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Ulrike Thiele, Mitarbeiterin von Tagesspiegel-Online und Bloggerin.

© Doris Spiekermann-Klaas

Bloggerkolumne: Im Auge des Spotts

Unsere Autorin hofft, dass Christian Wulff in den letzten Tagen nicht allzu oft ins Netz geschaut haben. Der "Spott-Storm", der dort tobt, könnte den standfestesten Bundespräsidenten hinweg wehen.

Wie oft Christian Wulff in diesen Tagen wohl ins Internet schaut? Man möchte ihm wünschen, dass er es gar nicht getan hat. Wie es um die Fähigkeit des Bundespräsidenten bestellt ist, über sich selbst zu lachen, weiß man nicht. Doch man kann sich vorstellen, dass selbst dem größten Spaßvogel das Lachen im Hals stecken bleibt, wenn er sieht, wie der Facebook-Newsfeed sich immer weiter mit Bildchen, Filmchen oder Audiodateien füllt, wie auf Twitter die Liste imaginärer Wulff-Filme immer länger wird, und das all das nur ein Ziel hat: ihn lächerlich zu machen.

Es gibt in der digitalen Kommunikation den passenden Begriff des „Shitstorms“, passend deshalb, weil man auch mit rudimentären Englischkenntnissen begreift, dass es sich dabei um eine sehr unangenehme Sache handelt. Wer einen Shitstorm erleidet, hat nur eine Möglichkeit: alle Geräte ausschalten und sich für zwei Wochen in eine Hütte auf Hiddensee verkriechen. Denn besänftigen lässt sich der Shitstorm nicht. Bei dem, was über Christian Wulff in den vergangenen Tagen hereinbrach, kann man durchaus von einem Shitstorm reden. Man könnte es auch, frei ins Denglische übersetzt, einen Spott-Storm nennen. Denn eigentlich war doch alles nur Spaß, oder?

Lachen befreit, der Spottstorm schafft Feindbilder

Das Fehlverhalten von Politikern humoristisch aufs Korn zu nehmen, ist eine beliebte Form der Meinungsäußerung. Ein komplexes Thema wird auf eine einfache Ebene geholt und mit einer Pointe versehen. Im politischen Kabarett wird so die Absurdität des politischen Geschehens entblößt und ein befreiender Ausweg für alle Probleme geboten: das Lachen.

In den sozialen Netzwerken kann jeder ein Kabarettist sein und zeigen, was ihm zur Causa Wulff so einfällt. Einer baut eine Fotomontage, andere verbreiten sie, bis dem nächsten etwas einfällt und so weiter. Am Anfang ist das lustig, vielleicht sogar geistreich. Mit der Zeit aber wird der Spott-Storm zunehmend wilder. Plötzlich steht man wieder in einer Gruppe mit anderen auf dem Schulhof und lacht ungehemmt über einen einzigen Mitschüler. Man hat sich ein Feindbild geschaffen, das einzig dazu dient, die eigene Gruppe zu stärken. Nur dass im Internet niemand einschreitet. Am Ende geht es dann nicht mehr um Kritik in der Sache, sondern nur noch darum, sich mit Nonsens zu überbieten. Der Spott-Storm verbraucht sich selbst.

Spott und Hohn müssen nicht flach sein, sie sind die Essenzen einer klugen Satire und jeder Karikatur. Politiker, die durch Fehlverhalten auffallen, müssen sich Spott und Häme gefallen lassen. Und, Gott sei Dank, leben wir in einem Land, in dem man dafür nicht ins Gefängnis kommt. Wenn der Spott allerdings nur noch des Spotts wegen getrieben wird, dann bekommt er etwas Würdeloses – das ist paradox, gerade im Fall Wulff, dem in dieser Affäre würdeloses Verhalten vorgeworfen wird.

Die Autorin ist Mitarbeiterin von Tagesspiegel Online und bloggt unter www.provinzkind.de.

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