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Stil-Ikone. Snoop Dogg hat es schon lange geschafft. Der Rapper ist zugleich Produzent und setzt auch in Kleidungsfragen Trends. Wie hier auf der Paris Fashion Week 2015. Eine Doku des Streamingdienstes Disney+ blickt auf 42 Jahre HipHop zurück.

© Etienne Laurent/dpa

TV-Doku „HipHop Uncovered“: An den Hebeln der Ohnmacht

In der sechsteiligen Dokumentation „HipHop Uncovered“ erzählt Disney+ die Erfolgsgeschichte des Rap.

Der HipHop, die jüngste und gleichsam hochbetagte Spielart des Pop, ist auch 42 Jahre nach seiner Ursteinlegung so sexistisch, als hätte es zwischendurch nicht drei, vier gewaltige Wellen weiblicher Emanzipation gegeben. Im Rap sind einflussreiche Frauen daher noch seltener als in den Kreisverbänden der FDP. Und falls eine Rapperin doch mal ins Rampenlicht darf, fügt sie sich oft den Regeln männlicher Kollegen. Optischen zumeist. Ausnahmen bestätigen die Regel. Eine davon allerdings seit Jahrzehnten: Debra Antney. Debra who?

Debra, die Frau, von der viele Rap-Konsumenten womöglich nie gehört haben, gilt im Milliardengeschäft goldkettenbehängter, luxusvillenbewohnender, protzkistenfahrender Megastars als Ikone, ach was: Heilige. Dort ist „Aunt Deb“, wie Rap-Lieferanten sie ehrfürchtig nennen, derart einflussreich, dass selbst goldkettenbehängte, luxusvillenbewohnende, protzkistenfahrende Showgrößen von Snoop Dogg über Mike Tyson bis Ice-T demütig klingen und klein, sobald von der großen Produzentin hinter ihnen die Rede ist. Kein Wunder.

[ „HipHop Uncovered“, Disney+, ab Freitag]

Debra Antney, so lernen wir ab Freitag sechs Folgen lang in der famosen Disney+-Doku „HipHop Uncovered“, zieht nämlich nicht nur virtuos die Fäden im Massenmedium Sprechgesang; man kommt ihr dabei auch besser nicht in die Quere. „Ich weiche vor niemandem zurück“, sagt das geläuterte Gangmitglied zu Beginn des ersten Teils mit rauchiger Stimme und guckt dabei so schlachtenerprobt in die Kamera, dass man schon beim Zuhören innerlich einen Kopf kürzer wird. Und nicht nur bei ihr.

Neben Deb porträtiert Regisseur Rashidi Harper schließlich noch weitere Strippenzieher der Branche; abgesehen von Eugene „Big U“ Henley, Jacques „Haitian Jack“ Agnant und Christian „Trick Trick“ Mathis auch Debras Zwillingsbruder James, genannt Bimmy.

Mehr als Gangstarap-Schauergeschichten

Wenn Bimmy dem Filmemacher vom langen Weg aus der New Yorker Drogenszene ins wirkmächtigste Musik-Genre seit dem Siegeszug des Soul aus Detroits Autowerksvierteln erzählt, flößt das mindestens Respekt, manchmal gar Furcht ein. Trotzdem ist Harpers Analyse mehr als eine Sammlung von Schauergeschichten der Gattung Gangstarap, die es vom CNN der Schwarzen zur hautneutralen Gelddruckmaschine gebracht hat. Annähernd sechs Stunden lang erzählt die Dokumentation davon, wie der subkulturelle HipHop aus dem popkulturellen Maschinenraum auf die massenkulturelle Kommandobrücken vordrang und von dort aus Verwertungsmechanismen steuert wie kaum ein Lebensstil seit dem Rock’n’Roll. Nur – dummerweise meist, ohne die Protagonisten sozial satisfaktionsfähig zu machen. Denn anders als ein paar weißen Wohlstandskids, wie die Fantastischen Vier in Deutschland, bleibt schwarzen Ghettokids allerorten trotz aller Erfolge bestenfalls der Aufstieg vom Paria zum Parvenü.

Begleitet von nahezu allem, was unter rappenden People of Colour Rang und Namen hat, ist „HipHop Uncovered“ somit auch das Gesellschaftsporträt einer Aufmerksamkeitsindustrie, die ihre Außenseiter an den Hebeln der Ohnmacht zugleich aufpäppelt und ausbeutet. Durch Augen, Stimmen ihrer Protagonisten, erzählt der Mehrteiler daher, wie sich Schwarze im rassistischen Amerika anno 1979 von New York aus erhoben, um – wenn schon keine allgemeine Akzeptanz, so doch immerhin – Angst und Ansätze von Respekt einer weißen Mehrheitsgesellschaft zu generieren, die davon ebenso fasziniert wie abgestoßen sind.

Vom ersten Tophit – Sugar Hill Gangs „Rapper’s Delight“ – übers anschließende Anschwellen zur Weltbewegung in die Abgründe einer Mixtur aus Kommerz, Machismo, Autoaggressivität und zurück, schildern die sechs Teile nicht chronologisch, aber stringent, wie sich der Pop seiner Spielfiguren bemächtigt. Heute, urteilt Big U im Finale, handelt HipHop längst nicht mehr von Musik, Texten und Style, geschweige denn Befreiung, sondern nur noch dem Höherschneller-Weiter des musikalischen Turbokapitalismus. „Es ist ein Haifischbecken“, sagt der Bademeister und klingt schon deshalb traurig, weil der Film zuvor 43 prominente Rapper aufgelistet hat, die darin seit 1987 gewaltsam ums Leben gekommen sind.

Umso origineller ist es, dass „HipHop Uncovered“ letztlich doch keine Abstiegs-, sondern eine Aufstiegsgeschichte bleibt. Denn so viele seiner goldkettenbehängten, luxusvillenbewohnenden, protzkistenfahrenden Kinder auch im Kugelhagel sterben – bis heute ist Rap neben Sport die einzig realistische Aufstiegsmöglichkeit für Schwarze. Ab und zu sogar weibliche.

Jan Freitag

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