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Immer wieder brenzlig: Begegnungen zwischen Radlern und Autofahrern in Berlin. Eine typische Szene, hier von unserer Fotografin nachgestellt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Vom Netz genommen (5): Berlin dreht am Rad - aber richtig?

Radfahren in der Stadt ist eines der wichtigsten Streitthemen unserer Leserkommentatoren. In der Debattenkolumne "Vom Netz genommen" vertieft sich Markus Hesselmann in eine oft emotional geführte Debatte. Diskutieren Sie mit!

Von Markus Hesselmann

Radler gegen Autofahrer, Fußgänger gegen Radler, Raucher gegen Nichtraucher, Hundefreunde gegen Nichtganzsohundebegeisterte - oft stehen sich, wie im wahren Leben, auch in unseren Leserforen bestimmte Gruppen wenig versöhnlich gegenüber. Obwohl: Das mit den Rauchern hat sich zumindest in der Hauptstadt ein bisschen entzerrt, seit sich die Menschen hier ganz gut mit der gewohnt schwammigen und ohnehin im Alltag nicht durchgesetzten Berliner Gesetzgebung arrangiert haben. Anders ist es beim Dauerthema Radfahren. Weil es dabei oft um konkrete Gefahrenmomente im Alltag geht, bis hin zu gefühlten Nahtod-Situationen, die vor allem Radfahrer, aber auch Fußgänger und - viel seltener - Autofahrer immer wieder in Berlin erleben, wird die Debatte schnell emotional. Und oft richtet sich der Zorn auch auf den Überbringer der Botschaft: uns Berichterstatter und Analytiker. Wahlweise wird der Tagesspiegel als rad- oder autofeindlich gebrandmarkt. Mit dieser Kritik, auch wenn sie manchmal ziemlich pauschal ist, müssen wir umgehen und darauf eingehen. Aber von zwei Seiten gleichermaßen angegangen zu werden, mag auch darauf hindeuten, dass wir da etwas richtig machen.

Leider kommen in solchen oft sehr polarisierenden Debatten viele Beiträge, die sich in gegenseitigen, pauschalen Anschuldigungen unter Kommentatoren erschöpfen. Andererseits lassen sich gerade hier auch immer spannende Leserkommentare finden, die konstruktiv kritisieren, anregen, weiterdenken, Beispiele nennen. Da macht es Spaß, hier in der Debattenkolumne davon einige aufzugreifen. Anlass für die aktuelle Diskussion ist die Neuauflage der "Radverkehrsstrategie", die der Berliner Senat in der vergangenen Woche vorstellte:

Unser Leser "leichtundschoen" sieht in solchen großangelegten Strategien kaum mehr als "(Lippen-)Bekenntnisse", belässt es aber nicht bei dieser Kritik, sondern entwirft eine Art Roadmap, wie eigentlich an solche Projekte ranzugehen wäre. Vor allem, wenn es dann in die Mühen der Ebene geht, die Um- und Durchsetzung der mit Trara angekündigten Strategie: "Studien zu beauftragen, Sachlagen zu erkennen, Güter abzuwägen ist das eine, Wege aufzeigen, Mehrheiten einwerben, Entscheidungen erklären das andere." Viel Hoffnung darauf, dass daraus etwas wird, spricht aber aus dem Kommentar nicht: "Am besten man brüstet sich mit schönen Projektideen und belässt alles beim alten. So entspricht man den Hoffnungen auf Veränderung und bedient das Beharren auf Altem, keiner ist enttäuscht." Das klingt nach Erfahrung mit solchen Prozessen - und spitzt sich in deutlicher Kritik an der Landesregierung zu: "Die Welt ändert sich trotzdem. Man kann Veränderungen gestalten oder ihnen hinterherrennen. Der Senat hat sich für letzteres entschieden."

Dazu passt der "entscheidende Satz des Artikels", auf den Leser "bender" noch einmal hinweist: "Die mit der ersten Radverkehrsstrategie 2004 beschlossenen Ziele hat der Senat teils klar verfehlt, wie er dem Grünen-Abgeordneten Stefan Gelbhaar im Herbst 2012 auf Anfrage mitteilte" Woraus unser Leser folgert: "Die Pläne sind reine Augenwischerei und Blendtaktik des Senats, ein Propaganda-Instrument, um zu demonstrieren: Wir tun was. Bloß in der Praxis bewegt sich nichts, weil kein Geld ausgegeben werden soll. Politik ist zu einer reinen Absichtserklärungsshow verkommen, aber die Bürger realisieren dies auch nach und nach!"

Ohnehin werden die Mühen der Um- und Durchsetzung bei diesem Thema immer wieder angesprochen. Viele unserer Leser verstehen nicht, warum in Berlin so wenig kontrolliert wird. Das dann oft genannte Argument, zuletzt wieder im Zusammenhang mit der aktuellen Unfallbilanz der Berliner Polizei, dies sei zu personalaufwändig und damit zu teuer, leuchtet vielen nicht ein. Denn durch Kontrollen und die dabei verhängten Strafzettel käme ja auch Geld rein.

Leser "ancoats" macht das (vermeintliche) Dilemma anhand eines konkreten Beispiels deutlich, der so genannten "Fahrradstraße", zu der in Berlin zum Beispiel die Prinzregentenstraße in Wilmersdorf umgewidmet wurde. "Gerade in der Prinzregentenstraße könnte man sich täglich dumm und dusselig an Ordungsgeldern verdienen", schreibt "ancoats", "denn von 100 Autos, die dort durchfahren (und das allesamt mit deutlich mehr als 30 km/h) sind allerhöchstens 10 Anlieger oder sonstige Berechtigte. In einer Stadt, die sich im öffentlichen Raum grundsätzlich schwer mit dem Durchsetzen von Vorschriften tut, kann man so etwas wie Fahrradstraßen vergessen."

Viele weitere Leserkommentare zu dem Thema weisen in eine ähnliche Richtung, allerdings auch immer wieder mit dem Blick auf rücksichtslose Radler. "Wann bekommt man denn in Berlin schon Strafzettel, wenn man die Verkehrsregeln kreativ auslegt, ob nun Rad- oder Autofahrer", fragt Leser "evilboy" in seinem Kommentar. "Die Polizei müsste sich nur an die Warschauer Straße stellen und minütlich würde bei den Ohnelichtradlern die Kasse klingeln." Dass es aber am Ende nicht nur um polizeiliches Eingreifen, sondern auch um persönliche Haltungen geht, wird auch deutlich: "Wer Gehwegradeln gut findet, findet bestimmt auch in zweiter Reihe parkende Autos, Hundekot auf Straßen oder wilde Müllkippen gut. Den alltäglichen Egoismus eben, der in dieser Stadt leider ziemlich verbreitet ist."

Auf die Hundefreunde komme ich dann demnächst mal zurück.

Und jetzt sind Sie wieder dran, liebe Leserinnen, liebe Leser: Was meinen Sie? Was sind aus Ihrer Sicht die größten Probleme im Berliner Straßenverkehr? Was müsste sich ändern, damit Radler und Autofahrer besser klarkommen? Wird in Berlin zu wenig kontrolliert, werden Regelverstöße zu selten geahndet? Und ist es überhaupt richtig, den Fahrradverkehr ausdrücklich zu fördern, wie dies der Senat zumindest als Ziel formuliert? Kommentieren und diskutieren Sie mit! Nutzen Sie dazu bitte die einfach zu bedienende Kommentarfunktion etwas weiter unten auf dieser Seite.

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