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Symbol der weiblichen sexuellen Befreiung? Sylvia Kristel (l.) in „Emmanuelle“ aus dem Jahre 1974.

© arte

Der Film mit Sylvia Kristel: Was Giscard d'Estaing mit „Emmanuelle“ zu tun hat

Bitte nicht vom Untertitel abschrecken lassen: Eine erstaunliche Arte-Dokumentation zum Filmklassiker „Emmanuelle“.

Ein Filmproduzent Mitte der 1970er, der einen Skandalfilm drehen will, aber ohne viel Geld? Yves Rousset-Rouard musste nicht lange überlegen, erzählt er in der Arte-Doku „Emmanuelle – Königin des Softpornos“ von Clélia Cohen und schickt den Zuschauer angesichts der Wellen, die Rousset-Rouards Film dann geschlagen hat, erst mal auf eine falsche Fährte.

Was sich wie eine Erfolgsgeschichte anhört, ist auf dem zweiten Blick auch die durchaus traurige Story einer Frau, die befreit, indem sie ihre eigene Freiheit aufgibt. Die später, mit ambitionierten Filmen, nie wieder aus dem Schatten dieser erotischen Kunstfigur heraus kam und 2012 vereinsamt an Krebs stirbt.

Weil Sylvia Kristel, so die These der Doku, die Emanzipation einer Frau verkörperte mitten in einer Zeit, die von den Schlagworten Feminismus, Familienplanung und Abtreibung bestimmt war. Der Film traf im Sommer 1974 offenbar einen Nerv - der sexuellen Revolution („Emmanuelle - Königin des Softpornos“, Freitag, Arte, 21 Uhr 45).

Allein in Frankreich zog der Streifen neun Millionen Zuschauer in die Kinos, weltweit haben ihn 350 Millionen gesehen. Das Kinopublikum stand Abend für Abend Schlange, um die erotischen Abenteuer einer liebeshungrigen Botschaftergattin mit Kurzhaarfrisur und Perlenkette zu sehen. Zwölf Jahre lief der erste Teil der Reihe in einem Kino an den Champs-Élysées.

Nackt im Pool schwimmen, Sex im Flugzeug: „Emmanuelle“ ist Sylvia Kristel, und Sylvia Kristel ist „Emmanuelle“. Verlorener Blick, geheimnisvolle Eleganz, sie war die Idealbesetzung, sagt Regisseur Just Jaeckin.

Wahrscheinlich hatte der erotische Bestseller von Emmanuelle Arsan aus dem Jahr 1959 darauf gewartet, dass Kristel ins Casting geriet. Eine gelernte Sekretärin aus den Niederlanden, die sich vor jeder Sexszene Mut antrinken musste.

"Die Frauen tun mit ihrem Körper, was sie wollen.“

Filmausschnitte, Archivbilder und Interviews mit der Filmcrew belegen, dass es hier auch, aber bei weitem nicht nur um Schauwerte ging, um Schmuddelkino am Bahnhof, um Sexfilmchen unterm Deckmantel des Dokumentarischen („Schulmädchenreport“), wie Autor Marc Godin betont.

Frankreich war 1974 noch nicht sexuell befreit, erinnert sich die Stylistin Pénélope Blanckaert. „Die Jugend sehnte sich nach Emanzipation, der Freiheit der Körper und des Sex. Die Frauen tun mit ihrem Körper, was sie wollen.“

Drehbuchautor Jean-Louis Richard hatte am Skript von Truffauts „Fahrenheit 451“ mitgeschrieben. Das konnte kein Mist sein. Freilich wird hier nicht verhohlen: Ob „Emmanuelle“ Zeugnis weiblicher Selbstermächtigung ist oder doch nur ein Sexfilm, der eine Frau zum Objekt macht, ist bis heute umstritten.

Das von Emmanuelle entdeckte Ausleben der weiblichen Homosexualität – so etwas hatte es jedenfalls auf der Leinwand noch nicht gegeben, auch nicht im Bertolucci-Klassiker „Der letzte Tango in Paris“ (1972).

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Dass „Emmanuelle“ nach chaotischem Dreh in Thailand (kein Geld, keine Zeit, keine Genehmigungen) an konservativen Moralvorstellungen vorbei in die Kinos kam, verdankt er, Stichwort Freigabe, der (liberaleren) Präsidentschaft von Valéry Giscard d'Estaing.

Auch wenn der Film-Hype nach zahllosen Kopier-Versuchen abebbte, hat seine Ästhetik – Farbcodes, Typographie, Realitätsflucht, üppige Natur, Orientalismus – mehr als eine Generation geprägt. Das und die sexuelle Befreiung waren mit „Emmanuelle“ auf der Kino-Leinwand angekommen. Ein Fakt, an dem der unglückliche Untertitel der Doku nichts ändert.

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