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Medien: Einer für alles

Ein Treffen mit Ulrich Mühe, der als Gerichtsmediziner im ZDF-Krimi „Der letzte Zeuge“ die Welt seziert

Ulrich Mühe lächelt. Er sitzt ganz alleine an einem endlosen Konferenztisch, eingekreist von Häppchentürmen, Fruchtbergen und Süßigkeiten. Die absurde Kulisse amüsiert ihn. Leicht gebräunt, sehr erholt sitzt er da. Die Beine übereinander geschlagen. Zurückgelehnt. Wartend. Ein langer Interviewtag liegt vor ihm.

Das stört ihn nicht, heute jedenfalls nicht. Der Schauspieler erzählt, für seine Verhältnisse plaudert er beinahe. Man ist schon fast irritiert. Was stimmt den eher melancholischen Menschen so fröhlich?

Man muss gar nicht lang nachfragen, der 51-Jährige sagt es im Grunde gleich selbst: „Im Moment ist alles wunderbar. Es geht mir gut.“ Mühe ist zufrieden.

Na denn. Der Schauspieler erzählt: „Die Rollen sind gut, die Arbeit macht Spaß.“ Privat ist er ohnehin schon lange glücklich. Verheiratet mit der Schauspielerin Susanne Lothar. „Die Kinder gehen nun beide zur Schule.“ Die Familie lebt im bürgerlichen Charlottenburg. Das Holzhaus nach eigenen Plänen – ein Refugium auf dem Lande – ist fertig. Wie schön. Wie kam’s zum perfekten Glück?

Fangen wir mit der Arbeit an. Mühes Rechnung ist aufgegangen. „Es ist genauso gekommen, wie ich damals erhofft habe.“ Vor ein paar Jahren hat der Theaterschauspieler über seine regelmäßige Fernseharbeit quasi als Rechtfertigung gesagt: „Ich muss mein Gesicht zeigen, damit die Leute auf mich aufmerksam werden.“ Keine Frage, er mag das Fernsehen nicht besonders – oder besser, er braucht es eigentlich nicht. „Es gibt so viel anderes zu tun, aber es hilft, die Miete zu zahlen und im Gespräch zu bleiben.“ Mühe schaut gerade mal die „Tagesthemen“.

Auch seine eigenen Filme sieht er selten. Angesprochen etwa auf die neuen Folgen von „Der letzte Zeuge“ sagt er, die kenne er nicht. Natalia Wörner spielt eine geläuterte Hure, in die er sich verliebt. Mühe erinnert sich nicht so genau. Macht nichts, er hat nichts verpasst. „War’s nicht so doll?“ fragte er leicht besorgt. Stimmt, die Huren-Geschichte ist eher zäh, was nicht an Mühe liegt. Im Gegenteil. Er rettet die Veranstaltung. Mühe ist einfach gut, präzise, lakonisch, auf merkwürdige Weise werden schwere Dinge bei ihm leicht, Banales ist nicht peinlich. Das schätzen die Zuschauer. Manche schauen die Serie nur seinetwegen.

Die Serie. Ulrich Mühe spielt in „Der letzte Zeuge“ einen Gerichtsmediziner, der – außergewöhnlich für deutsche Krimis – ermittelt. Ein Kommissar aus der Pathologie. Der Humor ist entsprechend, die Dialoge intelligent. Und der Zuschauer fühlt sich geschmeichelt, dass ihm so etwas noch zugetraut wird. „Ein Krimi, der nicht im Zentrum die Frage hat: Wo waren Sie gestern zwischen neun und zehn Uhr? Die Überforderung ist eines der Erfolgsgeheimnisse“, erklärt Mühe den Charme des Freitagskrimis. Und das, obwohl er selbst Krimis – abgesehen von amerikanischen Schlapphutklassikern aus den 30er Jahren – wenig unterhaltsam findet. Er liest sie nicht, aber er spielt sie. Schließlich ist das sein Beruf. Aber was reizt den Kürschnersohn aus dem sächsischen Grimma an dieser Rolle? Er findet es spannend, dass es so viele skurrile Todesarten gibt. Und noch etwas.

Jede Folge des „Letzten Zeugen“ hat Kammerspielqualität. „Die Schauspieler sind das Ensemble“, sagt Mühe. Das ist kein Zufall. Als es 1999 losging mit der Serie, hat sich Mühe seine engsten Mitspieler ausbedungen: Dieter Mann, Jörg Gudzuhn, Gesine Cukrowski. Kollegen vom Deutschen Theater. Seine Freunde. Und wie im Theater improvisieren sie bei jedem Dreh. Mühe erklärt sein Lieblingsspiel: „Wer von uns den letzten Satz sagt, ist nie so ganz klar. Nur eines steht fest: nie derjenige, der im Drehbuch steht.“ Im Dezember spielt seine Frau in einer Folge mit. Mühe freut sich. Die beiden arbeiten ausgesprochen gern zusammen. „Aber wir tun nichts, um zu betonen, dass wir das gern tun“, stellt er gleich klar, korrekt wie er ist. Gerade haben sie für eine schwedische Literaturverfilmung in der Regie von Hans W. Geißendörfer vor der Kamera gestanden. „Ich spiele ein armes Bäuerlein und Suse meine Frau. Alles ziemlich tragisch“, fasst er ungerührt zusammen. Der Film kommt nächstes Jahr ins Kino.

In den 90er Jahren sah die Welt für Mühe nicht ganz so rosig aus. Die Angebote waren eher spärlich. Das verwundert, schließlich ist Ulrich Mühe einer der renommiertesten deutschen Schauspieler. In der DDR war der Mann ein Star, der große kleine Held am Deutschen Theater. „Gerade, weil ich so verletzlich wirkte, mochten mich die Leute.“ Entdeckt von Heiner Müller, spielte er nach der Wende in Wien, bei den Salzburger Festspielen, in Hamburg. Er sagt von sich: „Ich kann alles spielen.“ Wer ihn gesehen hat, wird das bestätigen. Ob einen Acht-Stunden-Hamlet-Marathon oder im extremen Theaterstück der Britin Sarah Kane „Gesäubert“ einen perversen Berserker.

Während alle über den neuen Hitler-Film reden, erzählt Mühe, warum er bei Bernd Eichingers „Der Untergang“ nicht mitspielen wollte. Vor ein paar Jahren hatte er die Doppelrolle in „Goebbels und Geduldig“. Geduldig, der jüdische Doppelgänger von Goebbels. „Wir waren zu früh und nicht frech genug.“ Natürlich bedauert er das. „Eine idiotische Idee, mir den Goebbels wieder anzubieten. So toll finde ich es nun auch nicht, den zu spielen.“ Wäre es mit Hitler anders gewesen? Mühe: „Ich kann mir vorstellen, Tarzan zu spielen, ich wäre ein wunderbarer Tarzan.“ Die Hitler-Welle sieht er kritisch: „Alle wollen partizipieren, verdienen. Dass man jetzt so tut, als wäre ,Der Untergang’ der erste Film dazu, ist albern.“ Viel lieber erzählt er von einem ganz anderen Film. Mühe spielt demnächst einen Stasi- Offizier. Für jemanden, der als Wachsoldat an der Grenze stand, den der Schießbefehl magenkrank machte, eine Herausforderung. „Reinkriechen in die Gedankengänge der Täterseite“, nennt er das. Gelassen erzählt er, wie er sich bei der Gauck-Behörde seine eigene Stasi-Akte abgeholt hat, ab und zu reinschaut und sich wundert, wie früh er beobachtet wurde. „Aber das hat mich nie gestört. Ich wurde im Gegensatz zu anderen nicht gequält.“ Titel des Kinofilms: „Das Leben der Anderen.“ Er spielt im Berliner Künstlermilieu. „Eine Welt, die ich gut kenne. Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck ist ja kein gelernter DDR-Bürger, ich habe ihm viel erzählt.“ Ulrich Mühe und die Hamburgerin Susanne Lothar leben erst seit ein paar Jahren in Berlin. Sind von Hamburg in die Hauptstadt gezogen, wollten hier mitmischen. Und das gelingt immer besser. Mühe hat am Berliner Festspielhaus Anfang des Jahres Regie geführt, bei Heiner Müllers „Auftrag“. Und „bekam von der Kritik eins auf die Mütze“. Das grämt ihn nicht sonderlich.

„Keiner ist rausgerannt, wir waren immer ausverkauft.“ Das Schöne ist eigentlich, wie begeistert er von der Zusammenarbeit mit großen Schauspielern wie Inge Keller und Eckehard Schall erzählt. Wie in seiner Inszenierung drei Jahrzehnte Berliner Theatergeschichte zusammen auf der Bühne stehen – Berliner Ensemble und Deutsches Theater – und sich Hand in Hand verbeugen. Da wird er ganz ehrfürchtig. Und findet es „hinreißend“.

Das Schauspielerpaar Lothar-Mühe hat eine Verabredung für ein großes Spiel getroffen, ein Lebensplanspiel: „Alle fünf Jahre muss was geändert werden.“ Aber es ist eben nur ein Spiel. Die fünf Jahre seit der letzten Veränderung sind abgelaufen. Geändert wird nichts. Denn, wie sagte Mühe am Anfang: „Alles ist wunderbar.“

Ulrich Mühe ist am Mittwoch in der ARD, 20 Uhr 15, in „Hunger auf Leben“, einem Film über die DDR-Schriftstellerin Brigitte Reimann, zu sehen und am Freitag, 21 Uhr 15, im ZDF-Krimi „Der letzte Zeuge“.

Carla Woter

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