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Medien: Die Rechtschreiber

Die Henri-Nannen-Schule, Deutschlands elitäre Journalistenschule, wird 25

Es war 1978, und Henri Nannen, der legendenumwobene „Stern“-Chefredakteur, hatte ein Problem. Immer wieder gab es Ärger, weil die Zeitschriften des Hauses Gruner + Jahr, voran der „Stern“, Journalisten mit viel Geld in anderen Redaktionen abwarben, statt selbst welche auszubilden. Könnten wir doch auch, sagte Nannen, setzte sich mit Vorstandschef Manfred Fischer zusammen und holte seinen alten Mitstreiter Wolf Schneider, der gerade von Axel Springer bei der „Welt“ an die Luft gesetzt worden war, weil er einen kritischen Text über Portugals Diktator Salazar hatte drucken lassen. Man müsste so was wie die Münchener Journalistenschule gründen, sagten sie, mit unserem Geld ist das doch ein Klacks, nicht wahr?

Es war dann doch ein Haufen Arbeit, bis der Verlag 1979 die Gruner + Jahr-Journalistenschule in die erste Runde schickte, unter der strengen Führung Wolf Schneiders, dessen Grundprinzip als Chef lautete: Ich bin nicht nett. Sondern dazu da, den Schülern in anderthalb Jahren so viel journalistisches Handwerk beizubringen, wie in sie reingeht. Seitdem, in nun genau 25 Jahren, haben 511 Schüler die 1983 in „Henri-Nannen-Schule“ umbenannte Lehranstalt besucht. Und dabei in den ersten Tagen fast immer den gleichen Schock erlebt: Da waren junge Leute zwischen 21 und 29, überwiegend mit Universitätsabschluss und Auslandserfahrung, manche sogar promoviert, viele als freie Journalisten durchaus erfolgreich, unversehens in einer wirklichen Schule gelandet. Mit Anwesenheitspflicht und einem Dienstvorgesetzten, der keine Rücksicht auf politische, feministische, ökologische oder sonstwie jugendbewegte Empfindlichkeiten nahm.

Die größte Zumutung: Die Schule verstand sich schon wegen des rigorosen Auswahlverfahrens durchaus als elitäre Veranstaltung, und das war seinerzeit ein politisch höchst anrüchiger Umstand. Wolf Schneider las jede Zeile und traktierte die kostbaren Arbeitsproben mit vier dicken Filzstiften in verschiedenen Farben, bis nichts mehr davon übrig blieb. „Bäh!“ stand da, „Mist!“ oder auch Härteres. Der erste Lehrgang 1979, geistig noch stark von der Studentenbewegung geprägt, stand kurz davor, eine Palastrevolution anzuzetteln, später glätteten sich die Wogen allmählich. Denn andererseits genossen alle Schüler die fast grenzenlosen Möglichkeiten, die das Haus mit dem Großverlag im Rücken bieten konnte.

Unter Ingrid Kolb, die Wolf Schneider 1995 nachfolgte, wurde der Unterrichtsstil bedeutend sanfter, doch in der Sache änderte sich nichts. Der Beleg: An nahezu allen Schaltstellen der deutschen Presse sitzen Absolventen der Schule, 46 allein beim „Stern“, 30 beim „Spiegel“, Hunderte in anderen Redaktionen oder als freie Journalisten im In- und Ausland. Allein 14 Chefredakteure und noch einmal 14 stellvertretende Chefredakteure sind darunter, Musterschüler wie RTL-Anchorman Peter Kloeppel, Peter-Matthias Gaede („Geo“) und Christoph Keese, der demnächst von der „Financial Times Deutschland“ an die Spitze der „Welt am Sonntag“ wechselt. Zwei der Absolventen hatten viel weniger Glück. Sie starben unter Aufsehen erregenden Umständen im Dienst des „Sterns“: Jochen Piest in Tschetschenien und Gabriel Grüner im Kosovo.

Der eine oder andere Absolvent hat sich aus dem Journalismus auch wieder zurückgezogen, um in die akademische Laufbahn zurückzukehren oder den studierten Beruf, es gibt inzwischen ein paar Professoren unter den Absolventen. Doch die Zahl der Aussteiger ist sehr gering, ein gutes Zeichen für die Qualität der Ausbildung in Hamburg, die ja von Anfang an als Gegenentwurf zur typisch akademischen – und in der Branche als weitgehend untauglich verrufenen – Publizistenausbildung konzipiert war. Immer noch melden sich für jeden neuen Jahrgang rund 1500 Interessenten, und das, obwohl der Stellenmarkt zurzeit wenig Aussicht auf Festanstellung bietet. Viel mehr Absolventen als früher müssen sich auf unabsehbare Zeit als Freie durchschlagen.

Am morgigen Sonnabend wird das 25-jährige Bestehen angemessen gefeiert: Vor dem geselligen Beisammensein im Verlagshaus ist ein Empfang bei Bürgermeister Ole van Beust im Rathaus vorgesehen, und auch der Bundeskanzler hat schon Notiz genommen: „Die Schule hat Maßstäbe für die Ausbildung von Journalisten gesetzt, sie ist zum Inbegriff von Qualität und Professionalität geworden. Insoweit hat die Henri-Nannen-Schule ohne Frage auch die Kommunikationskultur unseres Landes mitgeprägt“, heißt es in seiner Erklärung.

Möglicherweise lag es auch an dieser allgemeinen Wertschätzung, dass der Untergang der Schule gerade noch verhindert wurde. 2003 wurden Pläne des Vorstands ruchbar, sie in der überwiegend landeseigenen „Hamburg Media School“ aufgehen zu lassen. Der Aufstand war groß, es wurden Unterschriften gesammelt und Protestbrieflawinen organisiert, und man wird vermuten dürfen, dass dies alles von einflussreichen Ehemaligen unterstützt wurde, die nun einmal gemeinsam zeigen durften, wie nützlich die Ausbildung an der Nannen-Schule war.

Dieses Ansinnen ist endgültig vom Tisch, die Schule hat ihre Eigenständigkeit bewahren können und profitiert künftig wohl sogar von der Zusammenarbeit mit der Media School. Insofern ist auch sicher, dass auf Ingrid Kolb ein neuer Schulleiter folgt, denn sie erwägt, sich voraussichtlich im nächsten Jahr zurückzuziehen; der geeignete Zeitpunkt wäre das Ende des jetzt beginnenden Kurses im Herbst 2005. Unter den Ehemaligen wird heftig spekuliert, wer der Nachfolger sein könnte, doch es sind Spekulationen. Für Entscheidungen, so versichert Ingrid Kolb glaubhaft, sei es noch viel zu früh. Zum Feiern aber ist der Zeitpunkt gerade richtig.

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