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Medien: „16 160 Tage voller Reichtum“

Fritz Pleitgen ist heute den ersten Tag Ex-Intendant des WDR. Eine Bilanz nach 44 Jahren beim Kölner Sender – und ein Ausblick

Herr Pleitgen, der WDR-Film zu Ihrem Abschied trug den Titel: „Rastlos – gelassen“. Die erste Eigenschaft glauben wir Ihnen gerne, bei der zweiten kommen uns Zweifel. Kann man zwölf Jahre lang WDR-Intendant und immer gelassen gewesen sein?

Ich habe mich nie so aufgeregt, dass ich die Kontrolle verloren habe. Das hat erstens mit meinem Naturell zu tun, zweitens war ich immer eins mit meinen jeweiligen Aufgaben. Der WDR war mein Glücksfall. Ich fühlte mich hier geborgen. Nirgends hätte ich meine Fähigkeiten besser entfalten können als in diesem Sender.

Wenn vom Korrespondenten Pleitgen die Rede ist, ist zumeist die Zeit in Moskau, Ost-Berlin und Washington gemeint. Aber wie prägend waren für Sie die ersten Einsätze in Krisengebieten, 1964 auf Zypern und 1967 im Nahen Osten?

Ich bin viel zu unvorbereitet in diese Krisen geschickt worden. Daraus habe ich gelernt, dass wir nur gut ausgebildete Menschen in solche Extremsituationen bringen dürfen.

Sie waren in Lebensgefahr?

Gelegentlich. Auf Zypern hatte ich das scheinbar friedliche Umfeld an der Grünen Linie unterschätzt, an der sich Türken und Griechen feindselig gegenüberstanden. In Ägypten waren wir nicht durch die Kampfhandlungen bedroht, sondern durch den Aufruhr der Bevölkerung nach dem verlorenen Sechs-Tage- Krieg. Ich bin ein paar Mal von der Polizei gerettet worden, kurz bevor man mich steinigen wollte. Als Intendant habe ich schlaflose Nächte, weil unsere Korrespondenten in weitaus größerer Gefahr sind als wir damals. Heute werden Journalisten gezielt ausgeschaltet.

Sie konnten es Ihrem Sohn, der bei CNN arbeitet, dennoch nicht ausreden, Journalist zu werden?

Das ist sowieso hoffnungslos. Ich weiß von mir, wie es ist, wenn dieser Bazillus einen fruchtbaren „Wirt“ gefunden hat.

Sie sind als junger Journalist und Anhänger von Willy Brandt in die SPD eingetreten.

Dieser Mann hatte mich wie viele junge Leute fasziniert. Die Idee von der Ostpolitik war damals etwas Unglaubliches. Heute würde ich einem Journalisten nicht empfehlen, in eine Partei einzutreten. Das führt nur zu Missverständnissen. Was ich berichtete, wurde gerne als Parteimeinung heruntergemacht. Das hat mich oft gewurmt. Aber ich wollte auch nicht wieder austreten, weil ich der Meinung bin, wenn ich einen Schritt getan habe, muss ich dazu stehen.

Nur ein geringer Teil der unter 50-Jährigen schaltet noch öffentlich-rechtliches Fernsehen ein. Ist das die schwerste Hypothek, die Sie Ihrer Nachfolgerin Monika Piel mitgeben?

Das ist nicht meine Hypothek, Zeitungen geht es genauso. Das ist der Gang der Zeit. Wie auch immer: Wir müssen das jüngere Publikum zurückgewinnen. Mithilfe eines kombinierten Angebots von Fernsehen und Internet können wir wieder den Anschluss gewinnen.

Bei Ihrem Amtsantritt 1995 ging am Sonntagabend nicht Sabine Christiansen auf Sendung, da war die ARD noch mit Friedrich Küppersbusch auf „Zak“ und Internet-TV eine Zukunftsvision. Überkommen Sie manchmal nostalgische Gefühle?

Küppersbusch und „Zak“ waren prima. Alles hat seine Zeit. Internetfernsehen kann eine Bereicherung sein. Wir dürfen nicht stehen bleiben. Per saldo ist das Fernsehen besser geworden.

Es wurde umfangreicher, aber besser?

Ja! Wer sagt, es sei früher alles besser gewesen, dem kann ich nicht folgen.

Nun ist die Programmreform im Ersten mit der Vorverlegung der „Tagesthemen“ nicht wirklich geglückt. Haben Sie nicht das Gefühl, dass Sie eine offene Baustelle hinterlassen?

Es gibt kein Programm, das schwerer umzugestalten ist als das Erste. Unser Abendprogramm beginnt um 20 Uhr, bei allen anderen viel früher. Wir haben also nur eine kleine Fläche, auf der wir uns bewegen können. ARD-Programmchef Günter Struve hat das mit beachtlichem Erfolg getan, oft auch gegen meine Einwände. Wir befinden uns in einer ständigen Diskussion. Oft kontrovers, gelegentlich mit unerwünschtem Ausgang. Die Presse schreibt dann gerne von schweren Krisen, wie im Fall Jauch. Mumpitz, wir sind kein Bunker. Offene Meinung, Streit machen nicht schwach, sondern stark.

Sind Sie nicht auch ein bisschen froh, den Verein „Alle reden durcheinander“ (ARD) hinter sich zu lassen?

Der Ausdruck stammt von uns selbst. Das zeigt die Selbstironie und die Souveränität, die uns eigen sind. Das Kapitel Intendant ist für mich abgeschlossen, aber es war für mich keine Fron. Ich bin zu den ARD-Sitzungen immer frohen Mutes und voller Angriffslust hingefahren.

Was war Ihre größte Niederlage?

Zu Beginn meiner Intendanz wollte ich mit „City Express“ eine lang laufende, anspruchsvolle Serie im Abendprogramm durchsetzen. Dann ist Ideengeber Hans W. Geißendörfer ausgestiegen, weil er in der „Lindenstraße“ Probleme hatte. Das gab der Sache den entscheidenden Knacks. Eine andere Niederlage war die Schleichwerbungsgeschichte. Es hat mich sehr gewurmt, dass ich das nicht verhindert habe. Zusätzlich ärgerte mich, dass die ARD dadurch zum Synonym für Schleichwerbung gemacht wurde, obwohl es andere viel intensiver betrieben haben.

Bei der EU-Kommission zeichnet sich ab, dass Product Placement in Filmen und Serien erlaubt sein wird, wenn es denn deklariert wird.

Per saldo nicht schön, aber eine Chance für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Indem wir Schleichwerbung nicht mitmachen, unterscheiden wir uns positiv von der Konkurrenz.

Zu den Erfolgen Ihrer Amtszeit zählt zweifellos, dass die Fußball-Bundesliga wieder ins Erste zurückgekehrt ist.

Das geschah in der Amtszeit von Jobst Plog und wurde möglich durch den Zusammenbruch des Kirch-Imperiums. Aber wir haben durch meine Mitwirkung viele wertvolle Sportrechte erworben: Olympische Spiele, Biathlon, nordische Wettkämpfe, Tour de France. Darin habe ich immer den Programmauftrag gesehen, insbesondere junge Menschen dafür zu interessieren, sich sportlich zu betätigen, indem wir positive Helden schaffen.

Das ist dann beim Radsport gründlich schiefgegangen.

Im Prinzip nicht. Unsere Übertragungen haben erheblich zum Boom des Freizeitsports Radfahren beigetragen. Das hat unser Gesundheitswesen stark entlastet. Andererseits war der Ulrich-Vertrag ein großer Fehler. Was Doping angeht, ist nicht nur der Radsport betroffen. Gegen diese Seuche müssen wir schonungslose Berichterstattung setzen, sonst können wir unsere Sportübertragungen einstellen.

Wie fühlt sich das an, dieses Büro demnächst verlassen zu müssen?

Im Augenblick bin ich noch örtlich betäubt, weil ich mit vielen Aufgaben beschäftigt bin. Aber den WDR nach 44 Jahren zu verlassen, erfüllt mich schon mit Wehmut. Andererseits schaue ich mit Genugtuung zurück. Dass der WDR gut dasteht, hat möglicherweise auch mit mir zu tun. Andererseits habe ich dem Sender und seiner kompetenten, engagierten Mitarbeiterschaft 16 160 Tage voller Reichtum zu verdanken.

Das Interview führte Thomas

Gehringer.

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