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Antrittsbesuch bei der Queen: Premierminister Boris Johnson.

© Jones/dpa

Die Queen und ihre Premiers: Korrektiv der Macht

Eine Arte-Doku analysiert das innige Verhältnis der Briten zu Politik und Krone.

Die Queen hat in der parlamentarischen Monarchie Großbritanniens nur noch eine symbolische Funktion. Trotzdem kommt jeder Premierminister einmal wöchentlich zur Audienz. Und das seit nunmehr 70 Jahren. Mit insgesamt 14 Staatschefs hat die Queen sich mehr als 3500 Mal getroffen. Was genau wurde da besprochen? Eine Arte-Dokumentation wirft einen Blick hinter die Kulissen des Buckingham Palace. In ihrem Film spannen Katharina Wolff und Larissa Klinker einen weiten Bogen von der Gegenwart bis zurück in die 50er Jahre. Mit dem Tod ihres Vaters Georg VI. wird Elisabeth II. 1951 per Geburtsrecht Regentin des Vereinigten Königreichs Großbritannien.

Premierminister war damals ihr väterlicher Freund Winston Churchill. Angeblich war er in sie verliebt. Weniger bekannt als der raubeinige Staatsmann mit der Zigarre, der England durch den Zweiten Weltkrieg geführt hatte, ist Harold Wilson. Er war der fünfte Premierminister, den Elisabeth Woche für Woche empfing. Die Beziehung zu ihm war besonders prägend. Denn mit dem Führer der Labour Party kam in Großbritannien seit langer Zeit erstmals wieder ein linker Politiker an die Macht. Die Berater der Queen waren alarmiert. Sie befürchteten buchstäblich eine Revolution.

[„Die Queen und ihre Premiers“, Donnerstag, Arte, 20 Uhr 15]

Der studierte Wirtschaftswissenschaftler erwies sich jedoch als treuer Monarchist. Länger als üblich dauerten die Audienzen mit ihm. Ja, der Premierminister blieb sogar noch auf einen Brandy. Über die britische Arbeiterschaft erfuhr die Queen dabei so einiges, was bislang nicht durch die dicken Palastmauern an ihr blaublütiges Ohr gedrungen war.

Obwohl die Queen nie eine Silbe über Politik verlauten ließ, stilisiert die Dokumentation sie zwischen den Zeilen zu einer Sympathisantin mit der Linken. So sei die Königin „zutiefst unglücklich darüber, was in Frau Thatchers Amtszeit geschah“. Die berüchtigte Iron Lady war angetreten, um die marode britische Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.

Die Queen war "not amused"

Als Folgen ihrer unpopulären Maßnahmen brachen Streiks und soziale Unruhen aus. Die Queen, die als harmoniesüchtig dargestellt wird, sei darüber nicht amüsiert gewesen. Und so trafen während der Audienz „zwei Rivalinnen aufeinander“. Großbritannien wurde seinerzeit als einziges Land von zwei Frauen regiert. Doch deren Verhältnis wird auf einen klischeehaften Zickenkrieg herunter gebrochen.

Zu einem überraschenden Rollentausch zwischen Politik und repräsentativer Monarchie kam es schließlich unter der Regentschaft von Tony Blair. Nach dem tragischen Unfalltod von Lady Diana Spencer, der weltweit für Anteilnahme sorgte, wurde der Buckingham Palace mit einem Meer von Blumen überhäuft. In dieser Situation ließ die Queen ihr Volk alleine. Die Monarchie war angezählt.

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Ausgerechnet der Initiator von New Labour spendete den Menschen seinerzeit mit einfühlsamen Worten Trost. Ja, der Premierminister rettete sogar das angeknackste Image der Königin. Er empfahl der Monarchin, ihr unsensibles Schweigen in einer Ansprache damit zu rechtfertigen, dass sie sich „als Großmutter“ um Dianas Kinder kümmern musste.

Das mediale Interesse am britischen Königshaus ist ungebrochen. Mit ihrem Grenzgang zwischen Monarchie und Politik, Hofberichterstattung und Gesellschaftskritik findet diese Dokumentation einen etwas anderen Zugang. Die Briten – und nicht nur die – „lieben den Gedanken, dass der Premierminister ein mal pro Woche niederknien muss“. In dieser Perspektive ist die Queen mehr als nur der Anachronismus einer überkommenen Herrschaftsstruktur. Durch ihr außergewöhnliches Alter und die damit verbundene Kontinuität ihrer Regentschaft verkörpert sie eine Art transzendentes Korrektiv der Macht. Als übergeordnete Instanz erinnert sie die Herrschenden daran, dass auch sie nur Diener sind.

Manfred Riepe

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