar Prinz Harry hat es in Eton geschafft – von einer Glamourfotografin ließ er sich beim Toasten ablichten. Auch Nigel Slater hat sich gern Toast gemacht, wenn er aus der Schule nach Hause kam. Aber die böse Stiefmutter, die nach dem frühen Tod der Mutter das Regiment übernommen hatte, verbot es ihm. Wegen der vielen Krümel, die sie dann aufwischen müsse.

Mit der Ausrede könnte sie heute nicht mehr kommen. Inzwischen gehört die leicht zu reinigende Krümelschublade bei vielen der Turbo-Toaster dazu, so wie Schlitze, die sich der Dicke des Brots anpassen, Fotosensoren, die spüren, wann die Scheibe gerade richtig ist, Lifte, die auch kleine Teile nach oben befördern, so dass man nicht mehr mit der Gabel im Dunkeln herumstochern muss, wobei man garantiert einen gewischt kriegt. Inzwischen gibt es Toaster mit integriertem Eierkocher und Designerteile aus satiniertem Hartglas.

Ja, ausgerechnet die Maschine zur Herstellung nostalgischer Kindheitserinnerungen sieht oft ausgesprochen cool aus. Es gibt wohl kaum ein anderes Küchengerät, dem Designer so viel Aufmerksamkeit geschenkt haben wie dem Toaster, der mal rasant elegant und minimalistisch daherkommt, dann wieder mit so üppigen Rundungen wie Frauen und Autos im Hollywood der 50er Jahre. Sicher, man kann einen Toaster schon für eine Handvoll Euro kriegen, aber wer auf sich hält, kauft einen für 150 Euro. Es muss schon ein Porsche mit elfstufiger Röstgradwahl und patentiertem Brötchenaufsatz aus gebürstetem Aluminium sein.

Das hat auch seinen Grund. Ein guter Toaster steht nämlich nicht versteckt im Küchenschrank, sondern mitten auf dem Esstisch. Denn die Zeit, in der ein Toast sich auf der Höhe seines Seins befindet – heiß und knusprig –, ist verdammt kurz. Innerhalb von Minuten schlafft er ab. Erst recht, wenn jemand ihn zum Warmhalten in die Serviette wickelt wie ein Baby in die Windel. Da wird er so feucht wie – nun ja, wie ein Baby. In London gibt es deshalb schon Cafés, die Toaster auf die Tische stellen, in die die Gäste dann Sauerteigbrot vom Designerbäcker reinstecken und genauso lange toasten, wie sie es gern hätten. Denn der Toastesser ist ein Sensibelchen. Er weiß genau, wie und was er haben will. Und nur so.

Oder so: Man buttert zum Frühstück die gerösteten Scheiben, die man in dicke Streifen, „soldiers“ genannt, schneidet, dann tunkt man sie ins weiche, goldgelbe Ei. Das knusprige Brot, die geschmolzene gesalzene Butter, das cremige Eigelb – schöner kann Kinderessen auch für Erwachsene nicht sein.

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