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Schutzlos ausgeliefert. Sylvester Groth (rechts) spielt den Lagerältesten der Häftlinge im Konzentrationslager Buchenwald. Foto: MDR

© MDR/UFA FICTION

Buchenwald-Drama: Bloß kein KZ-Kitsch

Die ARD lässt in Tschechien den Roman „Nackt unter Wölfen“ von Bruno Apitz neu verfilmen. Geplant ist kein Remake zum Frank-Beyer-Film, 1963 in der DDR gedreht.

Die eisernen Kreuze auf den flachen Holzbaracken sehen seltsam aus, wie hohle Windräder mit vier Flügeln oder Andreaskreuze. Es handelt sich um Blitzableiter, denn in einem deutschen Konzentrationslager gab es nichts ohne Grund: Die Tötung der Gefangenen wollte man nicht einem möglichen Gewitter überlassen. Für die Dreharbeiten der Neuverfilmung von „Nackt unter Wölfen“ mussten daher die Baracken in der tschechischen Gedenkstätte Vojna Lešetice mit den eigenartigen Apparaturen nachgerüstet werden, wie Szenenbildner Matthias Müsse beim Rundgang erklärt. Auf Grasflächen ruhen sich an diesem kalten Maitag die Statisten in ihren gestreiften KZ-Uniformen aus. Ihre Gesichter sind weiß bis gräulich geschminkt, die Kleidung zerschlissen. Vor einem der wenigen Steinhäuser schrumpeln auf einer Plastikplane Kartoffeln und Rüben vor sich hin. Sie wirken noch nicht echt genug für das KZ Buchenwald im Frühjahr 1945. „Meine größte Sorge ist, dass es zu freundlich aussieht“, sagt Müsse.

Vojna liegt eine gute Stunde Autofahrt südlich von Prag und ist nach einem nahen Berg und Wallfahrtsort benannt. Das größte Zwangsarbeitslager zur Uranförderung in der Tschechoslowakei ist im Original erhalten, eine Seltenheit in Mitteleuropa. Von deutschen Gefangenen im Zweiten Weltkrieg für ihre eigene Internierung errichtet, wandelte die kommunistische Regierung 1951 den Gebäudekomplex in ein „Besserungslager“ für angebliche Staatsfeinde um. Sie wurden mit der Inschrift „Prací ke svobode“ (Freiheit durch Arbeit) über dem Lagertor begrüßt.

Das erinnert fatal an das makabre „Arbeit macht frei“ von Auschwitz und anderen deutschen KZs. Für Buchenwald, das größte Konzentrationslager, in dem schätzungsweise 56 000 Menschen den Tod fanden, darunter 11 800 Juden, hatte die Kommandantur hingegen die Losung „Jedem das Seine“ gewählt. Am 4. November 1937 wurde der Leipziger Stempelhersteller, Schauspieler und Leiter des KPD-Zentralverlags „Rote Hilfe“ Bruno Apitz (1900–1979) als „politisch Rückfälliger“ in Buchenwald interniert. Der „Funktionshäftling“ Nr. 2417 durchlitt alle Stationen dieser „gleißenden Gegenwart des absolut Bösen“, wie Jorge Semprún später schrieb, Schriftsteller und ebenfalls in Buchenwald interniert. Die Todesstätte am Ettersberg über Weimar konnte Apitz erst bei der Befreiung durch die Amerikaner verlassen, am 11. April 1945. Seine Kameraden hatten ihn am Schluss tagelang in einem Schacht versteckt.

Bruno Apitz’ Roman „Nackt unter Wölfen“ – der reißerische Titel war ihm aufgezwungen worden – erschien 1958, erreichte eine Gesamtauflage von annähernd drei Millionen Exemplaren und wurde in dreißig Sprachen übersetzt. Als der Text zum antifaschistischen Gründungsmythos schlechthin war er in der DDR Schullektüre. Da erstaunt es nicht, dass ein solcher Erfolgsstoff einen Fernsehproduzenten wie Nico Hofmann anzieht. Gemeinsam mit seinen Produzentenkollegen Benjamin Benedict und Sebastian Werninger von Ufa Fiction entwickelte er mit der MDR-Fernsehfilmchefin Jana Brandt die Idee einer zweiten Verfilmung. Das Drehbuch schrieb Stefan Kolditz, Regie führt Philipp Kadelbach.

Kolditz verfasste bereits das Drehbuch zur aufsehenerregenden ZDF-Weltkriegssaga „Unsere Mütter, unsere Väter“, beteuert aber wie Nico Hofmann, dass beide Projekte völlig unabhängig voneinander entstanden seien, „obwohl sich die Filme jetzt in gewisser Weise aufeinander beziehen“. Ihn habe die Debatte bereichert, manchmal auch verletzt, aber für dieses Projekt ermutigt, resümiert Nico Hofmann die Reaktionen auf seinen ZDF-Film; demnächst verhandelt er mit dem Direktor des polnischen Fernsehens über eine Koproduktion.

Frank Beyers Verfilmung von „Nackt unter Wölfen“ aus dem Jahr 1963 – die wegen ihrer politischen Sprengkraft in der Bundesrepublik bis 1968 nicht öffentlich gezeigt werden durfte – sah Hofmann als Student an der Münchner Filmhochschule. Armin Mueller-Stahl spielte damals den Kapo André Höfel, der einem polnischen Häftling dabei hilft, dessen in einem Koffer eingeschmuggelten dreijährigen Sohn zu verstecken. Diese Partie übernimmt nun Peter Schneider, in der Rolle des Lagerältesten (anno 1958 der unvergessene Erwin Geschonneck) verspricht Sylvester Groth eine wie immer differenzierte Darstellung.

Als „Erzählung über eine andere Erzählung“ versteht Stefan Kolditz das Projekt, das definitiv „kein Konsensfilm“ werden soll; Koproduzenten sind neben dem MDR die Degeto sowie WDR, SWR und BR. Kolditz wollte kein Remake der Beyer-Verfilmung, sondern andere Schwerpunkte setzen: „Die jüdische Leidensgeschichte und die Erfahrung des KZ spielen bei Apitz nur eine ganz marginale Rolle, es handelt sich in erster Linie um eine Heldengeschichte mit einem humanen Kern, die Rettung eines kleinen Jungen.“

Tschechischer Koproduzent ist Michal Pokorný von Mia-Film. Am Anfang hätten ihn die hallenden deutschen Befehle an die rund 3000 tschechischen Komparsen schon befremdet, sagt er, das sei eine „komische Mischung“ gewesen. Die Recherchen verliefen in enger Absprache mit der Gedenkstätte Buchenwald, mit dem Potsdamer Historiker Julius Schoeps und vor allem mit Susanne Hantke. Sie gab 2012 „Nackt unter Wölfen“ gemeinsam mit Angela Drescher im Aufbau-Verlag neu heraus und begleitet kontinuierlich die Dreharbeiten. In ihrem Nachwort spricht sie vom „beschädigten Gedächtnis der Buchenwalder Kommunisten“. „Nackt unter Wölfen“ habe bei seinem Erscheinen mitten im Kalten Krieg von vornherein kein autonomes Kunstwerk sein können. Hier galt es für die Neuverfilmung gehörig Ideologie zu entschlacken, auch sollte das Schicksal der jüdischen Insassen stärker akzentuiert werden. Die Holocaust-Überlebende Ruth Klüger hatte „Nackt unter Wölfen“ als „Kitschroman“ gegeißelt, denn er habe durch den Topos vom geretteten Kind den Völkermord an den Juden „infantilisiert, verkleinert und verkitscht“.

Ende Mai werden auch einige Szenen am Originalschauplatz gedreht, nach intensiven Verhandlungen mit der KZ-Gedenkstätte Buchenwald. Deren Leiter Volkhard Knigge will den Friedhofscharakter des Ortes gewahrt wissen. Viel schwerer, jedoch großer und notwendiger Stoff für einen Filmabend im April 2015.

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