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Im Netz der Geheimdienste. Die tschechische Geigerin Marie Skalova (Tatiana Pauhofova) wird sowohl in Prag als auch nach ihrer Flucht in London ausgespäht.

© HBO Europe

Arte-Serie „Die Schläfer“: Das Böse lauert überall

In der tschechischen TV-Serie „Die Schläfer“ schlittert eine Exil-Dissidentin im Wendejahr 1989 durch den Ostblock.

Das Leben der anderen ist seit Menschgedenken von höchstem Interesse, aber nirgends – das lehrt uns bereits Florian Henckel von Donnersmarcks gleichnamiges Stasi-Drama – könnte dieser Wissensdurst universaler sein als in Diktaturen. So war es schon immer, es wird nur noch schlimmer. Der totale Überwachungsstaat nämlich, mit dem China sein eigenes Volk durchleuchtet, ist am Ende ja auch nur digitale Perfektionierung des analogen Kontrollwahns realsozialistischer Prägung. In der Tschechoslowakei zum Beispiel, Sommer 1989, das letzte Aufbäumen einer verrotteten Tyrannei.

Während am Fernseher nebenan die berühmten Bilder geflüchteter DDR-Bürger in der Prager BRD-Botschaft laufen, übt die renommierte Geigerin Marie Skalova ihre Partitur, als der Wohlklang zum Funksignal verzerrt einen Kleinbus unterm Wohnzimmerfenster erreicht. Der KGB, das deuten die kyrillischen Worte an, in denen der Fahrer Notizen macht, hört mit. Er tut es allerdings nicht in Maries Heimatstadt Prag, sondern gut 1000 Kilometer westlich. In London. Ihrem Exil. Unbemerkt, immerhin das.

[„Die Schläfer“, Arte, Donnerstag, 21 Uhr 45]

Zwölf Jahre zuvor hingegen, das zeigt der sechsteilige Politthriller „Die Schläfer“ ab Donnerstag, gingen tschechoslowakische Geheimdienst-Schergen weitaus weniger bedächtig zu Werke. Kurz bevor die unfreiwillige Dissidentin 1977 nach einer Vielzahl Repressionen gemeinsam mit dem freigeistigen Wissenschaftler Victor Skala fluchtartig ihr Land verlassen musste, verwanzen zwei Stasi-Leute deren Wohnung und hinterlassen dabei ein unübersehbares Chaos, das beiden beweisen soll: Wir haben euch im Auge. Ein Blick, der zwölf Jahre später offenbar bis tief ins britische Feindesland reicht.

Wer ist Freund, wer Feind?

Von hier aus nämlich bricht das Paar angesichts der samtenen Revolution 1989 auf in die CSSR. Doch was nur ein kurzer Familienbesuch werden sollte, eskaliert zu einer Spionagestory, in der bald niemand mehr weiß, wer Freund ist, wer Feind, wer beides. Das Durcheinander beginnt schon bei Victor (Martin Mysicka), der dem Reisewunsch von Marie (Tatiana Pauhofova) nach anfänglicher Skepsis erst nachgibt, als ihn der Brief einer Unbekannten ohne Maries Wissen nach Prag beordert. Sehr rätselhaft. Wie ein offenbar absichtlicher Autounfall unmittelbar nach ihrer Ankunft in Prag.

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Victor ist verschwunden, Marie schwer verletzt. Und als sie ihren Mann sucht, entspinnen sich um die Tochter eines ehemaligen Regimegegners herum Netze machtpolitischer Intrigen, in denen der abgehalfterte Stasi-Leutnant Vlach (Jan Vlasák) ebenso sitzt wie sein junger Assistent Berg (Martin Hofmann) und dessen Geliebte Miluska (Kristyna Podzimkova). Verfolgt vom waidwunden Unrechtssystems wechseln gar Maries Schwester (Lenka Vlaskova) oder die britische Botschaftsmitarbeiterin Clayton (Hattie Morahan) zwischenzeitlich die Seiten eines postkommunistischen Verwirrspiels, das Ondrej Gabriel nach allen Regeln der Agententhriller-Kunst geschrieben hat.

An jeder Ecke ein Spitzel, in jeder Ritze ein Mikrofon

Unablässig und überall lauert in der tschechischen Serie das Böse. An jeder Ecke ein Spitzel, in jeder Ritze ein Mikro, auf jeder Bank ein Beobachter, bei jeder Gelegenheit Hinterlist, Argwohn, Verrat – wie einst Alfred Hitchcock hetzen Ivan Zacharias und Alice Nellis („Wasteland“) im Auftrag von HBO-Europe unsichtbare Dritte auf unbescholtene Menschen, bis alles Teil einer unübersichtlichen Verschwörung wird, in der fast niemand völlig unbescholten bleibt. Und ganz selten nur gehen der Regie dabei die Actionpferde durch.
Wenn die zartbesaitete Gelegenheitsheldin Marie zum Beispiel ein hermetisch abgeriegeltes Militärgelände der Roten Armee nahe Prag durchstöbert wie 007, wird der Spannungsbogen überdehnt. Von solchen Momenten der Effekthascherei abgesehen liegt die Stärke der „Schläfer“ definitiv in ihrer unaufdringlichen, gelegentlich fast sedierten Zurückhaltung ganz gewöhnlicher Figuren einer exaltierten Geschichte.

Besonders die Stasi-Offiziere Vlach und Berg verkörpern die beigegraue Niedertracht mit einer Glaubhaftigkeit, die viel mehr beklemmende Furcht verbreitet als aufgeplusterte Verschwörungsspektakel der Marke Dan Brown. Hier pflegen langweilige Widersacher zwischen Auftragsmord und Wohnungsverwanzen bettlägerige Verwandtschaft oder ihr Zierfischaquarium. Das Leben der anderen ist da meist aufregender.

Jan Freitag

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