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Hausberg: Die Weinlage "Eichenberg" direkt vor Schloss Rattey. Hier wachsen Rebsorten wie Regent, Huxelrebe und Phoenix.

© Marcus Franken

Landpartien: Mecklenburger Sorgenbrecher

Wo die Weinbegeisterung keine Grenzen kennt: ein Besuch in der Weinregion "Umland" samt der Entdeckung des jetzt schon legendären Brandenburger Jahrgangs 2018

Wehe, wenn Stefan Schmidt loslegt. Dann bricht die Begeisterung aus ihm heraus und man sucht vergeblich die Stopptaste. Mit einer ansteckenden, ja bestürzenden Leidenschaft redet der Mann über Wein. Über den Wein des Nordens, über den Mecklenburger Wein. Seine Vergangenheit, seine Wieder­auferstehung und die erstaunliche Gegenwart in einem immer wärmeren Deutschland. Dort, wo es eigentlich gar keinen Weinbau mehr geben dürfte, weit nördlich des 51. Breitengrads, wachsen auf sandigen Lehmböden Solaris und Regent, Johanniter und Phönix.

Bei unserem Besuch im Stargarder Land, unweit von Neubrandenburg, stehen die Weinstöcke so selbstverständlich in Reih und Glied, als wären sie schon immer hier gewesen. Als wären wir in der Pfalz oder in Rheinhessen gelandet. Nur der vom Seewind freigeblasene Himmel und der Sound von Stefan Schmidts Idiom verraten, dass wir uns im Nordosten der Republik befinden. Dort, wo die viel zitierten Spaßwinzer zu Hause sind. Spaßwinzer, die mit großem Ernst in einer Region Wein machen, wo der Mecklenburger Herzog Heinrich V. schon vor mehr als 500 Jahren einen Weinberg anlegen ließ.

Der Jahrgang 2018 war der Beste seit Jahrhunderten

Schmidt berichtet von der Lese des legendären Jahrgangs 2018. Er redet so lebendig und detailliert darüber, als hätte er erst gestern die letzte Traube vom Stock geschnitten. Der Jahrgang wird in ganz Deutschland in die Annalen eingehen als einer der frühesten, wärmsten und makellosesten seit Jahrhunderten. Hier oben im Norden war der 2018er erst recht ein Naturereignis, ein kleines Wunder. Weinlese in Muscleshirt und kurzer Hose! Und keine einzige faule Beere. Dafür vollreifes gesundes Lesegut mit perfekten Öchslegraden. Bei den roten Sorten lief ein tieffarbiger Saft von der Kelter, als wären die Trauben in Spanien gewachsen und nicht 70 Kilometer vom Stettiner Haff entfernt. Schmidt ist immer noch beseelt von diesem Jahrgang, er badet noch einmal in den Mostgewichten. Die Lesemannschaft, sagt er, habe Gas geben müssen, damit die Säure des Weins nicht in der Sonne verdampfte. "Es war ein richtiges Happening".

Stefan Schmidt baut im Stargarder Land, unweit von Neubrandenburg, Wein an.

© Marcus Franken

Jedes Jahr zur Erntezeit kommen Weinenthusiasten aus ganz Deutschland und sogar aus der Schweiz und aus Österreich, um hier die Trauben zu ernten. Mehr als 400 Mitglieder zählen die drei Winzervereine in Mecklenburg-Vorpommern. Schloss Rattey ist das weinkulturelle Zentrum des Stargarder Landes. Der wuchtige Bau des klassizistischen Herrenhauses steht selbstbewusst in der grünen Ruheoase mit 22 Hektar Park und seinen natürlichen Wasserläufen drum herum. Hier baut der gelernte Önologe Schmidt die Stargarder Weine von drei Standorten aus und gibt als Kellermeister den Kleinwinzern die Richtung vor. Und er koordiniert die Lese, die 2018 am 31. August begann und am 3. Oktober endete. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass in kritischen Jahren selbst in süddeutschen Anbaugebieten im November gelesen wurde, wie etwa beim Katastrophenjahrgang 1984. Die Lesehelfer trugen dicke Handschuhe und auf den Reben lagen Schneetürmchen.

Erderwärmung hilft dem deutschen Weinbau

Vorbei! Die Erderwärmung hat den deutschen Weinbau ins klimatische Optimum katapultiert. Bis zu zwei Grad hat die Durchschnittstemperatur in manchen Anbaugebieten seit den 1960er Jahren zugelegt, dazu deutlich mehr Sonnenstunden. Der Vegetationszyklus - Austrieb, Blüte und Ernte - hat sich um drei bis vier Wochen verschoben, ein Quantensprung. Die Paradesorte Riesling zeigte noch Ende der 1970er Jahre im Süden der Republik ihre ersten Blattspitzen Mitte Mai. Heute treiben Rieslingstöcke schon im April aus. Deutsche Weine sind durchweg reifer, cremiger, muskulöser geworden.

Das Schloss Rattey wurde 1806 erbaut und wurde zwischen 1996 und 1998 aufwändig restauriert und in ein Schlosshotel umgewandelt.

© Marcus Franken

Die kleinen Inseln der norddeutschen Weinflächen profitieren am meisten von der Klimaveränderung. Stefan Schmidt hat die Namen dieser Weingebiete in Brandenburg, Mecklenburg und Schleswig-Holstein alle parat, er kennt quasi jeden Rebstock mit Vornamen. Für sein Buch über die Weinoasen Norddeutschlands hat er sich im Landesarchiv vergraben, um die weit zurückreichende Geschichte des Weinbaus an kaum bekannten Orten zu recherchieren. Und er hat die vielen Mini-Anbauregionen liebevoll beschrieben - vom "Usedomer Inselwein" bis zur "Hamburger Stintfang-Cuvée". Niedersachsen war lange Zeit das einzige deutsche Bundesland ohne offiziellen Weinbau, jetzt besitzt es 17 Hektar Pflanzrechte und komplettiert die nördliche Vinophilie. Jeder Deutsche darf, egal in welchem Bundesland, 99 Weinstöcke auf zehn mal zehn Metern für den Eigenbedarf anpflanzen.

Das Stargarder Land ist seit 2004 offizielles Anbaugebiet

Im Stargarder Land war der Anbau lange auf wenige Hänge begrenzt. Dann erhielt man, nach zähen Verhandlungen, eine Spende aus Rheinland-Pfalz. Das für den Weinbau in Deutschland wichtigste Bundesland verzichtete auf fünf Hektar Pflanzrechte, die im Gegenzug den Mecklenburgern zugeschlagen wurden. Davor war eigens eine Pfälzer Delegation angereist, um sich zu überzeugen, dass der Anbau hier ernsthaft und mit dem kulturellen Hintergrund einer beachtlichen Weinhistorie betrieben wird. Seit 2004 ist das Stargarder Land per Bundesratsbeschluss nun offizielles Anbaugebiet für "Mecklenburger Landwein trocken" bis "halbtrocken" und damit das nördlichste geschlossene Anbaugebiet Deutschlands. "Qualitätswein" darf nicht auf dem Etikett stehen, auch "Süßwein", "Spätlese", "Auslese" oder gar "Eiswein" sind nicht erlaubt. Es muss alles seine önologische Ordnung haben. Das gilt auch für die Nordweine.

Begeistert: Der Weinberg von Kleinwinzer Heiko Wellendorf liegt wenige hundert Meter von Schloss Rattey entfernt.

© Marcus Franken

Blickt man auf den oberen Teil der Deutschlandkarte, dann wimmelt es nur so vor lauter kleinen Weininseln. Überall rote Punkte im Rebflächenverzeichnis, als hätte der Norden die Masern. Neuzelle, Großräschen, Luckau, Jerischke, Pillgram, Zossen, Werder: Das sind einige der vielen kleinen Anbauflächen in Brandenburg. Aber auch weiter westlich in Göttingen, Rinteln, Bad Iburg oder Ramlingen, in Großenkneten, Bad Zwischenahn und in Sande wachsen Reben. Sogar auf der Insel Föhr oder auf Sylt. Manchmal machen die Rebzeilen nur einen Zehntel Hektar aus und man kann die Ernte im Spankorb nach Hause tragen. Manchmal sind es zwei oder drei Fußballfelder.

Die Stargarder Gewächse werden sogar in der Spitzengastronomie angeboten

Überall sitzen Weinliebhaber, die unter der nördlichen Sonne bei schwierigen Bedingungen ihr Kulturgetränk anbauen. Manch grauselige Tropfen sind zweifellos darunter, aber immer wieder gelingen gut trinkbare, manchmal erstaunlich feine Weine. Die Stargarder Gewächse sind inzwischen sogar in der Spitzengastronomie vertreten, sie haben Preise und Auszeichnungen bekommen und werden mit Anspruch produziert (siehe Verkostung), inklusive Barrique-Ausbau.

Das große Aber: Braucht man die ­Nordweine überhaupt? Falsche Frage! Richtige Frage: Macht der Anbau den unzähligen Kleinwinzern und Weinverrückten Spaß und Freude? Meistens schon, im Jahr 2012 weniger, da fraßen auf Schloss Ratthey die Stare den größten Teil der Trauben. Dafür mündete der Spaß 2018 in ein monatelanges Hochgefühl: der beste Jahrgang dieses Jahrhunderts.

Hofverkauf: In der "Weinkanne" auf Schloss Rattey lagern Weine - und sehr ordentliche Brände.

© Marcus Franken

Die Weinbaugrenze verschiebt sich unterdessen weiter nach Norden. Sonne gibt es hier oben mehr als genug, zumal die Tage im Sommer länger sind. Glaubt man den Experten, dann wird der Riesling, dem es an Rhein und Neckar in manchen Südlagen längst zu warm geworden ist, im Jahr 2050 an der dänischen Grenze sein ideales Klima finden. Nur: Dort wird man ihn trotzdem nicht anbauen. Das Klima wäre geeignet, aber die Vegetationsperiode ist zu kurz. Im Stargarder Land, sagt Schmidt, beginnt sie einen Monat später als in den traditionellen Gebieten. Dazu die strammen Fröste. So sind die Kleinwinzer auf Rebsorten angewiesen, die relativ spät austreiben, aber dennoch zeitig reif werden und den harten Winterfrösten widerstehen. Portugieser, Müller-Thurgau und Spätburgunder hatten daher nur ein kurzes Gastspiel. Die Neuzüchtungen Solaris, Regent und Phönix haben sich dagegen als robuste Nordlichter bewährt.

Wie geht es weiter mit dem Wein des Nordens? Wird er expandieren, bald auch eigene Qualitätsweine hervorbringen? Man darf gewiss sein, dass die deutsche Weinlobby darauf achtet, dass es nicht zu viel wird mit den Nordwinzern. Ihre Weine bleiben eine Rarität - gern belächelt, aber allemal interessant. "Bananen", sagt Stefan Schmidt, "dürfen Sie überall anbauen, bei Rebstöcken sieht das anders aus."

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